„Wir wollen stören“

Herr Hildebrandt, was war für Sie das ausschlaggebende Argument, bei „stoersender.tv“ mitzumachen?
Dass ich dadurch einen Kanal habe, über den ich zum Beispiel über Aktionen berichten kann, über die andere nicht berichten.
Was sind das für Aktionen?
Wir stellen uns da etwas Ähnliches vor wie die Spaß-Guerilla-Renovierungsaktion, die wir kürzlich in einem Haus in der Münchner Müllerstraße, das die Stadt abreißen wollte, gemacht haben. Initiiert hatte die Aktion Till Hofmann, um auf die zunehmende Wohnungsnot in München aufmerksam zu machen, …
… und Sie haben ihn dabei unterstützt, indem Sie bei der Aktion im Gorilla-Kostüm aufgetreten sind.
Genau. Ungefähr so stellen wir uns die Aktionen auf stoersender.tv vor. Dazu gibt es dann satirische Kommentare von mir, Konstantin Wecker singt ein Lied, andere tragen Gedichte vor – also alles, was man sich an Kunst und Kultur vorstellen kann. Natürlich wollen wir aber auch aufklären über Dinge, die sonst nicht aufgeklärt werden.
Was heißt das konkret?
Dass es Berichte und Reportagen geben wird etwa darüber, wie unsere Strahlenschutzkommission arbeitet oder wie stark die Gutachten über die Asse gefälscht wurden und wie viel Geld die Gutachter bekommen haben. Natürlich ist das Projekt ein Abenteuer und wir wissen nicht, ob es gelingt. Aber ich bin neugierig.
Sind Sie auch neugierig auf das Medium Internet als solches?
Ja, natürlich. Ich habe ja lange geglaubt, dass das Internet ein Ross ohne Sattel ist, ein galoppierendes Monster. Inzwischen aber habe ich festgestellt: Man kann sich festhalten. Für diesen Sinneswandel hat Stefan Hanitzsch …
… der Hauptinitiator von stoersender.tv und Sohn Ihres Freundes, des Karikaturisten Dieter Hanitzsch, …
 gesorgt. Er ist ein junger Mann, der einem das Gefühl vermittelt, dass man mit diesem explosiven Medium arbeiten kann. Die Chancen, das zu verbreiten, was einem am Herzen liegt, haben sich durch das Internet vervielfacht. Das konnte ich einfach nicht ungenutzt lassen.
Was macht für Sie den besonderen Charme des Störsenders aus?
Dass meine Kollegen und ich selbst entscheiden können, ob wir weitermachen oder nicht. Das wäre beim Fernsehen nicht möglich. Da muss man erst zurücktreten, und dann kommt die Presse und fragt, warum man zurückgetreten ist. Mit dem Störsender treten wir zwar vor, aber zurücktreten werden wir nicht.
Haben Sie nicht die Befürchtung, dass stoersender.tv ein Nischenprogramm für Kabarett-Feinschmecker wird?
Ja, Befürchtungen dieser Art habe ich schon. Aber möglicherweise passiert auch etwas ganz anderes. Wir haben ja Leute wie Georg Schramm dabei, der nun wirklich nicht mit seiner Meinung hinterm Berg hält und auf der Bühne immer provoziert. Und einen sehr klugen Mann wie Frank-Markus Barwasser und einen sehr mutigen Mann wie Sigi Zimmerschied. Ich glaube, mit diesen Kollegen wird ein negativer Effekt so schnell nicht eintreten.
Hoffen Sie, dass der Störsender zu einer Institution des politischen Kabaretts wird?
Natürlich. In meinem Alter kann ich doch nicht etwas anstoßen, ohne dafür zu sorgen, dass es eine Institution wird. Denn irgendwann werde ich ja auch wieder aussteigen.
Wirklich? Wann denn?
Vielleicht, wenn ich 90 bin. Ich will ja nicht der Johannes Heesters der neuen Medien werden. Den Störsender in Gang gebracht zu haben, der dann von anderen weitergeführt wird, das würde mir schon genügen als Erbe.
Also der erste Dominostein gewesen zu sein, …
…der nicht umgefallen ist. Das wäre schon gut, ja.
Sie sind ja ein alter Hase des politischen Kabaretts …
Die Bezeichnung „alter Hase“ hat mir noch nie gefallen. Alte Hasen gibt es gar nicht, Hasen werden ja nicht alt. Hunde übrigens auch nicht. Wenn ich ein Hund wäre, wäre ich jetzt 14.
Gut, sagen wir „Veteran des politischen Kabaretts“. Haben Sie als solcher festgestellt, dass sich das Kabarett durch das Medium Internet verändert hat?
Ach wissen Sie, beim Kabarett ist es im Grunde genommen so: Einer stellt sich hin und erzählt, was er denkt. Das nennt man Stand-up Comedy. Da kann man nicht viel verändern. Man kann nur das Bühnenbild hinten wechseln. Wie beim Fußball: Wenn ein Tor geschossen wird, dann erscheint auf der Bande hinter dem Tor plötzlich Werbung für Zahnpasta.
Stefan Hanitzsch hat betont, dass der Störsender Freidenkertum und direkte Demokratie fördern soll. Sehen Sie das genauso?
Auf jeden Fall. Stefan hat ja eine Weile für die SPD gearbeitet und kennt sich im Politikbetrieb aus. Dort ist es einfach schwer, an Probleme ranzukommen, geschweige denn, sie zu lösen. Es gibt zu viele Interessen, zu viele Neider, zu viele Spitzel. Beim Störsender wollen wir Probleme von außen kritisch betrachten und die Bürger aufrütteln, sich zu engagieren. Ohne großes Brimborium, ganz minimalistisch. Sponsoren, die uns bezahlen, haben wir nicht. Wir setzen auf Crowd-Funding. Das ist ein geniales, demokratisches System und damit eine gute Idee.
Gibt es mit Blick auf die Bundestagswahl Themen, die beim Störsender vorkommen werden?
Ach, die Wahlkämpfe werden ja immer uninteressanter. Die finden praktisch auch nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Internet. Dadurch werden Wahlplakate sinnlos. Das hat Norbert Röttgen in Nordrhein-Westfalen 2012 nicht erkannt. Der hat riesige Wahlplakate aufgestellt und draufgeschrieben: „Ich komme.“ Das haben die Wähler als Warnung verstanden und sind nicht mehr wählen gegangen. Man muss die Leute doch überraschen, man muss sie doch packen.
Dafür liefert in Sachen Wahlen das Ausland derzeit eine Menge Stoff für Kabarettisten. Was sagen Sie denn zum Wahlausgang in Italien?
Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass die Italiener einen Mann wie Berlusconi, der bewiesenermaßen ein Krimineller ist, zum vierten Mal wählen. Das ist ungefähr so, als wenn sie noch mal den Duce gewählt hätten.
Warum sind die politischen Verhältnisse in Italien so chaotisch?
Wahrscheinlich sind die fähigen Leute alle im Tourismusgeschäft tätig; in der Politik sind sie offensichtlich nicht. Jedes Mal, wenn ich nach Italien in den Urlaub gefahren bin, gab es eine andere Regierung. Wenn Ferien waren, dann hat die eine Regierung einfach ihre Arbeit niedergelegt und dann kam die nächste. Das ist in keinem anderen Land so denkbar. Und mit welcher Grandezza sie ihre Fehler erklären und dazu singen und tanzen. Das wiederum ist bewundernswert.
Auch Berlin hat für Kabarettisten einiges zu bieten: Mit dem Debakel um den geplanten Großflughafen Berlin-Brandenburg wird in der Hauptstadt eine Tragikomödie aufgeführt, die eher der Phantasie eines Theaterautors entsprungen zu sein scheint als dem realen Leben.
Wenn es inszeniert war, dann ist es jedenfalls ein gutes Stück. Ich hoffe nur, dass es nicht oft gespielt wird. Es ist schon dramatisch: Einer der größten Flughäfen in Deutschland soll er werden. Und er ist nicht den Schweiß der Edlen wert. Da hat man alle Dilettanten zusammengeholt, um diesen Flughafen in den Grund zu bohren.
Glauben Sie für den Flughafenbau verantwortlichen Politikern wie Klaus Wowereit, dass sie von dem Drama auf einer der größten Baustellen Deutschlands nichts gewusst haben?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ich Regierender Bürgermeister von Berlin bin, dann fahre ich doch mal raus und frage nach: ‚Sagt mal, wie weit seid ihr denn? Ich habe nämlich gerade meine Eröffnungsrede fertig. Ach, den Grundstein, den habt ihr schon gezeichnet?’ Das ist schon Komik, das geht in die Geschichte ein. Das ist Berlin.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Im Auftrag des Herrn – wie die Kirche ihre Macht wahrt. Das Heft können Sie hier bestellen.