Auf Schritt und Tritt

Politiker Porträts

Peter Altmaier will nicht in das Klagelied einstimmen. Ob er nach Erscheinen des wenig schmeichelhaften Porträts über ihn im Spiegel überhaupt noch Lust dazu habe, sich mit Journalisten zu treffen? Das möchten Newsletter-Redakteure für „Berlin Table“ im Januar vom CDU-Politiker wissen. Altmaier antwortet betont diplomatisch: „Als Politiker in führender Stellung muss man akzeptieren, dass man Gegenstand der öffentlichen Debatte ist, auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt. Und aus Respekt vor der Pressefreiheit bewerte ich grundsätzlich keine einzelnen Artikel.“ Beim Sortieren seiner Akten, schiebt er hinterher, habe er viele tausend Interviews, Porträts, Kommentare und Karikaturen betrachtet. Und insgesamt sei seine Erfahrung mit der Presse positiv.

Kein öffentliches böses Wort also über das kurz vor Weihnachten 2022 erschienene Porträt mit dem Titel „Der erste Sommer ohne Macht“ über einen „Politpensionär, der verzweifelt nach einer neuen Rolle sucht.“ Keine Kritik am Autor des Stücks, Miguel Helm, Journalistenschüler der Henri-Nannen-Schule. Ihn hatte der Unter-Anderem-Ex-Wirtschaftsminister dazu eingeladen, ihn einen Tag lang zu begleiten. Der beginnt damit, so erzählt es Helm in seinem Text, dass Altmaier in seiner Wohnung in Berlin-Schönberg Kaffee verschüttet und aus der Untertasse trinkt. Auf der späteren Autofahrt ärgert sich der CDUler dem Text zufolge über ein Porträt, das über ihn erschienen war. Er träumt laut von einem Blumengarten, da der weniger Pflege erfordere als ein Haustier. Und auch dass Altmaier offensichtlich alleinstehend ist, wird betont. Helm näht seine Sätze im kurzen Stakkato und kommentiert auf Metaebene. „Wenn ich ihm [Altmaier] eine Frage zu seinem Privatleben stelle, sagt er nicht, das geht Sie nichts an, hören Sie auf, ich beende jetzt das Gespräch“, schreibt der Journalist. „Er erzählt mir von kuscheligen Erdmännchen und von einsamen Wölfen. Auch um Sex geht es, ganz allgemein, ich darf wenig davon zitieren, das untersagt er mir später.“ Es sind vor allem solche Textstellen, die für ein großes Echo sorgen. „Von keinem Politiker und keiner Politikerin interessiert mich, ob sie in einer Ehe leben, mit wem sie schlafen, was sie essen oder wie viel sie essen oder was sie für Filme schauen“, schreibt etwa der Ex-Berliner-Grünen-Sprecher Christian Storch auf Twitter über das Gespräch. Manche Journalisten nennen die Story „besonders“, andere bezeichnen sie als „verächtlich“.

Georg Ismar kann die Kritik am Altmaier-Porträt verstehen. Der ehemalige Chef der Parlamentsredaktion des „Tagesspiegels“, der seit Beginn des Jahres als Parlamentskorrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“ aus Berlin berichtet, stört sich vor allem an einem: „Es hätte viele relevante Themen für das Porträt gegeben. Altmaiers Russlandpolitik, seine Wirtschafts- und Energiepolitik – macht er sich da Vorwürfe? Die Geschichte drehte sich jedoch nur um den Privatier Altmaier und welch tristes Dasein er angeblich fristet nach dem Abschied aus der großen Politik. Kritik ja, aber hier war einiges boulevardesk bis ehrenrührig, ohne echten Erkenntnisgewinn.“

Ismar, selbst Autor zahlreicher Porträts von Spitzenpolitikern, hat auch mit Kollegen über den Text diskutiert. „Da offenbart sich ein Stück weit auch ein Generationenkonflikt, was das journalistische Handwerk betrifft. Die, die schon länger dabei sind, empfanden es mehrheitlich als übergriffig. Jüngere Kollegen und Kolleginnen fanden maximale Transparenz gut und spannend“, sagt er. Eigentlich gelten bestimmte Regeln: Eine Information „unter eins“ kann mit Namensnennung zitiert werden. „Unter zwei“ bedeutet, dass sie verwendet, aber nicht klar zugeordnet werden kann, deshalb heißt es oft „Regierungskreise“. „Unter drei“ bedeutet, dass sie nur für das eigene Wissen und zur Einordnung gedacht ist, aber nicht direkt zitiert werden darf. Diese Regeln, die sich im politischen Berlin über Jahrzehnte eingespielt haben, werden heute stärker hinterfragt. Einige Journalisten fühlen sich nicht daran gebunden, weswegen auch viele Politiker immer vorsichtiger werden und auch auf das „unter drei“ nicht mehr vertrauen.

Habeck und die Löchersocken

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Politikerporträt über seinen Inhalt hinaus Aufsehen erregt. Die Darstellungsform kommt ursprünglich aus der Literatur, als Kurzform der Biografie. In welcher Art ein Journalist der Momentaufnahme mit dem Porträtierten Leben einhaucht, welche Beobachtungen – jenseits des Gesagten – er einfließen lässt, bleibt natürlich ihm überlassen. Als die „Zeit“-Autorin Jana Hensel Grünen-Alpha Robert Habeck 2019 auf einer Bahnfahrt begleitet, hagelt es nach Erscheinen des Porträts Kritik. Zu gefällig, befinden mehrere Springer-Journalisten. Unvermeidlich wird der Journalistin vorgeworfen, für den Politiker zu schwärmen.

Andere stoßen sich am Texteinstieg: Habeck zieht im ICE die Schuhe aus, die Nähte sind offen. Hensel schreibt: „Ihm selbst ist daran nichts peinlich. Er blickt einen an, als seien Löcher in den Socken das Normalste auf der Welt. Sind sie wahrscheinlich auch. Nur sein Mitarbeiter schaut erst seinen Chef, dann die Löcher an den Füßen unter dem Tisch und schließlich mich, die Journalistin, an. Sein Blick versucht mir zu verbieten, das alles gesehen zu haben. Und natürlich habe ich nichts gesehen.“

Ist diese explizierte Nichtbeobachtung schon ein „Socken-Gate“? „Also nein, daran finde ich nichts Ehrrühriges“, sagt Ismar. Was die Beschreibung aus seiner Sicht legitimiert: „Sie zeigt recht treffend, dass im vollgepackten Terminkalender nicht immer Raum für den perfekten Auftritt ist.“ Ob etwas als harmlos oder bloßstellend empfunden wird, ist allerdings subjektiv. Eine Gratwanderung, sagt Ismar. Wenn er Politiker für ein Porträt spricht und beobachtet, legt er Wert darauf, nicht in die private Sphäre zu dringen, solange sein Gegenüber nicht selbst darauf anspricht. „Mich leitet der Gedanke: Was bewegt einen Politiker, wohin steuert er, warum entscheidet er so und nicht anders, was treibt ihn an, wie ist er als Mensch? Dafür schaue ich mir natürlich auch an, wer Weggefährten und Begleiter sind. Aber wenn ich etwa auf einer Autofahrt dabei bin und währenddessen die Tochter anruft, dann geht mich das nichts an und ich hake nicht nach.“

Sexualität, Gesundheit und Gewicht, Familienverhältnisse – um sensible Themenbereiche machen Porträtschreiber in der Regel einen Bogen. Gehören sie also auf eine generelle Blacklist? Nicht grundsätzlich, findet Journalist und Dozent Peter Linden, der unter anderem das Porträtschreiben unterrichtet. „All das kann relevant sein, aber nur, wenn der thematische Korridor gegeben ist“, sagt er. „Wenn ein Politiker im EU-Parlament homophobe Äußerungen von sich gibt und man herausfindet, dass er selbst homosexuell ist, ist diese Information absolut relevant. Wenn er für Zuckerkonzerne Lobbyarbeit macht, kann es unter Umständen sogar legitim sein, über dessen Körpergewicht zu schreiben.“

Linden sieht aber ein Problem darin, dass beim Schreiben von Porträts zu oft aus dem Vollen geschöpft werde, beispielsweise der Familienstand aufs Tableau komme, obwohl dieser für die Geschichte eigentlich keine Rolle spiele. „Ich plädiere dafür, dass die Auswahl der Informationen immer themen- und aussageabhängig getroffen wird“, sagt Linden. Passiert das nicht und gibt es Skandale wie um das Altmaier-Porträt, gerate die ganze Darstellungsform ins Gerede. Das haben wir, ergänzt Linden, schon bei Reportagen nach dem Fall Relotius beobachten können.

Klare Spielregeln für Autorisierung und Co.

Bedeutet das, dass auch Politiker und ihre Kommunikationsteams zurzeit in Alarmstimmung sind, wenn eine Porträtanfrage ins Haus flattert? Das wollte p&k von einigen Politik-Sprechern wissen. Die meisten üben sich in (betretenem?) Schweigen. Über das Altmaier-Porträt, das lassen manche durchschimmern, waren sie erschrocken. Bereitwillig Auskunft erteilen Bianca Walther, Sprecherin des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, und Martin Bialluch, Pressesprecher bei der Linken. Bekommt Walther eine Porträtanfrage, hört sie sich zunächst die Idee dafür an: Was möchte der Journalist über ihren Chef Klingbeil erzählen, wie und wo möchte er ihn begleiten? „Wenn es nicht bereits ein berufliches Vertrauensverhältnis durch frühere Treffen gibt, schaue ich mir die journalistischen Arbeiten der Person an“, heißt es von Walther. „Erst wenn mich die Idee vollkommen überzeugt und die Anfrage zu meinem Chef passt, trage ich sie an ihn heran. Entscheiden wir uns für eine Zusage, mache ich Vorschläge für Termine und Gelegenheiten, um die Porträtidee bestmöglich zu realisieren.“ Sie behalte sich aber vor, bei allen Begegnungen anwesend zu sein und einzugreifen, wenn Grenzen übertreten werden. Bei größeren Porträts sei es durchaus üblich, dass Journalisten ihr neben den direkten auch indirekte Zitate und die Nennung von Fakten aus dem Leben des Parteivorsitzenden vor Veröffentlichung zuschickten, sagt Walther. Bisher habe das immer gut funktioniert.

Bialluch geht ähnlich vor, wenn ihn Anfragen erreichen, um die Linken-Vorsitzenden Janine Wissler oder Martin Schirdewan für ein Porträt zu gewinnen. Über das Altmaier-Porträt runzelt der Sprecher die Stirn. „Immer häufiger werden die Grenzen zum Boulevard eingerissen. Warum sollte es denn bei Herrn Altmaier ums Gärtnern gehen?“, fragt er. Umso mehr Wert legt Bialluch darauf, den Anlass und thematischen Schwerpunkt vorher abzuklären. Es liege in der Natur der Sache, dass man als Politiker und Kommunikator bei einem Porträt geringere Einflussmöglichkeiten habe als bei einem Interview. „Wenn der Journalist aber von vornherein Einblick in den Hobbykeller haben will, dann ist klar, wo die Reise hingeht, und wir können uns überlegen, ob wir das wirklich machen wollen.“ Auch das Beschreiben der Habeck-Sockenlöcher empfand Bialluch als „etwas schräg“. Aber das sei Geschmackssache. Und auch bei den Politikern liege es ja im eigenen Ermessen, wie viel sie beim Termin von sich zeigen und welche privaten Informationen sie preiszugeben bereit seien. Auf eine Zitatautorisierung möchte aber auch er bei Porträts keinesfalls verzichten.

SZ-Parlamentskorrespondent Ismar ist in der Regel dazu bereit, die direkten Zitate autorisieren zu lassen. Den Kontext sendet er nicht mit. „Natürlich schreibe ich auch über Beobachtungen, da können Wertungen einfließen – die lasse ich nicht freigeben“, sagt er. Es sei schon vorgekommen, dass eine Zusage für ein Porträt an die Bedingung geknüpft worden sei, das vollständige Stück vorab zum Absegnen an die Pressestelle rauszuschicken. In diesen Fällen lehnt Ismar – wie wohl die meisten seiner Journalistenkollegen – ab. „Für den Autorisierungsprozess muss es von vornherein für beide Seiten klare Spielregeln geben, sonst kann es kompliziert werden, wie im Fall des Altmaier-Porträts“, findet er.

Porträts gegen Politikverdrossenheit

Beim Altmaier-Porträt war das offenbar nicht der Fall. Dieser ist nicht glücklich mit der gesendeten Auswahl, wie Autor Helm in das Porträt hineinschreibt: „An einem Mittwochabend im November ist Peter Altmaier aufgebracht. Ich habe ihm ein paar Stunden zuvor seine Zitate geschickt, die ich im Text veröffentlichen will. Manche sind okay. Viele will er aber gar nicht oder anders.“ Eine Demonstration journalistischer Unabhängigkeit, sie trotzdem zu drucken? Auch darüber gehen die Meinungen auseinander. „Besonders verstörend finde ich, wie der Autor das Erschrecken Altmaiers über seine Zitate zelebriert. Wenn sich eine porträtierte Person in ihrer ausschließlich privaten Rolle vorgeführt fühlt, ist das ein Grund innezuhalten und kein Ausweis journalistischer Leistung“, schreibt Journalist und WDR-Innpolitikexperte Arnd Henze auf Twitter.

Für Journalismusdozent Linden ist die Grundsatzdiskussion über die Autorisierung überflüssig: „Im deutschen Sprachraum gibt es eine klare Absprache, dass bei Wortlautinterviews doppelte Urheberschaft vorliegt, daher ist die Autorisierung üblich. Alle anderen Textformen werden nicht autorisiert.“ Wenn überhaupt könne man im Fall von Porträts auf Wunsch und Drängen direkte Zitate vorlegen – mehr aber nicht. „Sonst sind wir schnell in der Situation, dass wir Zensur durch die Hintertür einführen.“ Dass es unter dieser Prämisse keine Porträts von prominenten Politikern mehr gäbe, glaubt er nicht. Die seien immerhin auf die Medien mindestens genauso angewiesen wie andersherum.

Porträts ermöglichen einen Blick auf den Menschen hinter dem Amt. SPD-Vorstandssprecherin Walther ist und bleibt daher Fan der Darstellungsform. „Gerade in Zeiten von Politikverdrossenheit kann das für das Verständnis politischer Arbeit sehr viel wert sein. Grundsätzlich bin ich deshalb sehr offen für Porträts“, sagt die Pressesprecherin. Linken-Sprecher Bialluch sieht es ähnlich. Und wenn nun der Autor des Altmaier-Porträts für eine Geschichte anklopfen würde? Der Kommunikationsexperte lacht. „Da wäre ich jetzt nicht unbedingt begeistert.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 142 – Thema: Künstliche Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.