Pluralität ist immanenter Wesenskern des demokratischen Prozesses. Niemand ist im Besitz einer objektiven Wahrheit. Der Kampf um die Deutungshoheit gleicht dabei selten der viel bemühten „Lobbyschlacht“. Statt des Säbels und martialischer Worte sind das Florett und die hohe Kunst der Diplomatie die Waffen der Wahl.
Unternehmensrepräsentanten vermitteln im Gesetzgebungsprozess zwischen Politik und Wirtschaft. Sie sind mehr Getriebene als Antreiber im politischen Prozess. Selten stoßen sie Gesetze an, ständig müssen sie auf aufkommende Initiativen der Politiker reagieren. Proaktiv können Unternehmensvertreter auf der Berliner Bühne nur bei langfristigen Trends agieren. Für den Erfolg führen Vertreter ausländischer wie deutscher Unternehmen persönliche Gespräche, erstellen Positionspapiere, organisieren Veranstaltungen, besuchen Parteitage, arbeiten im Verband mit oder schmieden temporäre Allianzen. Ziel ihres Instrumenten-Mix sind Politiker, deren Mitarbeiter sowie Beamte der Fach- und Führungsebene.
Statt nach Schema F setzen die Unternehmensrepräsentanten die Instrumente fallabhängig flexibel ein. Mithilfe von Erfahrung und politischem Instinkt manövrieren sich die Repräsentanten durch das Berliner Entscheidungsdickicht. Zuerst suchen sie den Kontakt mit Ministerien, Kanzleramt und nachgeordneten Behörden. Die Beamten erarbeiten nach den politischen Vorgaben der Hausleitung den Gesetzentwurf und sind dafür auf externe Expertise angewiesen. Zwar müssen sie die Ziele ihres Dienstherrn im Blick haben, jedoch verfolgen die politisch denkenden Berliner Beamten durchaus eine persönliche Agenda. Auch nach der Eingabe des Entwurfs in den Bundestag haben sie durch die Abstimmungen mit den Fachpolitikern bei Änderungen immer noch eine Hand am Papier. Die Federführung geht jedoch an die Abgeordneten über, die die alleinige Entscheidungsgewalt ausüben. In jedem Gesetzgebungsprozess bewahrheitet sich das sogenannte Strucksche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist.
Abweichungen ergeben sich während des Wahlkampfs und in Koalitionsverhandlungen, dort spielen Beamte eine geringere Rolle. Im Kalender der Interessenvertreter sind besonders die Phasen der Wahlprogrammerstellung und die der Regierungsbildung rot markiert.
Wichtig ist, wer Dinge durchsetzen kann
Politiker sind wesentlich abhängiger von ihrem Image in der Öffentlichkeit als der im Maschinenraum werkelnde Beamte. Im Austausch muss die mediale Bewertung eines Anliegens daher adressatenabhängig miteinbezogen werden. Ebenso spielt die Hierarchieebene des Gegenübers mit rein. Mit steigender Hierarchie nimmt die Fachexpertise zugunsten von Fähigkeiten der Koordination und strategischen Einbettung politischer Themen ab. Der Wille zur Macht ist Politikern wie Beamten gemein, die versuchen, ihren Konkurrenten mithilfe der Interessenvertreter ein Schnippchen zu schlagen. Diese fokussieren sich stärker auf die Regierungsfraktionen. Wichtig ist, wer Dinge durchsetzen kann.
Die Unternehmensrepräsentanten halten aber mit Vertretern aller demokratischen Parteien Kontakt. Nur so kann ein breites Meinungsspektrum in die eigenen strategischen Überlegungen einfließen. Auch muss ein Regierungswechsel stets mitgedacht werden. Ein vertrauensvolles Netzwerk zu pflegen und auszubauen ist elementarer Bestandteil der Tätigkeit und die Dicke des Adressbuchs ein Kompetenznachweis.
Vertrauen und Sachlichkeit werden in den Arbeitsbeziehungen groß geschrieben. Politiker und Beamte bewerten das Produkt- und Dienstleistungsportfolio der Unternehmen im Gespräch pragmatisch. Auch die Herkunft eines Unternehmens spielt keine besondere Rolle. Gegenüber deutschen Stammunternehmen können die Interessenvertreter folgerichtig keine Diskriminierung erkennen. Im Vordergrund stehen Arbeitsplätze, Steueraufkommen oder Innovationsfähigkeit. Politiker und Beamte heften sich die Ansiedelung ausländischer Unternehmen außerdem gerne ans eigene Revers.
Immer mehr Unternehmen sind der Meinung, in der Hauptstadt präsent sein zu müssen, um ihren Erfolg zu sichern. Sie wollen raus aus der Anonymität fernab von Berlin und suchen die kurzen Wege zu Politikern und Beamten. Hauptstadtrepräsentanzen fungieren als Satellit im Berliner Kosmos. Die Mitarbeiter der Büros sind im politischen Berlin das Gesicht ihres Unternehmens und umkreisen den politisch-administrativen Apparat. Die Unternehmensrepräsentanten speisen Expertise ein, zeigen auf, was eine politische Initiative oder ein Gesetzentwurf für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeutet und ermöglichen so fundierte Gesetzgebung. Interessenvertretung ist aber nicht gleich Interessenvertretung. Die Unternehmensrepräsentanten sind allerdings mit Vorurteilen seitens der Öffentlichkeit konfrontiert, zivilgesellschaftliche Gruppierungen werden einseitig positiv dargestellt. Um beide Seiten angemessen einbeziehen zu können, dürfen Entscheidungsträger nicht schwarz-weiß denken, sondern müssen Grauschattierungen beherrschen.
Unternehmensrepräsentanten haben nichts zu verbergen und zeigen sich offen gegenüber einer Regulierung von Interessenvertretung etwa nach dem Brüsseler Vorbild. Festgehalten werden muss dabei, was derartige Versuche nicht leisten können: Das stets aktuelle Nachvollziehen von Interessenvertretung und deren Wirkungsmacht. Es kann immer nur um Strukturdaten im Nachhinein und nicht um Daten zu Vorgängen der politischen Willensbildung in Echtzeit gehen. Geschweige denn, diese in Gänze nachvollziehen zu können, wie uns schon John F. Kennedy lehrte: „There will always be the dark and tangled stretches in the decision making process – mysterious even to those who may be most intimately involved.“