Martin Schulz ist überall. Beinahe täglich sieht man den Präsidenten des Europaparlaments im Fernsehen – mal aus Brüssel, mal aus Berlin, neuerdings auch aus Ankara, wo er die Türkei-Verhandlungen begleitet. Auch Manfred Weber, der Chef der konservativen EVP-Fraktion, meldet sich regelmäßig zu Wort. Der CSU-Politiker sorgt dafür, dass die deutsche Europapolitik eine stabile Mehrheit in Brüssel und Straßburg hat. Schulz und Weber stehen für einen Trend: Immer mehr Deutsche besetzen Spitzenpositionen in internationalen Organisationen. Nicht alle sind so prominent wie die beiden EU-Politiker. Aber viele haben großen Einfluss.
Zum Beispiel Johannes Laitenberger und Max Lienemeyer. Beide arbeiten in der wohl mächtigsten Generaldirektion der EU-Kommission, der GD Wettbewerb. Dort wachen sie nicht nur über Fusionen, sondern auch über staatliche Beihilfen. Und so zogen sie auch bei Apple die Fäden, dem bisher spektakulärsten Beihilfefall der EU-Geschichte. Brüssel verlangt von dem US-Konzern bis zu 13 Milliarden Euro plus Zinsen – wegen zu wenig gezahlter Steuern an Irland.
Offiziell zeichnet dafür zwar EU-Kommissarin Margrethe Vestager verantwortlich. Doch die Vorarbeit machten die Deutschen. Lienemeyer hat die Ermittlungen geführt. Und bei Laitenberger, dem Generaldirektor, liefen die Fäden zusammen.
In anderen Generaldirektionen sieht es ähnlich aus. Ob Innenpolitik (Matthias Ruete), Regionalpolitik (Walter Deffaa) oder Eurostat (Statistik, Walter Radermacher): Überall arbeiten deutsche Direktoren. Sie sind die grauen Eminenzen, die man kennen muss, um in der Kommission etwas zu bewegen.
Koordiniert wird ihre Arbeit von Martin Selmayr, dem wohl mächtigsten Deutschen in der Brüsseler Behörde. Der 45-jährige Jurist aus Bonn ist Kabinettschef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und gilt als „Spin Doctor“. Mit seinen Botschaften, die er gern im Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet, eckt Selmayr immer mal wieder an – auch in Berlin. Dennoch ist er ein wichtiger deutscher Trumpf im internationalen Machtpoker um Posten und Positionen.
Personalpolitik in der zweiten Reihe
Die Bundesregierung bemüht sich seit Langem, nicht nur Leitungsfunktionen mit eigenen Kandidaten zu besetzen. Auch in der „zweiten Reihe“, auf Beamten-, Berater- und Expertenebene, ist die deutsche Personalpolitik aktiv. Mit Erfolg: Deutschland sei „in vielen relevanten internationalen Organisationen und europäischen Institutionen angemessen, zum Teil zahlenmäßig gut oder sogar sehr gut vertreten“, teilte die Bundesregierung in einem Bericht zur deutschen Personalpräsenz im Juni 2015 mit. Vorbei die Klagen über Amerikaner, Briten und Franzosen, die früher aller wichtige Posten unter sich aufteilten. Es gehe nicht mehr „um eine pauschale Erhöhung des Personalanteils“, sondern um die Besetzung wichtiger Posten, heißt es in Berlin.
Wie gut das funktioniert, zeigt die Ernennung von Helga Schmid. Seit Anfang September ist sie neue Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD). Damit leitet Schmid nicht nur eine wichtige EU-Behörde mit 3.700 Mitarbeitern. Die Nachfolgerin von Christoph Heusgen, heute außenpolitischer Chefberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, steigt auch zur Topdiplomatin auf. Russland, Ukraine, Syrien, Türkei – bei allen wichtigen Krisen ist sie dabei.
Einflussreicher denn je
Deutsche erobern die Welt – nicht nur bei der EU in Brüssel. Auch bei den Vereinten Nationen in New York, in der NATO und in wirtschaftspolitischen Institutionen wie dem IWF oder der Weltbank in Washington ziehen Deutsche die Fäden. Sie sind einflussreicher denn je – auch wenn sie oft im Verborgenen arbeiten und selten in Talkshows auftreten. Hier die wichtigsten Namen:
• Martin Mühleisen: Der promovierte Volkswirtschaftler leitet das Büro von Christine Lagarde, der Geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds in Washington. Mühleisen ist seit 2008 maßgeblich an den Kriseneinsätzen des IWF beteiligt; eine Schlüsselrolle spielte er auch in der Eurokrise bei der Unterstützung Griechenlands, Portugals und Irlands.
• Ursula Müller: Die weit gereiste Diplomatin ist Exekutivdirektorin bei der Weltbank in Washington. Auch sie kümmert sich um Krisenregionen, aber auch um nachhaltige Entwicklung – ihr Spezialgebiet. Bis 2014 war sie Abteilungsleiterin für Grundsatzfragen der Entwicklungszusammenarbeit im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ).
• Christian Kastrop: Der prominente deutsche Volkswirtschaftler, der als Miterfinder des Stabilitätspakts und der Schuldenbremse gilt, ist Vize-Chefökonom der OECD in Paris. Beim Club der reichen Industrieländer beschäftigt er sich mit Grundsatzfragen und internationalen Themen wie Handel und Wechselkursentwicklung – den heißen Eisen der Wirtschaftspolitik.
• Luise Hölscher: Die frühere hessische Finanzstaatssekretärin arbeitet seit 2013 bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London. Dort ist sie als Vizepräsidentin unter anderem für Human Resources zuständig. Sie engagiert sich besonders für die Förderung weiblicher Führungskräfte.
• Manfred Nielson: Der Vizeadmiral der Bundeswehr ist Deputy Supreme Allied Commander Transformation in Norfolk (Virginia, USA). Damit leitet er eines der beiden strategischen Hauptquartiere der NATO. Nielson ist auch zuständig für die Transformation der Allianz – angesichts neuer Konflikte wie in der Ukraine oder in Syrien eine enorme Verantwortung.
Neuer Führungsanspruch
Die wachsende Präsenz in internationalen Organisationen unterstreicht den Führungsanspruch, den Deutschland neuerdings erhebt. „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck 2014. Er wurde erhört.
Allerdings verläuft nicht jeder Karrieresprung reibungslos. So ging Ursula Müllers Wechsel zur Weltbank ein harter Machtkampf im BMZ voraus; Hausherr Gerd Müller sorgte mit eigenwilligen Entscheidungen für Verstimmung. Es sei mehr um Parteipolitik als um sachgerechte Personalplanung gegangen, rügte der „Spiegel“.
Auch bei der Europäischen Union in Brüssel spielen Parteiinteressen eine Rolle. Schon die erneute Nominierung von Günther Oettinger zum deutschen EU-Kommissar sorgte für Ärger. Nach der Europawahl 2014 wollte Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) dem CDU-Politiker zunächst den Job streitig machen. Kanzlerin Angela Merkel entschied anders. Oettinger blieb in Brüssel und wurde für das Zukunftsressort „Digitale Wirtschaft“ zuständig. Zum Ausgleich durfte Schulz Parlamentspräsident bleiben.
Doch nun muss Schulz um seinen Job bangen. Die Konservativen wollen den nächsten Präsidenten stellen. Im Dezember könnte es zu einer Kampfabstimmung kommen. Schulz hat jedoch schon vorgebaut und sich mit einer Führungsriege umgeben, die einigen Abgeordneten allzu germanisch vorkommt. „Um Schulz zu gefallen, muss man wohl Deutscher und Sozialdemokrat sein“, spottet der Chef der Grünen-Fraktion, der Belgier Philippe Lamberts. Er spielt damit auf Markus Winkler an, den früheren Kabinettschef des Parlamentspräsidenten. Er wird im November zum stellvertretenden Generalsekretär der EU-Kammer befördert. Schulz will dieses Amt zudem aufwerten – nicht unbedingt zur Freude von Klaus Welle, dem amtierenden Generalsekretär des Parlaments. Insgesamt stünden dann drei Deutsche an der Spitze des Europäischen Parlaments, eine bisher nie dagewesene Machtkonzentration.
Auch in der EU-Kommission sind die Deutschen auf dem Vormarsch. Früher landeten sie in den Kabinetten der 28 EU-Kommissare nur auf Platz drei, hinter Briten und Franzosen. Heute sind sie – zumindest zahlenmäßig – überlegen. „In nur drei der 28 Kabinette sind keine deutschen Mitarbeiter tätig“, stellte die Bundesregierung in ihrem Personalbericht 2015 fest. Damit habe sich die deutsche Präsenz im Vergleich zur Kommission unter Junckers Amtsvorgänger José Manuel Barroso „nochmals verbessert“.
Sogar in neu gegründeten europäischen Institutionen haben sich die Deutschen wichtige Posten gesichert. So wurde die Leitung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM in Luxemburg Klaus Regling übertragen. Er wacht dort über die Vergabe von Milliarden-Krediten an strauchelnde Euroländer. Regling sei „der Unbekannte, der Milliarden nach Athen überweist“, schrieb die „Welt“ über den ebenso mächtigen wie diskreten Deutschen. Vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vertraut dem 65-Jährigen; Regling gilt in Brüssel als Inkarnation der deutschen Stabilitätskultur.
Für Stabilität sollen auch Werner Hoyer und Elke König sorgen. Der ehemalige FDP-Politiker Hoyer leitet die Europäische Investitionsbank, die eine zentrale Rolle in der Wirtschaftspolitik der EU-Kommission spielt. Behördenchef Juncker hat ein 315 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm angeschoben, das nun von Hoyer und dessen Mitarbeitern in Luxemburg gemanagt wird. Strategische Bedeutung für die Wirtschaft hat auch das „Single Resolution Board“ (SRB), das Elke König seit Anfang dieses Jahres in Brüssel leitet. Hinter dem kryptischen Namen versteckt sich die neue Behörde zur Abwicklung maroder Finanzinstitute – eine Art Feuerwehr für Pleitebanken.
Sollte es zu einer neuen Finanzkrise kommen, müsste König mithelfen, das System zu retten. Keine leichte Aufgabe – aber durchaus typisch für die neuen deutschen Führungskräfte. Sie wollen die Welt sicherer und stabiler machen. Die zweite Reihe ist dafür gar kein so schlechter Platz.
Foto: FAO
Monika Altmaier
Personaldirektorin der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO)
Foto: European Comission
Nils Behrndt
Kabinettschef des EU-Kommissars für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, Neven Mimica
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Karl-Ernst Brauner
Stellvertretender Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO)
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Horst-Heinrich Brauß
Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung
Foto: EPA/Jens Norgaard Larsen
Jiri Burianek
Generalsekretär des Ausschusses der Regionen der EU
Foto: Eventpress Herrmann
Thomas von Danwitz
Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH)
Foto: EU 2016
Walter Deffaa
Generaldirektor der Generaldirektion Regionalpolitik der EU-Kommission
Foto: EU
Florika Fink-Hooijer
Generaldirektorin der Generaldirektion Übersetzung der EU-Kommission
Foto: Oliver Berg/dpa
Werner Freers
Chef des Stabs des Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) der NATO
Foto: EU
Michael Hager
Kabinettschef des EU-Kommissars für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger
Foto: Arne Dedert/Picture Alliance
Luise Hölscher
Vizepräsidentin und Verwaltungsleiterin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD)
Foto: Dragan Tatic
Werner Hoyer
Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB)
Foto: Picture Alliance
Christian Kastrop
Vize-Chefökonom und Abteilungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
Foto: Thierry Monasse/dpa
Juliane Kokott
Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH)
Foto: SRB/ Morgane Delfosse
Elke König
Chefin der EU-Behörde zur Bankenabwicklung (SRB)
Korrektur: In der Printausgabe von politik&kommunikation wurde fälschlicherweise ein Bild der EKD-Synodalen Elke König gezeigt. Wir bitten um Entschuldigung.
Foto: EU 2014
Johannes Laitenberger
Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission
Foto: Stephan Rumpf/Picture Alliance
Sabine Lautenschläger
Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB)
Foto: I-Stock
Max Lienemeyer
Chef der Task Force Steuern in der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission
Foto: Piotr Markowski/Wikimedia Commons/Public Domain
Michael Link
Direktor des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE
Foto: Arno Burgi/dpa
Martin Mühleisen
Büroleiter der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde
Foto: European Union 2010
Jürgen Müller
Kabinettschef des EU-Kommissars für Umwelt, Maritime Angelegenheiten und Fischerei, Karmenu Vella
Foto: Privat
Ursula Müller
Exekutivdirektorin bei der Weltbankgruppe
Foto: Allied Command Transformation Norfolk. VA/Wikimedia Commons/Public Domain
Manfred Nielson
Deputy Supreme Allied Commander Transformation des Allied Command Transformation (ACT) der NATO
Foto: EU 2015
Renate Nikolay
Kabinettschefin der EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Věra Jourová
Foto: Marco Urban
Günther Oettinger
EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft
Foto: EPA/Laszlo Beliczay
Carsten Pillath
Generaldirektor der Generaldirektion Wirtschaft und Wettbewerb des Rats der EU
Foto: Rainer Jensen/dpa
Walter Radermacher
Generaldirektor der Generaldirektion Statistik der EU-Kommission
Foto: EPA/Pantelis Saitas
Klaus Regling
Geschäftsführender Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)
Foto: EU
Matthias Ruete
Generaldirektor der Generaldirektion Innenpolitik der EU-Kommission
Foto: WorldBank
Hartwig Schäfer
Vice President Operations Policy and Country Services der Weltbank
Foto: Tony Sojka/re:publica/Wikimedia Commons/CC BY-SA 2.0
Andreas Schleicher
Direktor für Bildung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
Foto: Picture Alliance
Helga Schmid
Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD)
Foto: EPA/Koen van Weel
Bertram Schmitt
Richter am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)
Foto: Copyright IANP
Anja Seibert-Fohr
Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen
Foto: Saeima/Wikimedia Commons/CC BY-SA 2.0
Martin Selmayr
Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker
Foto: AP Photo/Petr David Josek
Jürgen Stock
Generalsekretär von Interpol
Foto: Rama/Wikimedia Commons/CC BY-SA-2.0-fr
Rudolf Strohmeier
Generaldirektor der Generaldirektion Amt für Veröffentlichungen der EU-Kommission
Foto: Europeans People’s Party/Wikimedia Commons/CC BY 2.0
Klaus Welle
Generalsekretär des Europäischen Parlaments
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Rolf Wenzel
Gouverneur der Entwicklungsbank des Europarats (CEB)
Foto: Privat
Sabine Weyand
Stellvertretende Generaldirektorin der Generaldirektion Handel
Foto: European Union 2016 – Source: EP
Markus Winkler
Stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Parlaments (ab November)
Foto: Jörg Carstensen/dpa
Michael Worbs
Vorsitzender des UNESCO-Exekutivrats
Foto: SchmiwDLR/Wikimedia Commons/Public Domain
Johann-Dietrich Wörner
Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA)
Foto: EU 2016
Kai Wynands
Kabinettschef des Vizepräsidenten und EU-Kommissars für den Euro und den sozialen Dialog, Valdis Dombrovskis
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2016 US-Wahl/International. Das Heft können Sie hier bestellen.