Münchner Netzwerker

Politik erscheint manchmal selbst im Sieg ungerecht. Obwohl Wolfgang Stefinger den Wahlkreis München-Ost mit 44,7 Prozent im ersten Anlauf geholt hat, lästert der „Münchner Wochenanzeiger“, der 28-Jährige sei bis vor Kurzem außerhalb von Waldperlach ein „unbeschriebenes Blatt“ gewesen. Stefinger sieht das ganz anders: „Ich denke, ich bin im Wahlkreis inzwischen sehr bekannt.“ Und auch beliebt. Immerhin konnte der derzeit zweitjüngste CSU-Bundestagsabgeordnete bei den Erststimmen auf den bisherigen CSU-Platzhirschen Herbert Frankenhauser über acht Prozent zulegen.

Stefinger ist tief in seiner Heimat verwurzelt. „I bin a Münchner Kindl“, sagt er. 1985 in der bayerischen Landeshauptstadt geboren, wächst er mit drei jüngeren Brüdern in Waldperlach auf. Die ganze Familie ist vor Ort aktiv. Der Bruder im Schützenverein, die Mutter im Vorstand der Pfarrgemeinde St. Bruder Klaus. Auch Wolfgang engagiert sich in der Gemeinde, leitet eine Jugendgruppe. Es ärgert ihn, dass eine Buslinie zum Nachbarort Neubiberg abgeschafft und Postfilialen geschlossen werden. Dagegen will er sich wehren. „Nur reden half nichts. Deshalb bin ich in die Politik gegangen.“

Mit 14 Jahren tritt Stefinger in die Junge Union ein, mit 16 Jahren in die CSU. Mit 18 wird er Chef des JU-Ortsverbandes, wenig später JU-Kreisvorsitzender. „Damit bekam ich Zugang zu ganz anderen Gremien und neue Einblicke weit über Waldperlach hinaus.“ 2008 wird er in den Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach gewählt, das Stadtteilparlament. Jetzt gestaltet er Lokalpolitik mit.

Auch mit der Ausbildung geht es zügig voran. Zwei Jahre nach dem Realschul-Abschluss schafft er die Fachhochschulreife, schreibt sich nach dem Zivildienst im Kreisklinikum Perlach an der Hochschule München ein und schließt das Studium 2009 als Diplom-Betriebswirt ab. Im gleichen Jahr wird Stefinger zum Ortsvorsitzenden der Waldperlacher CSU gewählt und rückt als Vize-Chef in den CSU-Kreisvorstand München-Ost auf.

Beruflich wie politisch hätte sich Stefinger damit einrichten können. Doch er will mehr. „Meine Professorin hat mir angeboten zu promovieren“, erzählt er. „Da ich einen FH-Abschluss habe, ging das nur durch die neu geschaffene Kooperationsmöglichkeit mit einer Universität.“ Neuland für die Hochschule. Und den Doktoranden. Zumal sich Stefinger mit der Arbeit über „Werte und Ethik in Krankenhäusern – Auswirkungen auf die Mitarbeiter“ die Messlatte hoch legt.

„Ich habe das Thema gerne gemacht, weil ich sehen konnte, dass selbst bei ethischen Konflikten im Krankenhaus gute Lösungen möglich sind, solange die Mitarbeiter mit Problemen nicht alleine gelassen werden.“ 2011 ist die Promotion geschafft; als Referent bei einer großen Krankenkasse startet Stefinger ins Berufsleben.

Im gleichen Jahr steht die Neuwahl der JU-Spitze in München an. Das Verfahren ist CSU-untypisch ein offenes Schaulaufen. „Da hat mancher gefragt: Wollt ihr die Grünen überholen? Aber ich fand es gut.“ Wohl auch, weil er am Ende gewinnt.

Die Wahl lehrt ihn, dass der Gewinner versuchen sollte, die Unterlegenen einzubinden. „Das Wichtigste für mich ist, dass ein Wettbewerb fair abläuft“, sagt er. Gegenseitiger Respekt sei wichtig. „Denn wahr ist auch: Andere sind fachlich oft genauso geeignet wie man selbst“, sagt Stefinger. Wer so spricht,  der ist weit davon entfernt, sich als Nabel der Welt zu sehen.

Ein Jahr später geht Stefinger ins nächste Auswahlverfahren. Nach 23 Jahren im Bundestag will Frankenhauser nicht mehr kandidieren. Ein Nachfolger wird gesucht. Wieder behauptet sich Stefinger gegen starke Konkurrenten. Gehärtet hat ihn das sicher. „Aber abgebrüht bin ich nicht. Und will es auch nicht werden“, sagt er. „Nur wer empfindsam ist, kann sich für Themen erwärmen.“

Da sind seine Präferenzen klar. Einsetzen will er sich für mehr Generationengerechtigkeit, gegen Altersarmut, für eine bessere Familienförderung und bessere Bildungschancen. Und natürlich für eine gute Gesundheits- und Pflegeversorgung. Das Gerede von der Gesundheitspolitik als Haifischbecken kümmert ihn nicht. „Ach, das ist nur so ein Stempel“, sagt er.

Längst ist er auch Berliner CSU-Größen aufgefallen. Johannes Singhammer, Vize-Präsident des Bundestages, sagt: „Den Kollegen Wolfgang Stefinger habe ich im Münchner Nachbarwahlkreis als jungen, entschlossenen, tat- und durchsetzungsstarken Politiker kennengelernt.“ Stolz auf Stefinger schwingt mit, wenn Singhammer erzählt: „Es heißt schon etwas, wenn ein Bundestagskandidat die Bundeskanzlerin zu einer Bierzeltveranstaltung in seinen Wahlkreis holt.“

Weil Stefinger weiß, dass sein Mandat zunächst auf vier Jahre begrenzt ist, stürzt er sich beherzt in die Arbeit. Dabei will er dafür sorgen, dass die Stimmungen und Erfahrungen der Parteibasis oben im Politikbetrieb berücksichtigt werden. Er will sich kümmern. Brücken bauen. „Dann wird Politik auch akzeptiert“, sagt er. Für seine bayerische Heimat geht er dafür auch ins preußische Berlin.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Team America – Die neuen Transatlantiker. Das Heft können Sie hier bestellen.