Der bayerische Landtagswahlkampf hat kaum begonnen – und doch ist er schon jetzt reich an Anekdoten, Inszenierungen und Symbolik. Zugegeben: Diese Dynamik ist nicht nur der Agilität des neuen Ministerpräsidenten zu verdanken, sondern hat mit der politischen Großwetterlage zu tun, die in ganz Europa populistische Parteien in die Parlamente und ins öffentliche Bewusstsein spült. Andererseits wurde der frühe Start des Wahlkampfs durch die Ämterrochade an der Regierungsspitze verursacht. Denn erst der späte Wechsel von Horst Seehofer und die Dolchstöße innerhalb der CSU, die zu seinem erneuten Einzug ins Bundeskabinett geführt haben, machten den Weg frei für Söder. Der ist praktisch seit dem Tag seiner Vereidigung im Wahlkampfmodus.
Seitdem versucht er, die anderen Parteien vor sich herzutreiben. Die Trias aus handfesten, juristischen Maßnahmen, die in den vergangenen Wochen ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben, hielten die Parteien in Atem – und das weit über die Grenzen des Landes hinaus: Erst die Pläne für ein Psychiatriegesetz, das Patienten wie Strafgefangene behandelt und auf öffentlichen Druck entschärft werden musste. Dann der Kruzifix-Erlass, der bundesweit Wellen geschlagen und sogar die christlichen Kirchen zu Widerspruch animiert hat. Und jetzt das neue Polizei-Aufgaben-Gesetz (PAG), das mehr als 30.000 Menschen auf die Straße brachte, sogar die Polizeigewerkschaft auf Distanz gehen ließ und dennoch mit der absoluten Mehrheit der CSU im bayerischen Landtag beschlossen wurde. Es soll die Sicherheitslage im ohnehin sichersten Bundesland weiter verbessern. Gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung und der eigenen Partei, die von der Wucht des Protests erschreckt wurde. Manch einer spricht von der alten Arroganz der Strauß-Ära.
Punkten nur mit Negativthemen?
Eigentlich wie aus dem Kampagnen-Lehrbuch: Aufmerksamkeit teilen, die Diskussion beherrschen. Doch was auffällt: Das alles sind eben juristische, begrenzende, restriktive Themen: Ordnung, Klarheit und Struktur. Nichts Positives! Und nachdem das Psychiatriegesetz noch länger braucht, ist das PAG ein erster echter Arbeitsnachweis: Söder will liefern. Zuvor, das zeigt der Kruzifix-Erlass, folgte der Ministerpräsident dem Beispiel Trumps, der in den ersten Wochen auch nur per Dekret von sich reden machte. Denn echte politische Veränderungen brauchen Zeit – und die hat Söder nicht, um sich zu beweisen. Aber Kreuze aufhängen geht ganz schnell. Und das darf das Kabinett des Ministerpräsidenten sogar selbst entscheiden. Ganz zur Freude der AfD.
Doch der Wähler scheint davon erst einmal unbeeindruckt. Die ersten beiden Umfragen sind draußen: Das BR-Magazin Kontrovers sieht die CSU nur bei 41 Prozent und die Grünen als zweitstärkste Kraft. Die Freien Wähler und die FDP beide drin – und die AfD gleichauf mit der SPD bei mehr als zehn Prozent. Absolute Mehrheit? Fehlanzeige. Auch nach den Diskussionen um das PAG bleibt die Zustimmung unverändert.
Opposition zwischen Statistendasein und zartem Aufbruch
Und wie reagieren die Oppositionsparteien? Sind sie mehr als Beiwerk der grandiosen Inszenierung? Die demonstrative Gelassenheit, die zuvor bei der SPD geherrscht hatte, ist spontan gewichen. Im Landtag hält man dagegen, aber wie kann man außerhalb der politischen Arena punkten? Und gerade einmal 47 Prozent der SPD-Anhänger unterstützen Umfragen zufolge die Spitzenkandidatin Natascha Kohnen. „Schlimmer können die Zahlen ein halbes Jahr vor der Wahl kaum ausfallen“, kommentiert Sebastian Beck in der „Süddeutschen Zeitung“. Das Parteiprogramm zur Landtagswahl ist gerade im Entwurf vorgestellt worden, soll aber erst im Juni beschlossen werden.
Schneller sind da die Grünen, die ihren Programmparteitag bereits hinter sich haben und jetzt die Zäsur der zweiwöchigen Pfingstferien schon als Vorbereitungsphase nutzen können. Die Freien Wähler bedienen ihre klassischen Themen und können sich offenbar trotz des absehbaren AfD-Einzugs halten. Der FDP fehlt als außerparlamentarischer Opposition die Bühne. Beide bleiben im Moment an der unteren Grenze des Wahrnehmungsradars. Umso spannender die Frage, ob und wie sie das in den kommenden Monaten ändern werden.
Die entscheidende Frage ist: Mit wem denn?
Denn über allem schwebt natürlich die entscheidende Frage, mit wem die CSU letztlich koalieren wird. Und schon allein diese Frage ist so etwas wie eine Majestätsbeleidigung. Mit der FDP hat man bereits Erfahrung. Aber dafür muss die erstmal in den neuen Landtag einziehen. Und falls nicht? Braucht man dann noch die Freien Wähler – oder doch SPD und Grüne? Hier scheinen die Positionen, die zu überbrücken sind, allerdings sehr weit entfernt. Gerade angesichts der jüngsten Gesetzesinitiativen.
Und der Druck zur Einigung ist hoch: In Bayern kann man sich nämlich keine unendlichen Sondierungen und Koalitionsverhandlungen leisten. Der Gesetzgeber sieht vor, dass 29 Tage nach der Wahl der Ministerpräsident gewählt werden muss. Ob das reicht? Und wenn nicht, kommen dann sofort Neuwahlen?
Das Ende dieser Serie ist also nicht notwendigerweise der Wahltag, der 14 Oktober. Aber mindestens bis dahin werde ich durch den Wahlkampf begleiten, unter anderem mit Interviews der Spitzenkandidaten, Experten und Wahlbeobachtern und Blicken hinter die Kulissen der Kampagnenplanung.