Mehr als sechs Millionen Menschen folgen „Bibi“ auf Instagram, kaum weniger Fans hat „Dagi Bee“. Und die minderjährigen Zwillinge Lisa und Lena erfreuen sich sogar mehr als 13 Millionen Follower auf der Plattform. Man nennt diese Social-Media-Stars Influencer. Weil sie andere Menschen nicht nur erreichen, sondern sie sogar dazu bringen können, gewisse Dinge zu tun oder zu kaufen. Und so ist seit einigen Jahren die Disziplin Influencer-Marketing aus der Industrie nicht mehr wegzudenken.
Große und kleine Firmen treten an Influencer heran, stellen ihnen Produkte, laden sie zu Präsentationen ein, lassen sie durch die Weltgeschichte reisen, damit sie auf Youtube, Instagram oder in deren Blog darüber berichten. Im Gegenzug kassieren die Influencer dafür Geld. Die Großen der Branche verdienen sich an diesem Tauschgeschäft eine goldene Nase.
Wer vor allem junge Menschen zu einer Handlung bewegen möchte, kommt nicht mehr um das Thema Influencer-Marketing herum. Langsam begreift das auch die Politik. Kaum ein Spitzenpolitiker, der vor der vergangenen Bundestagswahl nicht versucht hat, einen Influencer zu treffen oder gar von einem solchen interviewt wurde. Die Youtuber „ItsColeslaw“, „Mr. Wissen2Go“, „Alexi Bexi“ und Ischtar Isik interviewten im vergangenen Jahr die Bundeskanzlerin. Die Kritik der Medien im Anschluss lautete, das Gespräch sei zu weich und zu beliebig gewesen.
Doch schließlich ist es genau das, was Influencer so groß und einflussreich macht: Sie tun gar nicht so, als seien sie investigative Journalisten. Im besten Fall handeln sie danach, was sie persönlich interessiert, und wirken darum authentisch. Menschen folgen ihnen, weil sie das Gefühl haben: „Das könnte auch ich sein“. Es gibt keine allzu große Distanz zwischen Fan und Idol, kein alles überstrahlendes Talent wie bei einem Musiker, einem Schauspieler oder Sportler. Influencer – das sind wir alle. Theoretisch. In der Praxis ist es wie mit der abstrakten Kunst: Jeder meint, dass das so einfach sei. Aber nur einige wenige sind wirklich erfolgreich.
Diskussion im Kanzleramt
Wenn Influencer etwas über ein Produkt posten, lösen sie bisweilen Lawinen aus; zum einen, weil sie viele (junge) Menschen erreichen, zum anderen, weil ihrem Urteil Vertrauen geschenkt wird. Auf diesen Effekt sollte auch die politische Kommunikation setzen. Gerade unter dem Aspekt, dass Politikverdrossenheit speziell unter den jüngeren Zielgruppen verbreitet ist.
Die Influencerin Diana zur Löwen würde sich nach eigener Aussage gerne häufiger mit politischen Akteuren austauschen. Ihr Geld verdient die 22-Jährige damit, dass sie unter anderem für Kosmetik- und Lifestyle-Produkte wirbt. Zudem hat sie mit „Co-Design“ ein Unternehmen gegründet, das anderen Firmen dabei helfen soll, erfolgreich Marketing und Werbung für die Generation Z zu machen. Unlängst traf die Influencerin CSU-Politikerin Dorothee Bär. Der Kontakt entstand unorthodox via Privatnachricht auf Instagram. Zur Löwen schrieb die Staatsministerin an, diese antwortete, man traf sich im Kanzleramt und diskutierte. Über die Digitalisierung, über Politik – aber auch über Lippenstifte. Ein ganz normales Gespräch. Die Influencerin postete danach in ihrem Instagram-Account, auf Linked In und Facebook ein Foto von dem Treffen und löste damit in ihrer Community eine Diskussion über Politik aus. Ihr Ziel: „Ich will, dass sich meine Follower selbst weiter informieren. Politik ist ein Thema, das alle betrifft und auch interessiert – wenn man es richtig kommuniziert und die Relevanz für die Zielgruppe aufzeigt.“
Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) postete Ende Mai dieses Foto ihres Treffens mit Influencerin Diana zur Löwen auf Instagram. Der Hashtag: #politikgoesinfluencer (c) Screenshot Instagram/Dorothee Bär https://www.instagram.com/p/BjcqLHnBss8/?utm_source=ig_embed
Ungenutztes Potenzial
Was aber interessiert eine Generation, die den ganzen Tag auf Instagram und über Whatsapp kommuniziert, für die Facebook schon wieder uncool ist und für die die gedruckte Zeitung und auch das Fernsehen quasi nicht existieren? „Dialog ist wichtig. Es wirkt aufgesetzt und auch unglaubwürdig, wenn Politiker sich auf Social Media engagieren, dann aber nicht auf die Kommentare eingehen“, erklärt Kevin Tewe. Er berät seit Jahren Influencer und verhilft ihnen zu mehr Sichtbarkeit und Popularität. Seiner Meinung nach müssten sich deutlich mehr Politiker mit dem Thema Influencer-Marketing auseinandersetzen. „Es gibt viele Influencer, die sich für Politik begeistern und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerne mehr politisches Interesse vermitteln möchten. Das Problem ist, dass die meisten Politiker das Thema aber nur im Wahlkampf für sich entdecken. Dadurch fühlen sich viele Influencer instrumentalisiert und machen das Ganze nicht mit“, sagt Tewe. Auch die von ihm betreuten Influencer wurden vor der Bundestagswahl 2017 für diverse Aktionen angefragt. Die meisten Angebote lehnte er ab, weil er befürchtete, dass die Influencer nicht ernstgenommen werden würden: „Wir haben Vorschläge erhalten, bei denen ich das Gefühl hatte, dass das für die Politiker ein Spaziergang werden soll, bei dem sie im Vorbeigehen schnell mal die junge Zielgruppe mitnehmen. So geht es nicht.“
Die Industrie lechzt nach der Zusammenarbeit mit Influencern, um die Aufmerksamkeit junger Menschen zu gewinnen. Möchte die Politik mehr davon abhaben, muss sie den Influencern im Gegenzug etwas bieten – aber nicht monetär. „Ich würde im politischen Kontext auf keinen Fall Geld annehmen, um etwa für eine Partei zu werben. Dafür ist mir meine Überparteilichkeit und Unabhängigkeit zu wichtig“, stellt Diana zur Löwen klar. Wertschätzung habe viele Gesichter: Man könne gemeinsam Ideen entwickeln, wie eine Präsenz von einem Politiker im Account eines Influencers aussehen kann. Auch müssten Fragen von den Fans zugelassen werden. Wer vorab die Botschaften kontrollieren möchte, wird es also schwer haben. „Diejenigen, die versuchen, betont cool zu sein, erscheinen oft besonders uncool. Wenn ein Politiker mit Influencern arbeiten möchte, sollte er sich mit der Materie und vor allem mit den Menschen hinter den Accounts beschäftigen. Das würde er ja vor einem Interview mit einem Journalisten ebenso tun“, erklärt Tewe. „Look and Feel und Sprache mögen sich unterscheiden, aber die Logik ist die Gleiche wie in der Arbeit mit Journalisten.“
Und wer hat schon was dagegen einzuwenden, vor vielen Millionen Menschen um seine Positionen zu werben?
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 124 – Thema: Die Macht der Länder. Das Heft können Sie hier bestellen.