Ein Pakt fürs Leben

Angela Merkel

Es war einmal, lang, lang ist’s her. Da spuckten fast alle arrivierten CDU-Herren das Wörtchen “Girls’ Camp” aus, als wäre ihnen aus Versehen ein Pferdeapfel zwischen die Zähne geraten. Und schüttelten empört den Kopf. Das kann doch niemals gutgehen. Drei Frauen, alles bestimmend, allein bestimmend, wo’s lang geht im Zentrum des Machtsystems der Republik. Die CDU-Herren waren sich ganz sicher: Allenfalls eine Übergangslösung kann das sein – bis diese Angela Merkel, die erste Frau im Kanzleramt, ausgestanden ist und die deutsche Politik wieder ihre bewährten maskulinen Züge tragen darf.

14 Jahre sind seither vergangen. Und im CDU-Nachwuchs Junge Union wissen längst nicht mehr alle, wer und was in jenem legendären Schmähruf aufs Girls’ Camp steckte. Selbst in Zeitungsredaktionen und Funkhäusern, wo heute immer mehr Frauen mitentscheiden, müssen viele unter Dreißigjährige zunächst googeln.

Wobei sie nur klüger werden, wenn sie “Merkels Girls’ Camp” in die Suchmaschine eingeben. Dann lernen sie, dass sich die Kanzlerin im engsten Umfeld seit vielen Jahren vor allem von Frauen beraten lässt. Die ihr beim Überleben während des Aufstiegs von der CDU-Generalsekretärin zur Partei- und Fraktionsvorsitzenden und auf dem schwierigen Weg ins Kanzleramt, bei Machteroberung und Machterhalt, entscheidend geholfen haben. Ein Aufstieg über Rasierklingen, hingehalten von politischen Neidern.

Diese “Weiberwirtschaft” im politischen Geschäft, schimpften und stöhnten damals die CDU-Herren, werde ja hoffentlich nicht lange dauern. Doch – die “Girls” sind immer noch da. Aber fast alle der Männer, die sich einst für begnadet überlegene Polit-Strategen hielten, sind weg. Gescheitert an Angela Merkel und ihrem Girls’ Camp, der Schlüsselstelle ihres Machtsystems.

Als “Beißzangen” und “Rasputinas” beschimpft

Und Angela Merkel und ihr Girls’ Camp sind im Umgang mit der politischen Macht längst sicherer, als jemals von Männern für möglich gehalten. Mächtiger denn je, machtbewahrender, als die Kritiker von einst es ihnen jemals zugetraut haben. Es gibt in der CDU von heute sogar Männer, die fast schon vor ihnen katzbuckeln oder bisweilen bewundernd seufzen “Gott sei Dank”!

Der dankbare Seufzer gilt vor allem zwei Frauen: Beate Baumann und Eva Christiansen. Zwei Festgrößen, die bis heute nicht aus der Karriere der Angela Merkel wegzudenken sind.

Baumann lebt und arbeitet an der Seite der Kanzlerin seit 1991, seit Helmut Kohl das “Mädel”, wie er sie verspottete, erst als Jugend-, dann als Umweltministerin Politik üben ließ. Sie folgte ihr als Büroleiterin in die CDU-Zentrale, als Merkel zur CDU-Generalsekretärin aufstieg. Sie blieb bei ihr, als Merkels Vorsitz in der CDU und in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion folgten. Und leitet seit 2005 das Kanzlerin-Büro, das als “Abteilung” firmiert, aber allein aus ihrer Person besteht.

Die Beschreibung ihrer Büro-Laufbahn erfolgte schon einmal in einem Satz: “Keine Angela ohne Beate, keine Beate ohne Angela.” Oder wie der Spiegel notierte: “Sie hat ihr Leben vollkommen dem Karriereglück einer anderen gewidmet.”

Christiansen begann 1998 als Vizeparteisprecherin, obwohl sie erst ein Jahr zuvor in die CDU eingetreten war. Auch sie stieg an Merkels Seite auf, zur Partei- und Fraktionssprecherin, wechselte mit ihr als Medienberaterin ins Kanzleramt. Inzwischen amtiert sie dort als Referatsleiterin für Medien und leitet die Stabsstelle “Politische Planung, Strategie und Grundsatzfragen”.

Diese beiden Frauen waren an den entscheidenden Operationen der Machteroberung und des Machterhalts von Merkel unmittelbar beteiligt. Baumann formulierte an dem legendären Artikel in der FAZ mit, in dem Merkel in der Spendenaffäre die Trennung von Kohl forderte und mit dem sie den CDU-Parteivorsitz eroberte.

Mit am Tisch saßen Baumann und Christiansen, bevor Merkel am 11. Januar 2002 zum Frühstück mit dem CSU-Chef Edmund Stoiber nach Wolfratshausen flog, um ihm die Kanzlerkandidatur 2002 anzutragen, sich aber im machtklugen Gegenzug für die Zeit danach den Bundestags-Fraktionsvorsitz zusichern ließ. Ihnen war klar, dass die CDU damals noch nicht so weit war, eine Frau als Kanzlerkandidatin zu akzeptieren.

Als strategische Beraterinnen wirkten sie auch mit, als es 2004 um die Frage ging, ob Merkel kompromisslos auf einem Bundespräsidenten Wolfgang Schäuble bestehen sollte, den die Westerwelle-FDP nicht wählen wollte. Und so kam Horst Köhler ins Machtspiel der Angela Merkel.

Wenn am frühen Morgen im Kanzleramt die politische Tagesarbeit beginnt, sitzen die beiden Frauen am Tisch und reden mit bei der Termin- und Themenplanung, bestimmen die Inhalte und Tendenzen in den Reden der Kanzlerin, beraten sie sogar, wie sie bei der nächsten Wagner-Premiere in Bayreuth modisch auftreten sollte. Alleiniger Maßstab ihrer Arbeit ist: Was schadet der Kanzlerin, was nützt ihr? Sie entscheiden mit, wer bei der Kanzlerin vorgelassen wird und wer nicht. Sie sind ihr persönliches polit-strategisches Zentrum.

Mehr noch: Angela Merkel ist längst das zentrale Projekt ihres Lebens. Die drei Frauen befinden sich in einem politischen Lebenspakt. Kanzlerflüsterer aus früheren Zeiten waren nie so einflussreich wie heute Baumann und Christiansen. Per Handy hat Baumann schon manchen im Männer-Machtsystem locker abgeschossen.

Der Publizist Hajo Schumacher führt Merkels Erfolg in seinem Buch “Die zwölf Gesetze der Macht” darauf zurück, dass sie eine “Männerleserin” und “Männerversteherin” ist. Aber auch ihre zwei wichtigsten Helferinnen können Männerpsychen glänzend deuten.

Ihnen war klar, dass eine Bundeskanzlerin in deren Denken kaum vorgesehen war. Schon gar nicht in den Köpfen der Männer im sogenannten Andenpakt, die davon überzeugt waren, das könne nur einer von ihnen meistern und sie hätten daher die K-Frage zu entscheiden. Mehr als die Funktion einer Übergangsvorsitzenden in der vom Spendenskandal zerrütteten CDU war für Merkel nie vorgesehen.

Klatsch und Tratsch wird nicht geliefert

Ihre Helferinnen aus dem Girls’ Camp mussten sich daher lange rüde beschimpfen lassen, als die Herren bemerkten, in welch langen strategischen Linien das Frauennetzwerk vorging. Mal rüpelte die Männerwelt sie als “Beißzangen” und “Rasputinas” an, mal mokierte sie sich über den “Drei-Mädel-Graus” oder lästerte über “Unsere Fouchés”. Ein giftiger Hinweis der CDU-Machismo-Fraktion, die Baumann und Christiansen gleichstellte mit Frankreichs ehemaligem Polizeiminister Joseph Fouché, dessen Spitzelsystem einst Napoleons Macht abgesichert hatte. Die Polit-Machos taten sich hörbar schwer mit der “Weiberwirtschaft.”

Und auch die Journalisten mussten umlernen. Baumann und Christiansen entscheiden allein, wer medial bei der Kanzlerin per Interview und Termin zum Zuge kommt. Indiskretionen, Klatsch und Tratsch, die ansonsten zum politischen Geschäft gehören, liefern sie nicht. Die Damen flüstern zwar auch schon – aber nur ins Ohr der Kanzlerin. Und zur Veröffentlichung abgesegnete Zitate liefern sie schon gleich gar nicht.

Kohls einstige Hofjubler und deren Schmäh-Methoden haben nicht gewonnen. Von “Mutti” oder “Ost-Wachtel” wie einst ist keine Rede mehr. Die Männer haben verloren. Das Vertrauen zwischen den drei Frauen ist bis heute geblieben und gewachsen.

Irgendwelche Privatheiten zwischen dem Duo Baumann/Christiansen und Merkel finden dennoch nicht statt. Man siezt sich noch immer mit der Kanzlerin, obwohl man Seite an Seite tiefste Krisen und nie erwartete Erfolge erlebte. Merkel sei schließlich keine Duzerin, sagen ihre zwei engsten Vertrauten. Außerdem: Man sei einander über ein Arbeitsverhältnis verbunden, und dem tue das “Sie” gut.

Heute ist aus dem Girls’ Camp, einst in der Not angeheuert, das wichtigste Frauen-Duo im Machtsystem Merkel geworden, das ihre Arbeit im Kanzleramt seit Jahren entscheidend unterstützt und schützt.

Dabei sichern und sicherten neben Frauen wie Baumann und Christiansen noch viele andere Frauen und Männer das Machtsystem Merkel. Etwa Maria Böhmer, Chefin der Frauen Union, und Hildegard Müller, einst im Kanzleramt zuständig für die Bund-Länder-Fragen, ebenso Merkels persönliche Freundin Annette Schavan. Das Girls’ Camp nimmt dennoch unverändert die machtpolitisch bedeutendste Rolle ein.

Aber im Kanzleramt wird inzwischen auch längst eine Art “Boygroup” geduldet: Der Fach-Berater spielt eine wichtige Rolle, alle Abteilungsleiter sind inzwischen Männer. Bisher dienten nur Männer der Kanzlerin als Kanzleramtschefs. Und keinem Mann vertraut sie mehr als ihrem loyalen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der doch einst energisch für Stoiber als Kanzlerkandidat plädiert hatte.

Aber heute spielen erhöhte Testosteron-Werte längst keine so signifikante Rolle in der Politik wie zu Zeiten der Kanzler Schröder oder Kohl. Dies dank der Tatsache, dass inzwischen die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten sich um Posten in Politik, Medien und Wirtschaft mitbewirbt. Gegen eine Frau zu verlieren ist für Männer keine persönliche Katastrophe mehr.

Das vor allem haben die Polit-Männer dank des Girls’ Camps gelernt – lernen müssen: Macht funktioniert, bei ihrer Eroberung wie Verteidigung, am besten in geschlechterübergreifender Zusammenarbeit. Die Profilierung gegen die Parteilinie dient längst nicht mehr dem Bieterwettbewerb der Männer im politischen Geschäft. Politische Linie und Inhalte lassen sich auf dem politischen Hochseil mit anderen Methoden und gemeinsam mit Frauen erfolgreicher durchsetzen. Zahlreiche Gender Studies prophezeien dies schon lange.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Frauen und Macht. Das Heft können Sie hier bestellen.