„Merkel hat kein Branding nötig“

p&k: Herr Beeson, in Mitt Romneys Wahlkampfteam waren Sie für die politische Strategie zuständig, also dafür, potenzielle Wählergruppen zu identifizieren und zu mobilisieren. Warum ist Letzteres nicht in ausreichendem Maße gelungen?
Rich Beeson: Die Demokraten hatten durch Obamas Amtsbonus einen großen Vorteil. Es ist immer schwer, gegen einen Amtsinhaber anzutreten, das haben auch die vergangenen Präsidentschaftswahlen gezeigt. In den letzten 30 Jahren war nur eine Herausforderer-Kampagne erfolgreich, nämlich die von Clinton gegen Bush Senior 1992. Aber 2016 fällt dieser Vorteil weg, dann müssen auch die Demokraten durch einen aufreibenden Vorwahlkampf.
Ist das Problem nicht grundlegender? Kritiker sagen, die Republikaner seien nur noch die Partei des „alten, weißen Mannes“.
Beeson: Das sehe ich anders. Sicher müssen wir wichtige Wählergruppen wie die Latinos besser erreichen. Mit Susana­ Martinez (Anm. d. Red.: erste Gouverneurin von New Mexico mit hispanischem Hintergrund) und Marco Rubio (Anm. d. Red.: Senator aus Florida und Sohn kubanischer Einwanderer) sind wir hier aber gut aufgestellt. Auch Chris Christie (Anm. d. Red.: Gouverneur von New Jersey, der zum liberalen Flügel der Republikaner gehört) versteht es, nicht-traditionelle Republikaner-Wähler anzusprechen.
Eine große Rolle beim US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 spielten erstmals die sogenannten Super-Pacs. Wie bewerten Sie die Rolle dieser Spenderplattformen?
Beeson: Ich sehe diese Reform der Kampagnenfinanzierung sehr kritisch. Ziel der Reform war es, das Geld aus der Politik herauszuhalten, indem das Spendensammeln auf die Super-Pacs ausgelagert wurde. Der Effekt war aber, dass die Wahlkampffinanzierung aus den Parteistrukturen verdrängt wurde. Für die Romney-Kampagne haben wir rund eine Milliarde Dollar aufgetrieben, was lächerlich gering war im Vergleich zu dem, was die Super-Pacs an Spenden eingenommen haben. Auch hatten wir keinen Einfluss darauf, wie diese ihre Mittel aufbringen. Neben dieser Schwächung des Parteiapparats bereitet mir noch etwas anderes Sorgen.
Und das wäre?
Beeson: Der zunehmende Einfluss der Super-Pacs auf die Wahlkampfführung. Da gab es schlimme Auswüchse. So hat etwa Priorities USA Action …
… ein Super-Pac, das US-Präsident Obama unterstützte, …
Beeson: … im August 2012 in einem Wahlvideo nahegelegt, dass Romney mitverantwortlich für den Krebstod einer Frau sei.
In diesem Video erzählte Joe Soptic, ein ehemaliger Arbeiter des Stahlwalzwerkes von Kansas City, dass er seinen Job verloren habe, nachdem Romneys Investmentunternehmen Bain Capital das Werk übernommen und geschlossen habe. Dadurch hätten er und seine Familie sich keine Krankenversicherung mehr leisten können. Kurz darauf sei seine Frau an Krebs erkrankt, der aber wegen der fehlenden Krankenversicherung viel zu spät diagnostiziert worden sei.
Beeson: Ein Vorwurf, der nachweislich falsch war und die Demagogie im Wahlkampf befördert hat. Dies alles schwächt die Rolle der Parteien als Gestalter der Politik.
Ralf Güldenzopf: Denkst du, die Super-Pacs könnten irgendwann die Rolle der Parteien übernehmen und beispielsweise die Kandidaten nominieren?
Beeson: Es wird immer Delegierte geben und damit auch Parteien, in denen sie sich organisieren. Das Problem ist, dass die Infrastruktur der Parteien zunehmend ausgehöhlt wird. Sollte diese Entwicklung so weitergehen, kann es sein, dass die Großparteien bald nur noch über eine rudimentäre Basisstruktur verfügen und nicht mehr als eine Art Hülle sind. Das heißt, sie dienen zunehmend nur noch als loser Rahmen für die Gestaltung von Politik; die Macht hingegen wandert ab.
Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat die These aufgestellt, Obamas neue Amtszeit werde zu einer „Dauerkampagne“. Hintergrund seien die verhärteten Fronten zwischen Demokraten und Republikanern. Wie sehen Sie das?
Beeson: Was der „Spiegel“ als „Dauerkampagne“ bezeichnet, ist eine gängige Mobilisierungsstrategie für das eigene Lager. Nach einer Wahl, für die ja alle Kräfte mobilisiert wurden, ist es für den neu- oder wiedergewählten Präsidenten nicht einfach, die Partei weiter geschlossen hinter sich zu scharen. Um den Sammlungseffekt der Wahl möglichst lange wirken zu lassen, versucht er daher in der Regel, politische Großprojekte im Kampagnenstil zu verkaufen. Auch Georg W. Bush hat diese Strategie 2005 nach seiner Wiederwahl angewendet, um seine Immigrationsreform durchzudrücken. Und Obama versucht nun so, seine Agenda beim Kampf um den US-Haushalt und seine Reform des Einwanderungssystems durchzusetzen.
Herr Güldenzopf, im US-Wahlkampf war Micro-Targeting ein wichtiger Trend. Was können die deutschen Wahlkämpfer daraus lernen?
Güldenzopf: Eine Menge. CDU und SPD haben eine gute Infrastruktur. Mit jeweils fast 500.000 Mitgliedern sind beide Parteien bestens aufgestellt. Wichtig ist es, dass sie sich konkrete Ziele setzen, wie zum Beispiel: Wie viele Leute wollen wir erreichen? Wie viele Haustürbesuche streben wir an? Diese Ziele müssen sie dann konsequent verfolgen.
Für ihre zielgenaue Wähleransprache verfügen die US-amerikanischen Parteien allerdings über umfangreiche Datenbanken mit genauen Informationen über die Bürger. In Deutschland gelten da deutlich strengere Datenschutzbestimmungen.
Güldenzopf: Das stimmt. Ich glaube allerdings, dass diese Bestimmungen oft als Entschuldigung dienen, um nicht mit den Wählern sprechen zu müssen. Dabei sollten die Parteien auf die Straße gehen, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Eine starke Botschaft und Selbstbewusstsein sind dabei wichtig. Wir brauchen nicht unbedingt die Wahltechniken aus den USA, aber mehr von ihrer Kultur: In den USA ist es selbstverständlich, sich zu einer Partei zu bekennen – das täte uns in Deutschland auch gut.
Die SPD fährt also mit ihrem „Bürgerdialog“, mit Haustürwahlkampf und Wohnzimmerbesuchen, eine sinnvolle Strategie?
Güldenzopf: Ja, auf jeden Fall. Ich wundere mich immer, wenn Parteien verkünden, dass sie mit den Bürgern ins Gespräch kommen wollen – das sollte selbstverständlich sein. Der direkte Kontakt zu den Wählern ist äußerst wichtig. Ich habe noch nie gehört, dass Politiker von Bürgern verjagt wurden. Anrufe hingegen sind bei den Wählern nicht so beliebt. Bei Haustürbesuchen kann man die Leute auch fragen, ob sie weitere Infos wollen – wenn sie einwilligen, kann man darauf Datenbanken aufbauen.
Beeson: Haustürbesuche sind direkt und natürlich; einen besseren Kontakt zu den Wählern kriegen Parteien und Kandidaten nie. In den USA bringt ein guter Tür-zu-Tür-Wahlkampf entscheidende Vorteile. Bei den Republikanern lag die Zahl der Haustürbesuche 2008 bei 2,5 Millionen, im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf bereits bei 15 Millionen.
Da müssten die CDU-Wahlkämpfer vor allem in den großen Städten ran, denn dort hat die Partei ein Mobilisierungsproblem, wie die OB-Wahlen in Stuttgart, Frankfurt und Hamburg gezeigt haben. Woran liegt das?
Güldenzopf: Ich denke, es liegt nicht so sehr an den Politikinhalten, sondern mehr am personellen Angebot. Die Kandidaten müssen einen urbanen Lebensstil verkörpern – Kultur und Mode spielen hier beispielsweise eine Rolle. Es gibt solche Leute in unserer Partei, aber sie haben sich noch nicht durchgesetzt. Wir können als CDU sowohl ländliche, konservative als auch urbane, moderne Wählerschichten erreichen. Wir müssen uns nur genauer überlegen, welche Kandidaten wir aufstellen.
Herr Beeson, angenommen, Sie wären der Wahlkampfmanager von Angela Merkel: Welches Image würden Sie ihr im Bundestagswahlkampf verpassen?
Beeson: Was Angela Merkel auszeichnet, ist der Eindruck von Effizienz, den sie hinterlässt. Dieser entsteht durch ihren nüchternen Regierungsstil, ihr unprätentiöses Auftreten sowie ihren sachlichen Charakter; die Frau ist vor der Kamera genauso wie hinter ihr. Dazu kommt, dass sie in der Riege der Staatsmänner weltweit ein sehr gutes Standing hat. Eine solche Aura kann man nicht vortäuschen, die Menschen spüren das. Es gibt Kandidaten, die sind darauf angewiesen, dass man ihnen ein Image schafft, was, nebenbei gesagt, oft Teil meines Jobs ist. Aber bei Merkel ist es einfach nicht nötig, ein Branding zu betreiben. Die Frau überzeugt so, wie sie ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Im Auftrag des Herrn – wie die Kirche ihre Macht wahrt. Das Heft können Sie hier bestellen.