Der Mimik-Code der Macht

Praxis

Bei Tieren und auch bei uns Menschen lässt sich anhand der Körpersprache feststellen, wem der Alpha-Status, die Führungsrolle in einer Gruppe, zukommt. Diese nonverbalen Signale der Macht finden sich bei allen Führungspersönlichkeiten in Politik und Wirtschaft. Was bringt es, diese Zeichen zu kennen? Es hilft dabei zu verstehen, warum sich manche Menschen besser durchsetzen können als andere. Gleichzeitig lassen sich diese Zeichen auch bewusst einsetzen, um die eigene Durchsetzungskraft zu stärken.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Manchmal lassen wir uns von der Fassade der Macht blenden und übersehen dabei wichtige Informationen. Das muss nicht immer heißen, dass uns diese Signale einschüchtern, manchmal sind wir schlichtweg beeindruckt von der Ausstrahlung einer Person. Doch dann ist Vorsicht geboten: Wir bemerken in solchen Situationen vielleicht nicht, dass derjenige eigentlich unsicher ist und nur blufft. Wer allerdings weiß, worauf er achten muss, erkennt leicht Risse in der Fassade und sieht, was in einer Person wirklich vorgeht.

Die fünf nonverbalen Marker von Macht

Es gibt fünf typische nonverbale Signale der Macht. Nicht alle treten bei jedem Menschen in einer Machtposition auf. Dennoch sollte man die Marker im Einzelnen kennen und erkennen.

1.    Die typische Mimik von Machtmenschen ist das Pokerface: Wer es aufsetzt, sitzt beispielsweise in einer Verhandlung oder Podiumsdiskussion einfach da, hört zu und verzieht dabei keine Miene. Wer diese Eigenart nicht kennt, lässt sich von ihr möglicherweise stark verunsichern. Menschen in Machtpositionen neigen zu wenig bewegter Mimik und demonstrieren auf diese Weise ihre Souveränität.

2.    Raumeinnehmende Bewegungen, etwa sich zu strecken oder die Arme auf angrenzende Stühle zu legen, sind klassische Signale von Dominanz. Dies lässt sich leicht erklären: Je höher der soziale Status und Einfluss, desto mehr Raum beansprucht eine Person für sich. Diese Tendenz ist häufig auch im Tierreich zu beobachten. Weitere Beispiele für raumeinnehmende Bewegungen: die Arme in die Hüften stemmen oder ein etwas mehr als hüftbreiter Stand.

3.    Eine offene Körperhaltung ist ebenfalls typisch für mächtige Personen. Studien haben gezeigt, dass die meisten Menschen eine offene Körperhaltung vor allem mit positiven Eigenschaften wie Durchsetzungsstärke, sozialem Einfluss und Attraktivität verbinden. Eine offene Körperhaltung ermöglicht freie Sicht auf die Körperachse. Eine geschlossene Körperhaltung entsteht, wenn die Arme oder ein Gegenstand die Körpermitte verdecken. Das geschieht beispielsweise, wenn wir die Arme verschränken oder eine Schreibmappe vor den Körper halten.

4.    Personen, die andere beispielsweise an der Schulter berühren, ohne dass diese Berührung erwidert wird, werden von Außenstehenden als sozial einflussreicher eingeschätzt als ihr Gegenüber. Wie lässt sich das erklären? Aus der Verhaltensforschung ist bekannt, dass das Hierarchieverhältnis bestimmt, wer wen berühren darf. Die unausgesprochene Regel lautet: Die Person mit dem höheren Status darf die rangniedrigere berühren – nicht umgekehrt. So ist kaum vorstellbar, dass ein einfacher Abgeordneter im Gespräch mit dem Fraktions- oder Parteichef seine Hand auf dessen Schulter legt. Der umgekehrte Fall ist wesentlich wahrscheinlicher.

5.    Menschen in Machtpositionen zeigen im Vergleich zu anderen Personen weniger Anzeichen von Stress in der Körpersprache. Verhaltensforscher haben sogar beobachtet, dass bei Anwesenden nonverbale Stresssignale zunehmen, wenn sich eine hierarchisch höhere Person nähert. Vor allem sogenannte Beruhigungsgesten häufen sich, wie das Kratzen im Gesicht oder das nervöse Spielen mit einem Gegenstand.

So lässt sich die eigene Durchsetzungsstärke erhöhen

Dosiert lassen sich die nonverbalen Marker der Macht bewusst einsetzen, um die eigene Überzeugungskraft beispielsweise in einer Eröffnungsrede oder einem Interview zu steigern. Es gilt jedoch, dabei die Balance zu wahren: Zu viele oder zu deutliche Dominanz-Gesten können abschreckend wirken und den Eindruck von Imponiergehabe vermitteln.

In jedem Fall sollte eine geschlossene und eingefallene Körperhaltung vermieden werden, da eine offene und aufrechte Haltung mit positiven Eigenschaften verbunden wird und die eigene Überzeugungskraft unterstreicht. Eine Studie der renommierten Har­vard-Psychologin Amy Cuddy hat außerdem gezeigt, dass eine bewusst eingenommene aufrechte und offene Körperhaltung positiv auf die eigenen Gefühle wirkt. Bereits nach zwei Minuten sinken die Stresshormonwerte und Selbstsicherheits-Hormone schießen ins Blut. Dadurch nehmen automatisch auch die Beruhigungsgesten ab. Bewusst eine aufrechte und offene Körperhaltung einzunehmen, löst also eine positive Gefühlsspirale in uns aus.

So erkennt man Risse in der Fassade

Macht es das für Mächtige typische Pokerface wirklich schwer zu erkennen, was in einer Person vorgeht? Oberflächlich betrachtet: Ja. Sieht man genau hin: Nein. Das liegt an den sogenannten Mikroexpressionen. Dabei handelt es sich um emotional ausgelöste Gesichtsausdrücke, die gerade einmal für 40 bis 500 Millisekunden über unser Gesicht huschen. Dem unwissenden Auge bleiben sie meist verborgen. Da unsere mimische Muskulatur direkt mit unserem Emotionszentrum im Gehirn verdrahtet ist, lassen sich diese Ausdrücke nicht mit dem Verstand kontrollieren. In der Zeitspanne von unter einer halben Sekunde gibt es für einen trainierten Beobachter kein Pokerface.

Um die wahren Gefühle eines Menschen zu erkennen, muss man also auf die schnellen und feinen Bewegungen im Gesicht achten. Hierbei gibt es sieben Emotionen, die kulturübergreifend gleich ausgedrückt werden: Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Trauer und Freude. Mit einem wachen und wissenden Auge sowie ein bisschen Übung fallen Mikroexpressionen mehr und mehr auf. Wer weiß, wie man hinter die Mimik-Fassade der Macht blicken kann, erkennt leichter, was in einem Gesprächspartner wirklich vorgeht.

Manchmal reicht es aber schon aus, das Pokerface als Eigenart von Menschen in Machtpositionen zu erkennen. Es geht darum, dieses und andere nonverbale Signale der Macht weniger mit sich selbst als vielmehr mit der Persönlichkeit des Gegenübers und der Gruppendynamik in Zusammenhang zu bringen. Und das kann unheimlich erleichtern.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2015. Das Heft können Sie hier bestellen.