Der Unterschied könnte größer kaum sein: Wer sich früher als junger Mensch politisch engagierte, tat dies mehrheitlich in etablierten Parteien. Ochsentour, Marsch durch die Institutionen, Parteiämter, langer Atem. Hinzu kamen im Vergleich zu heute klare Weltbilder: Wer etwa der Babyboomer-Kohorte bis Mitte der 1960er-Jahrgänge angehörte, war entweder von seinen durch die 68er-Bewegung geprägten Lehrern angetan oder abgeschreckt.
Die Folge der ideologischen Aufladung auf den Schulhöfen und an den Universitäten der Bundesrepublik waren hohe Mitgliedszahlen der großen politischen Nachwuchsverbände – sowohl Jungsozialisten als auch Junge Union verzeichneten Mitte der siebziger Jahre weit mehr als 250.000 Mitstreiter, was heute unvorstellbar erscheint.
Die politische Einordnung fiel leicht: USA oder Sowjetunion, Bundeswehr oder Verweigerung, Nachrüstungsgegner oder Reagan-Anhänger, Gut oder Böse – je nach Perspektive des politischen Standpunkts oder Herkunft im damals geteilten Deutschland.
Heute stehen dieser klassischen staatsbürgerlichen Sozialisation moderne Bilder entgegen, die symbolisieren, dass die Welt komplexer, Zusammenhänge komplizierter und Entwicklungen schneller geworden sind: Die Facebook-Revolution des Arabischen Frühlings, Baumbesetzer gegen Stuttgart 21, das Zwischenhoch der Piratenpartei, themenbezogenes Kurzzeit-Engagement (zum Beispiel für oder gegen TTIP), Smartphone-Kommunikation rund um Maidan und Taksim-Platz, junge Helfer vor Flüchtlingsunterkünften oder die Blockupy-Bewegung.
Wie das schnelle Setzen eines Facebook-Likes kommt politische Willensbildung mehr aus dem spontanen Bauchgefühl und weniger aus vormals langfristigen Bindungsgedanken. Das passt zu den nicht mehr vorhandenen Grundfesten: Von veränderten Mega-Themen wie der Energiewende, der konsensgetriebenen Großen Koalition bis hin zu kurzfristig gewandelten Einzelfragen, etwa ob der Westen mit dem syrischen Machthaber Assad zusammenarbeiten darf – wenig erscheint heute so klar abgrenz- oder erklärbar wie früher.
Illustration: Marcel Franke
Wie tickt die heute junge Generation mit Blick auf politisches Engagement? Laut der jüngst vorgestellten 17. Shell-Jugendstudie ist deren Interesse für Politik nach längerem Absinken bis zum Jahr 2002 seither kontinuierlich gestiegen, auch wenn eine generelle Politikverdrossenheit bestehen bleibt.
Fast jeder zweite 15- bis 24-Jährige bezeichnet sich heute als politisch interessiert – und ebenso gestiegen ist die Bereitschaft, sich für den eigenen politischen Standpunkt zu engagieren. Das reicht vom Unterzeichnen von Online-Petitionen und Teilnahmen an Demonstrationen bis hin zum ideologisch geprägten Warenboykott.
Was bedeutet dies jedoch für die Zukunft von parteipolitischem Engagement? Die Parteien können von der Rückkehr des politischen Bewusstseins derzeit noch wenig profitieren, führt dieses doch bei der überwiegenden Mehrheit der Erst- und Jungwähler nicht zu einem dortigen Engagement. Parteiinterne Berechnungen gehen davon aus, dass sich die Mitgliederzahlen in den kommenden zehn Jahren halbieren werden.
Dabei haben die etablierten Parteien in den vergangenen Jahren manches getan, um sich offener und moderner zu präsentieren. Im Zentrum der Parteireformen stand zumeist die Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten für Mitglieder: Direktwahl des Spitzenkandidaten, Urwahl örtlicher Mandatsbewerber, digitale Sitzungen thematischer Arbeitsgruppen, Online-Befragungen. Doch im Kern geht es um die Frage, ob Menschen künftig bereit sind, sich bis zur Bahre per Mitgliedschaft an eine politische Gruppierung zu binden.
Früher galt: Einmal Arbeiterklasse, immer Arbeiterklasse. Doch welcher heute 17- oder 21-Jährige weiß, was ihn in zehn, dreißig oder fünfzig Jahren bewegen wird und wie die Welt dann aussehen mag? Lebenslange Mitgliedschaft in Zeiten von Carsharing, steigenden Scheidungsraten und hoher Job-Fluktuation? Parteilaufbahnen in Zeiten immer stärker geforderter beruflicher Mobilität?
Die Zeichen stehen auf mehr Kurzfristigkeit statt Kontinuität, Polit-Patchwork statt Stammwählern. So wie viele Menschen inzwischen Lebensmodelle und -phasen sowie „Familienmodule“ zusammenfügen, gilt dies auch für politische Selbstbestimmtheit.
Jedoch gibt es auch entgegengesetzte Zeichen: Der schnelle Niedergang der Piratenpartei und die Schwächen der Mitbestimmungs-Software „Liquid Feedback“ offenbaren, dass auch vermeintlich moderne politische Kanäle nicht die Zukunft darstellen müssen. So schnell politischer Druck durch Followerpower und virale Erfolge entstehen kann, so rasch kann er auch wieder abklingen.
Hashtags gehen, Apparate bestehen. So sehr Politiker und Parteien durch Social-Media-Wellen unter Druck geraten können, so sehr haben sie umgekehrt weiterhin die langfristigen Hebel der Macht im Griff: Flashmobs erobern keine Landeslisten, Kurzzeitaktivisten überdauern keine Wahlperioden.
Illustration: Marcel Franke
Der vielzitierten Generation Y wird es weniger auf Ämter und Parteikarrieren ankommen, aber diese wird es weiterhin geben. Denn am Ende, das wussten schon Revolutionäre über Jahrhunderte hinweg, bedarf es Strukturen, die länger Bestand haben als kurzfristige Ideen. Politik bleibt ein Handwerk – populäre Kurzstreckensprinter unterliegen dem Langstreckenläufer.
Auch wenn sich die etablierten Parteien in den kommenden Jahren deutlich verändern müssen, werden sie eine Zukunft haben – es kommt darauf an, ob insbesondere die großen Tanker Volksparteien den Mut beweisen, den Reformkommissionen auf Bundesebene auch Veränderungen und Öffnungen im Alltag der Parteiniederungen folgen zu lassen.
Modernität zeigt sich weniger auf einer frischen Homepage als im Umgang mit potenziellen Mitstreitern an der Basis. Die Chance dazu ist gegeben, selbst wenn die Scheidungsraten im Hinblick auf eine Parteimitgliedschaft wachsen werden. Doch manchmal gibt es ja auch die Liebe auf den zweiten Blick.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation IV/2015 Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.