Unter Erbsenzählern

Politik

Es geht um Geld, um viel Geld sogar. Ausgaben von rund 300 Milliarden Euro sieht der Haushaltsentwurf für 2014 vor – vorgelegt noch von der alten Bundesregierung. Geld, über dessen Verteilung innerhalb der Bundesregierung heftig gestritten wird. Entschieden aber wird die Frage, welcher Minister für welche Vorhaben wie viel Geld ausgeben darf, im Haushaltsausschuss des Bundestages. Die 41 Mitglieder des Gremiums sind die Sparfüchse des Parlaments. Sie sind geachtet und gefürchtet. Bei den eigenen Abgeordneten und den Ministerien gleichermaßen.

„Wir sind ein so besonderes Gremium, weil wir schlussendlich darüber entscheiden, was mit den Steuergeldern passiert“, bringt es Petra Merkel ohne falsche Bescheidenheit auf den Punkt. Die SPD-Politikerin fungierte in der vergangenen Legislaturperiode als Ausschussvorsitzende. Von den Parlamentskollegen geringschätzig „Erbsenzähler“ genannt zu werden, ist für die „Haushälter“, wie die Mitglieder des Haushaltsausschusses im Parlamentssprech genannt werden, laut Merkel kein Problem. Schließlich sei man Treuhänder des Geldes der Steuerzahler. „Da ist es doch völlig normal, dass man doppelt und dreifach hinschaut, wie das Geld verteilt wird“, findet sie.

Die Opposition hat den Vorsitz

Nachfolgerin Merkels als Ausschussvorsitzende ist Gesine Lötzsch von der Linksfraktion. Eine Personalie, die nicht unumstritten war. Unter den Abgeordneten kursierte sogar eine Liste, auf der Unterschriften gegen die Ernennung der 52-Jährigen gesammelt wurden. „Angesichts von 15 oder 16 Unterschriften kann man die Kampagne aber nicht sonderlich erfolgreich nennen“, sagt Lötzsch mit Genugtuung in der Stimme.

Und: „Bei der Ausschuss-Konstituierung gab es keine Gegenstimme.“ Ihre Vorgängerin findet das wenig verwunderlich. „Ich kenne Gesine Lötzsch als kooperative Kollegin. Mir war klar, dass das Bestreben, sie vom Vorsitz fernzuhalten, nicht erfolgreich sein wird“, sagt Petra Merkel.

Und auch der langjährige Chef-Haushälter der Union, Steffen Kampeter, verweist darauf, dass es aus gutem Grund das Recht der stärksten Oppositionsfraktion ist, den Vorsitz im Haushaltsausschuss zu stellen. „Daran ändert sich auch nichts, wenn es die Linke ist. Ich persönlich rate keinem, daran zu rütteln.“

Die Macht der Haushälter

Kampeters Wort hat noch immer Gewicht. Er war einer der hartnäckigsten Haushälter, wenn es galt, Nachfragen in Richtung Ministerien zu stellen. Und seine Begegnung mit dem ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher auf einer Asienreise im Gefolge der Kanzlerin im Jahr 2007 ist geradezu legendär.

Die Episode geht so: Kampeter spricht Löscher auf das Engagement seines Unternehmens in Vietnam an. Er will wissen, ob das geplante U-Bahn-Projekt in der Hauptstadt Hanoi für Siemens wirklich so wichtig sei. Doch weil der Österreicher den Abgeordneten, der da vor ihm steht, nicht kennt und daher nicht weiß, dass er es mit einem der mächtigen Haushälter des Bundestages zu tun hat, ist er nicht gerade auskunftsfreudig.

Ein Fehler, wie Löscher bald erkennen muss: Zurück in Berlin stellt Kampeter den vom Wirtschaftsministerium befürworteten Staatszuschuss zum Hanoi-Projekt in Höhe von 85 Millionen Euro erst mal infrage. Sehr zum Ärger des Ministeriums wie des Unternehmens. Dabei sei das ein ganz normaler Vorgang, findet Kampeter bis heute. „Das genau ist doch parlamentarische Kontrolle. Ich habe eine Regierungsaussage gegengeprüft“, sagt er schlicht.

Rauer Ton auch unter Parteifreunden

Seit 2009 ist Steffen Kampeter Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Mit dem Seitenwechsel hat er kein Problem. „Die Rolle der Haushälter ist es jetzt, Informationen aus mir herauszubekommen. Genau so, wie ich damals versucht habe, Informationen von der Regierung zu erhalten“, sagt er. Einen selbstbewussten Haushaltsausschuss hält er nach wie vor für enorm wichtig – „selbst wenn er mich quält“. Der 50-Jährige setzt auf Partnerschaft. „Wir vom Finanzminis­terium sind ja auf Regierungsseite diejenigen, die auf das Geld achten.“

Im Grunde, so urteilt der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler, arbeiten die Ministerien auch gut mit den Haushältern zusammen. Kindler muss es wissen – als haushaltspolitischer Sprecher steht er für die Strategie der Haushaltspolitik seiner Fraktion und ist zugleich Ansprechpartner für Regierungsvertreter. Unter denen sei bekannt, dass man den Haushaltsausschuss nicht verärgern sollte, sagt Kindler.

Und dennoch kommt es immer wieder zu Reibereien. Insbesondere natürlich, wenn es in Richtung Haushaltsverabschiedung geht. In der Vergangenheit herrschte da gelegentlich ein recht rauer Ton – auch unter Parteifreunden. So wurde der Haushalt von Entwicklungsminister Dirk Niebel für das Jahr 2013 um einige Millionen zusammengestrichen. Und zwar auf Antrag der FDP-Haushälter.

Fraktionen schonen “ihre” Minister nicht

Ein ähnliches Schicksal erlitt auch der Etat von Außenminister Guido Westerwelle. Doch auch die anderen Fraktionen schonen „ihre“ Minister nicht. Sie habe 2005 als Hauptberichterstatterin über den Haushalt des Umweltministeriums von Sigmar Gabriel befinden müssen, erinnert sich die SPD-Haushaltsexpertin Petra Hinz. „Wenn Sie bei der Bereinigungssitzung so zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens dabei gewesen wären, hätten Sie nicht gedacht, dass wir ein und derselben Partei angehören“, sagt sie.

Die Bereinigungssitzung bildet Höhepunkt und Abschluss der Haushaltsberatungen. Sämtliche Minister müssen dabei nacheinander vor dem Ausschuss erscheinen und Auskunft geben. Es ist die letzte Gelegenheit, Einfluss auf die Ausgabenplanung zu nehmen, ehe der Bundestag den Etat verabschiedet. Nicht selten dauert die Sitzung bis in die Morgenstunden. Und nicht selten wird es im und um den Sitzungssaal herum etwas lauter, wenn sich Abgeordnete und Regierungsvertreter hitzige Wortgefechte liefern.

Nicht nur bei den jährlichen Haushaltsberatungen, sondern auch bei der Kontrolle der Mittelverwendung durch die Ministerien kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. „Genervt“ sei da der ein oder andere Ministeriumsvertreter schon mal, sagt Petra Hinz. Das Haushaltsrecht sehe es aber nun mal vor, „dass sich die Minister auf die Finger geschaut fühlen“.

Was traut sich die Opposition gegenüber der Regierung?

Ausschussvorsitzende Lötzsch sieht in der aktuellen Situation eine Extraportion an Verantwortung bei den Abgeordneten der Großen Koalition. Diese müssten besonders aktiv sein, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass der ein oder andere Minister denkt, er könne dem Parlament auf der Nase herumtanzen. „Da sollte man ganz schnell zeigen, dass dem nicht so ist“, fordert sie.

Was traut sich die Opposition gegenüber der Regierung? Für den Grünen-Haushaltsexperten Kindler ist das die haushaltspolitische Gretchenfrage dieser Wahlperiode: „Ich bin gespannt, ob die Koalitionsfraktionen gegenüber den Ministerien klare Kante bei der Haushaltskontrolle zeigen werden.“

Nicht nur zwischen Abgeordneten und Ministerien wird im Übrigen gestritten, sondern auch zwischen Haushältern und Fachpolitikern einer Fraktion. Von einem Dauerzwist könne zwar keine Rede sein, sagt Gesine Lötzsch. „Wir fühlen uns aber schon berufen, darauf hinzuweisen, dass alles finanzierbar sein muss.“ Nicht anders geht es der SPD-Haushälterin Hinz. „Manchmal muss man Entscheidungen treffen, die anderen wehtun“, sagt sie. Und dass sie dafür nicht immer Freundlichkeit ernten würde. „Aber das muss man aushalten können.“

Um den Korpsgeist innerhalb des Haushaltsauschusses zu stärken, treffen sich dessen Mitglieder mitunter in der „Papierkneipe“ – wenige Schritte vom Sitzungssaal des Ausschusses im Paul-Löbe-Haus entfernt – auf einen Kaffee, ein Glas Wein oder ein Bier. Wie die heimelige Stammkneipe zuhause wirkt der große Büroraum mit dem riesigen Tisch an einem sitzungsfreien Tag allerdings nicht.

Kompromisse bei einem Bier

Zwar gibt es in der Tat eine Zapfanlage, doch fehlt zurzeit das Bierfass. Und auf dem Tisch türmen sich nicht leckere Speisen, sondern jede Menge Ordner. „Die Abgeordneten finden in den Mappen alle Unterlagen, die für die kommende Sitzung relevant sind“, erklärt Christian Majewski, Büroleiter des Haushaltsausschusses und derzeit vertretungsweise Chef der 16 Mitarbeiter.

Majewski kann aber durchaus bezeugen, dass sich hier am Ende eines langen Sitzungstages eine gewisse Gemütlichkeit breitmacht. „Dann zapft sich der ein oder andere auch mal ein Bier“, sagt er. „Die Papierkneipe ist wichtig für die kollegiale Zusammenarbeit über die Fraktionsgrenzen hinweg“, findet denn auch Sven-Christian Kindler von den Grünen. Als Ort, der sich für die Suche nach Kompromissen eignet, wird sie von Gesine Lötzsch beschrieben.

Gelegenheit dazu gibt es in diesem Jahr gleich zweimal. Ende November soll der Etat für 2015 stehen. Zuvor aber muss noch der Haushalt für das laufende Jahr beschlossen werden, der aller Voraussicht nach im März in erster Lesung im Bundestag beraten wird. Erst kurz vor der Sommerpause wird mit der abschließenden Beratung im Bundestag gerechnet.

Eine fraglos ungewöhnliche Situation. Lötzsch warnt dennoch vor übertriebener Eile. „Die berechtigte Kritik an den sich ewig hinziehenden Koalitionsverhandlungen darf nicht dazu führen, dass nun der Haushalt nicht ausgiebig beraten wird“, betont sie.

Finanzstaatssekretär Kampeter beruhigt indes: „Es ist geregelt, dass das Königsrecht des Parlaments“ – eben die Haushaltskontrolle – „nicht durch die Neubildung einer Regierung ausgehebelt wird.“

Espresso oder Filterkaffee?

Bleibt eigentlich nur ein Problem. Derzeit ist die sagenumwobene Kaffeemaschine der Papierkneipe kaputt. Wobei: Sagenumwoben war wohl eher ihre Vorvorgängerin. Niemand Geringeres als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl hatte zu Zeiten der christlich-liberalen Koalition in Bonn dem Haushaltsausschuss eine schicke und nicht ganz billige italienische Espressomaschine spendiert – dabei galt damals der Filterkaffee noch als tolle Erfindung.

Als das gute Stück den Dienst quittierte, kam flugs ein neues Modell aus dem seinerzeit von Frank-Walter Steinmeier geführten Kanzleramt. Mal abwarten, wie spendabel es sich unter Angela Merkel in Sachen Kaffeeversorgung der Haushälter zeigen wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wer das Sagen hat. Das Heft können Sie hier bestellen.