Deutschland sucht den Superkanzler

Glosse

Es ist schön zu sehen, dass die Trends des Arbeitsmarkts jetzt auch vor dem Kanzleramt nicht mehr haltmachen. Unternehmen suchen junge, formbare Neueinsteiger mit mindestens zwei Studienabschlüssen, drei Fremdsprachen und vier Praktika. Die Bewerber dürfen nicht älter als 20 Jahre alt sein. Da ist es nur konsequent, dass wir die Messlatte für das mächtigste Amt im Lande auch ein bisschen höher legen: Deutschland sucht den Superkanzler!

Eine Kanzlerin muss jung sein. Eine Regierung besteht in Deutschland am besten für mehr als 15 Jahre. Auch wenn sich die Deutschen in Umfragen immer wieder für eine Begrenzung der Amtszeiten aussprechen, an der Urne wählen sie dann doch lieber die Verlängerung. Wir sind treue Seelen. Es gibt Gott, den Papst und die Kanzlerin. Um eine Ära prägen zu können, sollte eine Kanzlerin am besten 20 Jahre alt sein und viel Erfahrung haben. Sie muss etwa ein Ministerium geführt haben oder aber ein Bundesland, das mindestens doppelt so groß ist wie ein Saarland.

Wir wollen einen neuen Politikstil im Land. Die alten Zöpfe müssen abgeschnitten werden. Deshalb muss ein Kanzler künftig nett und sympathisch sein. Am besten ist der Kanzler das nette Mädchen von nebenan. Als Kanzler Deutschlands muss er in der Lage sein, auch auf den Tisch zu hauen. Er muss Putins Hunde streicheln, Trumps Hände schütteln und sich auf Erdogans Gästestuhl setzen. 

Eine Kanzlerin muss bodenständig sein, eine von uns. Aus ihrer Frisur und ihrem Aussehen macht sie sich nichts, aber die Haare sollten schon fesch und die Mode modisch sein. Wir wollen eine Kanzlerin mit Geschmack, der aber egal ist, denn sie soll sich gefälligst auf ihre Arbeit konzentrieren und nicht auf alberne Sonnenbrillen und Maasanzüge.

Ein Kanzler trinkt Cola-Korn, isst Currywurst, fegt sonntags das Treppenhaus und ruft bei Falschparkern und WG-Partys die Polizei. Aber ein Kanzler muss die Welt gesehen haben, um Deutschland nicht auf der Weltbühne zu blamieren. 

Eine Kanzlerin muss Deutschlands Interessen vertreten und so die Welt retten. Sie muss den Nahostkonflikt lösen und Indien durchimpfen. Sie muss die deutsche Energieversorgung sicherstellen und Nord Stream 2 verhindern, um die russische Autokratie abzuschaffen. Sie muss die gefangenen Uiguren befreien und dabei massig Autos an China verkaufen, damit es der deutschen Wirtschaft gut geht.

Ein Kanzler muss hochgebildet sein. Am besten kennt er die deutsche Geschichte, hat alles von Goethe gelesen (ja, auch „Hanswursts Hochzeit“, 1775) und kann die Stimmen aller Singvögel auseinanderhalten. Ein Kanzler darf aber kein dummstudierter Professor sein, der in seinem Elfenbeinturm sitzt, Sonette schnitzt und keine Ahnung von den Problemen der normalen Leute hat! 

Eine Kanzlerin muss stark und entschlossen sein. Am besten sagt eine Kanzlerin nur noch „Ja!“ oder „Nein!“. Damit muss eine Kanzlerin verschiedene Strömungen in der Gesellschaft und den Koalitionsparteien einbinden und integrieren. In der Politik gibt es kein Schwarz oder Weiß, sondern auch viel Grau. Deshalb muss eine Kanzlerin oft „Basta!“ sagen. Ihr Machtwort muss ein Aufruf zum Kompromiss sein.

Ein Kanzler muss Kinder haben. Nichts ist und macht schöner und bodenständiger als eine Familie! Wie kann man sonst ein Interesse an der nächsten Generation haben? Auf keinen Fall aber darf ein Kanzler Kinder haben. Sonst kann er nicht seine volle Kraft in den Dienst des Volkes stellen und von Montag um 6 Uhr bis Sonntag um 24 Uhr im Einsatz sein. Kinder lenken ab, schmieren Schokolade auf Gesetzesentwürfe und bohren Staatsgästen in der Nase.

Aber vor allem muss ein Kanzler den Führerschein Klasse B haben. Wie soll er sonst deutsche Elektroautos auf deutschen Autobahnen ausfahren? Allerdings gilt da dann bitte Tempo 120.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 135 – Thema: Was kann Spahn?. Das Heft können Sie hier bestellen.