TTIP, Fracking, Grüne Gentechnik: An Beispielen für die in Deutschland zunehmend vehemente Ablehnung bestimmter Entwicklungen und Neuerungen herrscht wahrlich kein Mangel.
Gleichzeitig heißt es, Wirtschaftslobbyisten und Spindoktoren seien die eigentlich Mächtigen im Lande; sie zögen im Verborgenen die Strippen und diktierten die politische und mediale Agenda. Interessenvertretung durch NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure hingegen wird gar nicht als solche empfunden; es wird vielmehr kritiklos unterstellt, dass es einzig um das Allgemeinwohl gehe. Woher kommen diese Automatismen? Wer verfügt hier über Meinungsmacht und Deutungshoheit? Wer ist in diesem Sinne David, wer Goliath?
Vieles funktioniert gut in unserer Gesellschaft. Vieles wird ausführlich diskutiert. Es gibt ein hohes Maß an Regulierung, um Ausuferungen zu vermeiden. Bürger und Interessengruppen haben umfangreiche Möglichkeiten, sich in Entscheidungsprozesse einzubringen.
Dennoch hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren eine fundamentale Ungleichbehandlung unterschiedlicher Akteure in öffentlichen und medialen Debatten ergeben. Die Wirtschaft hat ein enormes Vertrauensproblem. Untersuchungen bestätigen, dass Unternehmen hierzulande besonders skeptisch beäugt werden.
Ist das rational? Sicher, diverse Krisen und Skandale zeigen Wirkung. Aber ist dies das Wesen der sozialen Marktwirtschaft? Erklärt es einen gesellschaftlichen Diskurs, in dem das Verhalten „der Wirtschaft“ und ihrer Interessenvertreter unter Generalverdacht steht?
Wir leben in materiellen Verhältnissen, die für frühere Generationen kaum vorstellbar gewesen wären. Doch die Welt wird als immer komplizierter wahrgenommen. Alte Sicherheiten bröckeln. Traditionelle Stabilitätsanker – Kirche, Nationalität, Parteien, Vereine – verlieren an Bedeutung.
Offenbar speist sich daraus ein neues Bedürfnis nach Klarheit und vermeintlichen Wahrheiten. In bestimmten meinungs- und publikationsstarken Kreisen herrscht so ein Zeitgeist, der von hohem Misstrauen gegenüber Wirtschaft und Politik, latentem Antiamerikanismus sowie Wachstums- und Kapitalismuskritik geprägt ist. Demgegenüber stehen Zauberbegriffe wie Transparenz, Nachhaltigkeit und Beteiligung. Das sind Dinge, gegen die auf den ersten Blick niemand etwas haben kann; die sich beim zweiten Hingucken jedoch oft als reine Symbolpolitik entpuppen.
Nicht jedes Anliegen ist gut, nur weil es von Food Watch, Greenpeace oder einer lokalen Bürgerinitiative vertreten wird. Nicht jedes Anliegen ist schlecht, nur weil der BDI oder ein Industrieunternehmen dahintersteht. Die Empörungs- und Skandalisierungsdiskurse sind ermüdend und destruktiv. Sie tragen dazu bei, die Menschen an die Ränder des politischen Spektrums zu drängen. Etwas mehr Realitätssinn und Wille zur Differenzierung täte uns gut.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2015. Das Heft können Sie hier bestellen.