Zwischen Hype und Notwendigkeit

Ist der Austausch über die Sozialen Medien inzwischen so wichtig, dass selbst Behörden nicht mehr darum herumkommen? Diese Frage ist für den Kommunikationschef eines Bundesressorts zentral. Denn: Betreibt eine Behörde zahlreiche eigene Online-Kommunikationskanäle, bedeutet das eine große Herausforderung. In der Welt von Facebook, Twitter und Youtube herrschen andere Regeln als auf den Fluren, in den Zimmern und zwischen den Umlaufmappen eines Ministeriums. Hier geht es um saubere Prozesse, Hoheitlichkeit und Genauigkeit – im Internet jedoch stehen Authentizität, Geschwindigkeit und Freude an der Kommunikation im Vordergrund. In einem Ministerium herrscht eine Tonalität der Erhabenheit, im Netz zählt allein die Kraft des besseren Arguments, des geistreicheren Tweets oder des passenderen Links. Hinzu kommt: Nicht immer lässt sich leicht erkennen, ob der Dialog im Netz erfolgreich ist. Die Ergebnisse klassischer Pressearbeit sind demgegenüber leichter zu bewerten. Sind beide Kommunikationsweisen – die in der Politik bereits lange eingebürgerten und die über die neuen Sozialen Netzwerke – letztlich also unvereinbar?
Die Arbeitszeiten zeigen, wie schwierig es ist, die Sozialen Netzwerke in die traditionelle Struktur eines Ministeriums zu integrieren. Schon klassische Pressearbeit lässt sich kaum zwischen sieben Uhr morgens und sieben Uhr abends bewältigen. Die Kommunikation in den Netzwerken aber findet 24 Stunden am Tag statt, sieben Tage die Woche, was 168 Stunden ergibt. Dieser Zahl gegen­über steht die behördliche Regelarbeitszeit von 40 Stunden. Wie kann ein Ministerium hier einen Mittelweg finden, ohne mit dem Arbeitsrecht für Angestellte und Beamte in Konflikt zu geraten?
Die Differenzen zwischen behördlichen Vorgaben und den Regeln der Echtzeit-Kommunikation im Internet tauchen auch in den aktuellen Datenschutzdiskussionen auf. Dürfen sich Behörden Kommunikationskanäle zunutze machen, bei denen darüber gestritten wird, ob sie mit geltenden nationalen und europäischen Daten- und Verbraucherschutzbestimmungen im Einklang stehen?

Eine Million Engagierte

Facebook hat – trotz der neuen Konkurrenz durch Google Plus – eine Monopolstellung unter den Sozialen Netzwerken. Viele Verbraucherschützer bemängeln jedoch, dass das US-Unternehmen nicht genug auf Datenschutz achtet und raten zum Verzicht. Was also tun? Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat entschieden: kein Verzicht. Das BMZ will die Sozialen Netzwerke nutzen, allerdings so umsichtig, dass es als Bundesbehörde mit gutem Beispiel vorangeht. Daher verzichtet das BMZ auf seiner Webseite beispielsweise auf Facebooks „Like-Button“, obwohl es so einen Teil der potenziellen Leserschaft verliert.
Natürlich gibt es viele Gründe, warum sich eine Bundesbehörde in den immer noch neuen Kommunikationskanälen engagieren sollte. Das BMZ setzt auf Facebook, auf Twitter, auf Youtube, seit kurzer Zeit auch auf Google Plus, und will diese Kanäle in Zukunft noch aktiver nutzen. Das Ziel des BMZ ist es, das Thema Entwicklungszusammenarbeit in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Das Ministerium muss sich daher fragen, wo sich potentiell interessierte Bürgerinnen und Bürger aufhalten, und auf welchem Weg man sie ansprechen und für sich gewinnen kann. Zumindest die Frage nach dem „Wo“ ist schnell beantwortet: 80 Prozent der Deutschen sind online und verbringen immer mehr Zeit im Internet. Also muss auch das BMZ dort für sich und für das aktive Mitverfolgen seiner Ziele werben.
Das hat natürlich Konsequenzen für die politische Kommunikation. Auf Twitter verfolgen etwa 50.000 Nutzer die Kurznachrichten von Regierungssprecher Steffen Seibert, dessen Tweets sogar in der Bundespressekonferenz diskutiert werden. Für Gesprächsstoff sorgte auch ein Werbe-Video des Bundesverteidigungsministeriums, das auf dem neuen Youtube-Kanal der Bundesregierung zu sehen war. Das öffentliche Interesse verdeutlicht: Wenn die neuen Kommunikationsformen zum Gegenstand der Berichterstattung klassischer Medien werden, kann die Politik davon ausgehen, dass der Online-Dialog keine Rand­erscheinung mehr ist.

„Heute Journal“ ist wichtiger

Das BMZ schätzt, dass sich derzeit rund eine Million Menschen in Deutschland auf verschiedenste Weise entwicklungspolitisch engagieren. Diese Zahl will das Ministerium in der laufenden Legislaturperiode verdoppeln. Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure brauchen die Unterstützung von jedem Einzelnen, um ihre Ziele erreichen zu können. Aus diesem Grund und nicht, weil das BMZ einfach nur dabei sein will, setzt es auf den Dialog in den Sozialen Netzwerken. Deshalb gibt es eine Facebook-Fanpage mit offener Kommentarfunktion und deshalb wird von entwicklungspolitischen Veranstaltungen und von Auslandsreisen getwittert. Das BMZ will zeigen, wie ernst es ihm mit seinem Anspruch ist, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger durch eine direkte Ansprache zu erreichen.
Gerade wenn man Leiter der Kommunikation eines Ressorts ist, dessen Themen nicht jeden Tag in den prestigeträchtigen „Tagesthemen“ auftauchen, muss man sich der Mittel bedienen, die frei zur Verfügung stehen. Das entspricht jener „Demokratisierung“, die die Anhänger der Sozialen Medien gerne anführen: Wenn auch der Journalist als sogenannter Gatekeeper nicht der Meinung ist, dass das Thema von Bedeutung ist, so glaubt das BMZ sehr wohl, dass seine Themen wichtig sind und möglichst viele Menschen erreichen sollten. Warum also nicht auf allen verfügbaren Kanälen darüber sprechen?
In der Regel wird die Kommunikation über Facebook und Twitter als eine „Many-to-many-Kommunikation“ bezeichnet. Das bedeutet, dass sich Nachrichten nicht mehr an einen, sondern an viele Adressaten richten. Diese empfangen Neuigkeiten und schicken sie an Freunde und Bekannte weiter. Schaut man sich die Art, in der Nutzer in den Sozialen Medien miteinander kommunzieren, jedoch genauer an, stellt sich heraus, dass es gerade auf die einzelnen Interaktionen ankommt. Nur, wenn sich nämlich Einzelne äußern, können andere kommentieren – und noch mehr mitlesen. Mit anderen Worten: Ohne eine personalisierte und persönliche Kommunikation läuft nichts.
Noch sind die neuen Kommunikationswege kein Ersatz für die klassischen Mittel der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Daher ist es für einen Minister – so viel Ehrlichkeit muss sein – allemal erfolgversprechender, im „Heute Journal“ aufzutauchen, als auf Facebook eine Nachricht zu posten. Das ist auch der Grund, warum Regierungsinstitutionen gut daran tun, weiterhin Pressemeldungen zu veröffentlichen, Interviews zu geben und Journalisten einzuladen. Trotzdem: Das BMZ hat bislang gute Erfahrungen damit gemacht, diese nach wie vor wichtigen klassischen Kommunikationsmittel durch den Dialog auf Facebook, Twitter und Youtube zu ergänzen. Dadurch kann es eine Nähe und Unmittelbarkeit erreichen, die ansonsten kaum möglich wäre. Das kann manchmal mühsam sein, denn natürlich sieht sich auch das BMZ im Internet mit Kritik konfrontiert. In den meisten Fällen ist es für beide Seiten jedoch von Vorteil, wenn das Ministerium die Möglichkeit hat, auf Fragen, Kritik oder Anregungen direkt zu reagieren. So kann es beweisen: Entwicklungspolitik wird nicht nur von Menschen gemacht, sondern alle Menschen haben auch die Möglichkeit, sich daran zu beteiligen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Überleben – Krisenkommunikation für Politiker. Das Heft können Sie hier bestellen.