Ein Mann, der den Wechsel liebt

Politik

Wenn Martin Jäger den Job wechselt, rätselt die Berliner Flüsterkulisse häufig: Was ist denn da los? Stimmt etwas nicht? So war es, als Jäger, heute 50, vor einem guten Jahr seinen gewiss mit hohem sechsstelligen Jahresgehalt bezahlten Job als Berliner Chef-Lobbyist des Daimler-Benz-Konzerns kündigte.

Denn als Leiter der Abteilung “Global External Affairs and Public Policy” war er damals praktisch der “Außenminister” des Weltkonzerns. Wie konnte er also den Wunsch hegen, als neuer deutscher Botschafter nach Afghanistan zu gehen, auf einen ebenso ungemütlichen wie gefährlichen und gewiss wesentlich schlechter bezahlten Posten?

Statt mit einer eleganten Daimler-Limousine bequem zu den Berliner Terminen zu fahren, nun im gepanzerten G-Klasse-Geländewagen in Kabul unterwegs zu sein – falls die einheimischen Sicherheitskräfte ihn überhaupt aus der Botschaft ließen: Wie nur konnte sich einer das freiwillig antun?

Und jetzt rätseln im politischen Berlin erneut viele: Was verbirgt sich dahinter, wenn ein waschechter Badener wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ausgerechnet einen ebenso waschechten “Schwooben” wie Martin Jäger als Pressesprecher engagiert? Und obendrein einen, der bisher im Berufsleben vor allem SPD-Politikern zugearbeitet hat?

Auf keinen Fall ein landsmannschaftliches Skandälchen im nach wie vor existenten, kleinkarierten, neidischen Gefummel zwischen Schwaben und Badenern in Deutsch-Südwest. Sondern die schlichte Tatsache, dass Schäuble klar war: Einen Besseren für diesen Job als den in Ulm geborenen Jäger würde er nicht finden. Denn ein vergleichbar erfolgreiches, beruflich-politisches Vorleben kann kein anderer Pressesprecher der Berliner Ministerien vorweisen.

Ein “hoch intelligenter Kerl”

Dem ehemaligen FDP-Außenminister Klaus Kinkel hat Jäger einst die europapolitischen Reden geschrieben. 1998 wechselte er zu Gerhard Schröder ins Kanzleramt. Wo immer Schröder über Eu-
ropa redete, die Texte waren von Jäger. In der Großen Koalition ab 2005 war er sogar Sprecher des Auswärtigen Amtes bei SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der verdanke seine Erfolge im Amt, erklärte Kinkel später, “diesem hoch intelligenten Kerle Jäger”.

Dabei war der “Kerle” nie Freidemokrat oder Genosse. Er sei CDU-Mitglied, sagt Jäger, denn “ich stamme aus einer konservativen pietistischen Familie von der Schwäbischen Alb”. Im Rückblick auf seine Zeit bei Steinmeier hält er dem Sozialdemokraten zugute, “dass er mich nahm, obwohl er natürlich wusste, dass ich parteipolitisch nicht passe”.

Jetzt darf der CDU-Mann Jäger endlich mal die Politik eines CDU-Mannes verkaufen. Nicht wegen der Partei mache er das, fügt er hinzu, sondern “weil es für mich keinen Grund gibt, nicht mit Schäuble und für ihn zu arbeiten”. Er empfinde Schäuble “auch nicht als schwierig”.

2008 ging Jäger zu Daimler-Benz als Leiter der Konzern-Repräsentanz in Berlin. Er folgte auf Dieter Spöri (SPD). Wieso hat es ihn damals überhaupt zum Weltkonzern Daimler gezogen? Das hatte dem Martin einst schon der Vater mit glänzenden Au-gen geraten. Das sei der beste Arbeitgeber, der baue die weltweit schönsten Autos. “Da zu schaffe”, schwärmte der Vater, “muss der Lebenstraum jedes Schwaben sein”.

Autos und ihre PS-Zahlen waren für Jäger freilich während seiner Zeit bei Daimler nie die ganze Welt. In Berlin pflegte er im firmeneigenen “Haus Huth”, das den Krieg am Potsdamer Platz überlebt hat, intensiv die “politische Dialogreihe” seiner Firma.

Er lud führende Politiker zu Gesprächen mit den wichtigsten Strippenziehern aus der Lobby-Szene und Journalisten zur Diskussion und zum Essen ein. Zu den Gästen im “Haus Huth” gehörten auch Politiker wie der grüne baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann oder Peter Altmaier, als Letzterer noch als Bundesumweltminister amtierte.

Aus der afghanischen Hauptstadt Kabul kehrt Jäger jetzt freiwillig als Pressesprecher zu Schäuble zurück, obwohl er weder gelernter Volkswirt noch Finanzpolitiker ist. Aber Schäuble wollte ihn seit Längerem um jeden Preis. Schon im Februar 2014 hatte er Jäger dieses Angebot gemacht, kaum hatte dieser seinen Job in Kabul angetreten. Denn der studierte Ethnologe, der nach dem Studium an der Bonner Diplomatenschule ausgebildet wurde, gilt als exzellenter Europapolitiker, spricht außer Englisch ebenso fließend Französisch, weil er in seiner Jugend als Fotojournalist in Paris gearbeitet hat. Das Pressegeschäft kennt er, weil er damals für Tageszeitungen, aber auch für die “Zeit” freiberuflich geschrieben hat.

Ein Jahr in Kabul

Da Europa von Kanzlerin Merkel zum außenpolitischen Schwerpunkt der nächsten Jahre erklärt worden ist, kann Schäuble den erfahrenen Diplomaten und Europapolitiker Jäger gewiss sehr gut gebrauchen. Kinkel schwärmt bis heute von Jäger: “Der Kerle hat Europapolitik in den Fingerspitzen.” Zudem war er zu Daimler-Zeiten Vorsitzender des Ausschusses für “Internationale Handels- und Weltwirtschaftsfragen” des Verbandes der Automobilindustrie. Und hat auch schon im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gesessen.

Gleichwohl war jetzt die “Skandal”-Frage natürlich sofort wieder da: Was verbirgt sich dahinter, wenn dieser “Kerle” nach nur einem knappen Jahr Amtszeit als deutscher Botschafter in der afghanischen Hauptstadt Kabul schon wieder in die Berliner Szene zurückkehrt – und das auch noch als Sprecher von Schäuble? Der ist schließlich nicht bekannt dafür, mit seinen medialen Verkäufern besonders duldsam umzugehen. Die Hauptstadtjournalisten erinnern sich noch sehr gut daran, wie er seinen früheren Sprecher Michael Offer einmal so vor ihnen fertig machte, dass der keine andere Chance mehr sah, als seinen Job frustriert sofort aufzugeben.
Sicherlich gehört, wie er selbst einräumt, zu dem neuen riskanten Lebensumbruch von Jäger auch ein Stück persönliche Sehnsucht nach Rückkehr ins aktive politische Geschäft. Sie dürfte Schäubles Abwerbung erleichtert haben. Aber dahinter steckte auch der generelle Wunsch dieses Mannes ein Leben fortzusetzen, an dem er den Wechsel der Herausforderungen liebt.

“Ein Angebot von diesem spannenden Politiker Schäuble, nach Berlin zu kommen, lehnt man doch nicht ab”, sagt Jäger. Von den Berliner Journalisten erwartet er allerdings, dass sie den Schwaben in ihm akzeptieren. Er halte es als Sprecher vor allem mit der Devise: “Net gschimpft, isch gnug g’lobt.”

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die andere Perspektive. Das Heft können Sie hier bestellen.