Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff hat es getan, Alexandria Ocasio-Cortez, Abgeordnete von New York im US-Repräsentantenhaus für die Demokratische Partei, auch, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zumindest vorrübergehend, und der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat mit seinem „Bye-bye“ vor einigen Monaten besonders viele Schlagzeilen gemacht: Die Rede ist vom Abschied aus den sozialen Netzwerken. Dabei gehören Facebook, Instagram, Twitter und Co. heute längst zum Kommunikationsrepertoire von Personen des öffentlichen Lebens. Aber warum ist der Dialog im Netz offenbar so stressig, dass manche aussteigen? Für viele ist es der Zeitaufwand, doch auch das angespannte Klima im Netz lässt immer mehr Prominente und Politiker auf die Netzwerke verzichten.
Je mehr Zeit die Bürger im Netz verbringen, umso mehr steht auch die Politik vor der Herausforderung, den Dialog mit den Bürgern in der Netzwelt zu suchen. Doch dort begegnet ihnen teils heftiger Gegenwind. Unsere im Frühjahr veröffentlichte Studie „Zwischen Bürgernähe und Netzhetze“ unter 217 Bundes- und Landtagsabgeordneten zeigt: 97,5 Prozent der Befragten wurden bereits persönlich angefeindet, mehr als ein Viertel erhält viele bis sehr viele Anfeindungen. Fast alle Politiker sind also Zielscheibe von Hass und Hetze im digitalen Raum.
Politiker stehen damit vor einem Dilemma: Einerseits finden sie den direkten Draht zu den Bürgern über soziale Netzwerke wichtig – sie wollen online aktiv sein, die Menschen über ihre politischen Aktivitäten informieren, ihre Gedanken und Positionen teilen und gegen die zunehmende Politikverdrossenheit der Gesellschaft vorgehen. Mehr als 40 Prozent sagen, sie wollen die Menschen für Politik „begeistern“. Andererseits erhalten Abgeordnete teils schlimmste Anfeindungen und Drohungen über das Netz. Die Anfang April aufgekommene #Abschiebechallenge, bei der Rechtsextreme konkret Personen benennen, die sie gerne aus Deutschland abschieben wollen, ist nur eins von vielen schockierenden Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit. Der hessische Landtagsabgeordnete Ismail Tipi berichtet von regelmäßigen Beleidigungen und sogar Morddrohungen gegen seine Person. Und auch Stralsunds Oberbürgermeister Alexander Badrow erhielt erst vor kurzem eine anonyme Morddrohung auf Facebook. Ob Bundes-, Landes- oder Kommunalpolitik – die Anfeindungen treffen Politiker aller Ebenen. Zwar schaffen es einige Politiker, über die sozialen Netzwerke in einen guten und gewinnbringenden Dialog mit den Bürgern zu treten, ganz ohne digitale Störenfriede ist das jedoch fast nie möglich.
Wie sehr sich Politiker die Anfeindungen, die ihnen im Netz entgegenschlagen, zu Herzen nehmen, ist natürlich individuell unterschiedlich. Sie tragen aber in jedem Fall dazu bei, dass knapp ein Drittel der Abgeordneten ernsthaft erwägt, dem Beispiel Habecks zu folgen und den sozialen Netzwerken den Rücken zu kehren. Das spiegeln auch die Ergebnisse der Studie wider: Mehr als die Hälfte der befragten Abgeordneten bewertetet das Klima in den sozialen Netzwerken als negativ oder sehr negativ – und nannte das angespannte Klima am häufigsten als Grund, sich von den sozialen Netzwerken abzumelden.
Viele Politiker probieren es aber, dem Hass im Netz entgegenzusteuern und die als (sehr) negativ wahrgenommene Atmosphäre zu verbessern. Dabei gehen sie auf ganz unterschiedliche Art und Weise vor. Die Grünen etwa haben eine „Netzfeuerwehr“ aufgebaut, die bei gezielten und koordinierten Hassattacken aus dem rechten Lager eingreifen soll. Katrin Göring-Eckardt versuchte es beispielsweise mit Humor – und bedankte sich mit einem satirischen Facebook-Video bei ihren Hatern für deren Kreativität und die unzähligen Mails, Tweets, Briefe und sogar Faxe. Die Reaktionen? Viele positive, aber auch kritische Stimmen kommentierten das Video. Dass der Beitrag über 8.000 Mal geteilt wurde, zeigt aber in jedem Fall, dass Göring-Eckardt eine wichtige Debatte angestoßen hat. Außerdem finden die User auf ihrer Facebook-Seite wie bei vielen ihrer Kollegen eine „Netiquette“, Verhaltensempfehlungen, wie man sie von den Websites vieler Medien kennt. Ganz anders geht hingegen Peter Tauber mit dem Hass im Netz um: Er gibt Kontra – und ist dabei auch schon über das Ziel hinausgeschossen. Berühmt-berüchtigt: Wie er einem Facebook-Pöbler „Sie sind ein Arschloch“ antwortete. Egal wie: Frei von negativen und anfeindenden Kommentaren sind die Facebook-Seiten der Abgeordneten nicht – trotz Netiquette, verbaler Gegenwehr oder persönlichem Dialog.
Die sozialen Netzwerke sind nicht nur wichtig für die politische Kommunikation, sie sind trotz Hass und Hetze unverzichtbar. Wie sollte man sich dort also am besten verhalten?
„Kill them with kindness“
Netiquette hin oder her – wer persönliche Meinungen oder politische Ansichten mit der Öffentlichkeit teilt, muss mit negativen Kommentaren oder Anfeindungen in sozialen Netzwerken rechnen. Es ist daher umso entscheidender, wie man mit Anfeindungen umgeht. Nur weil Hass und Hetze im Netz zunehmen, sollte man sich nicht dem Impuls hingeben, mit ähnlicher Aggressivität auf die digitalen Pöbler einzugehen. Das führt nur dazu, dass sich die Situation weiter hochschaukelt. Schlimmer: Wer als Politiker und damit als Person des öffentlichen Lebens zurückpöbelt, muss damit rechnen, dafür anschließend auch in traditionellen Medien gerügt zu werden, während die Hater in der Anonymität verschwinden.
Auch bei nicht berechtigter Kritik ist es also am besten, ruhig, sachlich und höflich zu bleiben. Das heißt jedoch nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss. Natürlich darf man Kommentare, die unter der Gürtellinie sind, löschen und wenn notwendig auch zur Anzeige bringen. Allerdings sollte man nicht hitziger und aggressiver reagieren als in der analogen Welt – und vorher abwägen, ob eine Reaktion überhaupt notwendig und sinnvoll ist.
„Better safe than sorry“
Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, dem muss bewusst sein, dass diese Plattformen öffentlich sind. Häufig gestalten Kommunikatoren den öffentlichen Auftritt von Politikern. Sie redigieren Interviews, schreiben Zitate für Pressemitteilungen und schauen, welche Posts und Tweets mit welchem Inhalt und welcher Tonalität in die Welt gesendet werden sollen – und welche eben nicht.
Wer als Abgeordneter aber die sozialen Netzwerke persönlich nutzt, unterliegt den gleichen Anforderungen – nur ohne Hilfe von Kommunikationsexperten. Das kann ein Vorteil sein, weil man ungefiltert und authentisch die eigenen Gedanken und Ideen in die Welt schickt – es kann aber auch nach hinten losgehen. Wenn ein Politiker also jeden Abend einen Tweet in die Welt setzt, ist das nicht viel anders, als wenn er sich jeden Abend in Diskussionsrunden bei Maybrit Illner oder Anne Will äußern würde. Die Öffentlichkeit ist da und bewertet jeden Kommentar.
Retweetet er etwas, sollte er die Ursprungsquelle kennen oder geprüft haben. Wer im Nachhinein feststellt, dass die Quelle bereits dubiose oder politisch extreme Inhalte veröffentlicht hat, muss sich später zu Recht Vorwürfe gefallen lassen.
„A look behind the scenes“
Soziale Netzwerke können Einblicke in den Alltag von Politikern verschaffen, die den Bürgern ein Bild der Politik jenseits von 30-Sekündern im Fernsehen oder Interviews in der Tagespresse geben. So wird Politik greifbarer. Der Blick hinter die Kulissen muss klug gestaltet sein. Zum Beispiel, indem man nicht nur ein Bild von sich bei einer Podiumsdiskussion online stellt, sondern auch erklärt, wie man die Diskussion empfunden hat, welche Punkte man besonders wertvoll fand.
Und natürlich interessiert die Menschen auch ein Blick auf die Person hinter der politischen Arbeit. Wenn Christian Lindner seine Facebook-Follower wissen lässt, dass er gern die Serie „House of Cards“ schaut oder Dorothee Bär postet, dass sie auch mal bei einer Fast-Food-Kette zu Abend isst, begegnen sie den Bürgern auf einer menschlicheren Ebene. Das darf aber nicht überhandnehmen, denn Politik bedeutet in erster Linie Inhalte – und die sollten immer wichtiger sein als anderweitig gewonnene Sympathien.
Die Studie
Dirk Metz und Manon Metz haben die Studie „Zwischen Bürgernähe und Netzhetze“ Ende Januar unter den Bundestagsabgeordneten und in der zweiten Februarhälfte unter den Landtagsabgeordneten durchgeführt. Insgesamt haben 217 Abgeordnete an der Online-Befragung teilgenommen, 17,5 Prozent davon waren MdBs. Knapp 35 Prozent der Teilnehmer gehören CDU oder CSU an, gefolgt von der SPD mit knapp 24 Prozent. FDP, Linke, Grüne und AfD sind mit jeweils rund zehn Prozent unter den Umfrageteilnehmern vertreten.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 127 – Thema: Vertraulichkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.