Man spricht nur mit dem Herzen gut!

Reschs Rhetorik Review

Wie oft werden wir Rhetorik-Coaches gefragt: Wie kann ich noch überzeugender wirken? Die einfache Antwort lautet: Sage nur das, wovon du selbst überzeugt bist. Schon damit haben manche bisweilen ein Problem. Was, wenn Fraktionsdisziplin oder Vorstandsbeschlüsse etwas anderes gebieten? Loyalität gegenüber der Partei und dem Unternehmen ist wichtig. Aber die Kommunikation und erst recht die Medien sind recht kompromisslos. Mit der Position, die ich nicht vollends teile, jetzt also raus in die Nachrichten und in die Talkshows – damit das gelingt, muss ich schon ein mit allen Wassern gewaschenes Rhetorik-Schlachtross sein.

Im Zweifel rate ich: Es sind ja nicht umsonst mehrere Menschen in einer Fraktion oder einem Unternehmensvorstand. Lass doch denen den Vortritt, die zu 100 Prozent hinter der Position stehen, die es zu verteidigen gilt. Denn eines gilt so ewig wie Ebbe und Flut: Man spricht nur mit dem Herzen gut.

Gut sehen konnte man das bei Nadine Schön und Serap Güler (beide CDU). Für dieses Beispiel springen wir zurück zum Jahresanfang. Damals bewarb sich Helge Braun um den Vorsitz der CDU. Clevere Analyse: Norbert Röttgen fehlte das Herz, Friedrich Merz fehlten die Frauen. Braun hatte die Damen Schön und Güler an seiner Seite. Bekannt genug, um seine Kandidatur zu stützen. Jung genug, um ein Scheitern politisch zu überleben. Auf einer Pressekonferenz sprachen sie auch über sich selbst.

Serap Güler sprach von ihren Eltern, die als Gastarbeiter ins Land kamen. Von dem Vater, der Alleinverdiener war, bis die Mutter putzen ging, damit Geld in die Familienkasse kam. Über ihre eigene Ausbildung als Hotelkauffrau, in der sie Betten gemacht und Bäder geputzt hat. Sie sagt: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn es am Siebzehnten eines Monats heißt: Das können wir uns diesen Monat nicht mehr leisten.“ Man wünscht sich, dass Helge Braun nur ihretwegen CDU-Vorsitzender wird. Solche Persönlichkeiten braucht es in der Politik. Wenn Nadine Schön dann über strukturelle Veränderungen, flexible Lösungen und mit der üblichen Distanz, mit der Politiker auch über Kassiererinnen und Taxifahrer sprechen, über „die Alleinerziehende“ spricht, ist der Zuhörer schon wieder bei den Mails auf dem Handy. Selten saß ein rhetorischer Kopf so nah auf einer Bühne neben einem rhetorischen Herz.

Steinmeiers Lernkurve

Kommen wir zum Bundespräsidenten. Von dem haben wir in den ersten Jahren seiner Amtszeit so wenig erlebt, ich überlege gerade, ob sein Nachname mit i oder y geschrieben wird. Kurz nachgeschaut: Er heißt Frank-Walter Steinmeier. Sein größter sprachlicher Coup war es wohl, als Kanzlerkandidat Wahlplakat-gerecht „Frank“ und als Präsident nun wieder gewichtig „Frank-Walter“ zu heißen. Jetzt hält er Reden – Pause –, die immer nur am Schluss betont werden. Die geneigten Zuhörer haben dabei überhaupt keine Ahnung – Pause –, was dem Frank-Walter wirklich wichtig ist. Nach 45 Minuten – Pause – wird das ganz schön anstrengend und – Pause – rhetorisch macht das noch keinen Bundespräsidenten.

Alles im Leben ist Rhythmus – auch eine gute Rede. Das kann keiner von Haus aus. Das muss man lernen, auch als Bundespräsident. Sie ahnen, dass ich von der rhetorischen Performance Steinmeiers enttäuscht war. Erst recht, nachdem er 2020 nicht selbst die Laudatio auf den Friedenspreisträger Amartya Sen halten konnte, weil ein Virus dazwischenkam. Die veranstaltende Buchbranche entschied, dass der herausragende Theaterschauspieler Burghart Klaußner die Rede Steinmeiers vortragen solle. Für den Redenschreiber des Bundespräsidenten muss es der schönste Tag seines Lebens gewesen sein. Mit so viel Pathos hat er seine Reden wohl nie gehört. Schauspieler geben sich ihren Rollen hin. Mit vollem Herzen. Was für eine Rede! Ich empfehle jedem, diese Rede zu youtuben – vor allem dem Bundespräsidenten.

Nun, habemus Bundespräsident. Nun scheint das Axiom der inneren Freiheit wieder einmal zur Anwendung zu kommen, das auch dem erfahrenen Friedrich Merz einen unverhofften zweiten rhetorischen Frühling beschert hat. In seiner zweiten Amtszeit scheint Steinmeier innerlich unabhängiger zu sein. Seine Rede auf die Demokratie wurde in den Medien nicht ohne Grund als die beste seiner Präsidentschaft bewertet. Da waren plötzlich Leidenschaft und so viel Herz wie nie zu spüren. Mehr davon, Herr Bundespräsident! Wir brauchen gerade jetzt einen wie Sie, der mit Worten zu gestalten weiß.

Corona-Fehler

Es war wohl auch seit langem die erste politische Rede überhaupt, die sich nicht grundsätzlich mit diesem vermaledeiten Virus zu beschäftigen hatte. Vielleicht müssen wir mit unseren Politikerinnen und Politikern so nachsichtig sein wie mit manchen Schulzensuren unserer Kinder. Da muss man einfach Corona-Abstriche machen. In dieser ewigen Monothematik ist es auch schwer, rhetorisch Akzente zu setzen. Gleichwohl man sich schon fragt, warum es inhaltlich und rhetorisch in dieser Krise so oft danebenging. Ein Unternehmen, das in einer globalen Krise so kommunizieren würde, wie es die Politik zum Thema Corona getan hat, würde wohl nicht mehr existieren. Es braucht in einer Krise a) Haltung, b) belastbare Klarheit und c) das tiefe Verständnis um die emotionalen Befindlichkeiten meiner Zielgruppe. Womit der Kreis dieser Rubrik sich langsam schließt und wir wieder bei Helge Braun wären. Der ja mal gesagt hat, wenn jeder ein Impfangebot erhalten habe, könnten die Maßnahmen fallen. Das ist lange her. Einige Maßnahmen gelten noch heute.

Helge Braun meint das nett gemeint haben. Seine eigene Hoffnung war aber wohl stärker als jede rhetorische Notbremse. Solch ein Satz muss enttäuschen und wird früher oder später aufgerechnet. Gerade in einer Krise gilt: Rhetorisch immer auf Sicht fahren. Auch mal über Zweifel und offene Fragen sprechen.

Nicht nur in Schlagzeilen denken. Bitte gar nichts versprechen, was man nicht halten kann. In dieser Krise ist die politische Klasse an die Erfahrungsgrenzen ihrer Rhetorik gelangt. Professionelle Unternehmenskommunikatoren machen deshalb regelmäßig Krisentrainings. Hier geht es um Vertrauen und den direkten Weg ins Herz des Gegenübers.

Zwei Anekdoten

Es ist in der ARD beinahe schon Tradition, dass Interviews mit den Intendanten nicht zu journalistischen Leuchtfeuern werden. Das mag daran liegen, dass Intendanten häufiger verdiente Journalisten sind. Das hat bei Friedrich Nowottny wunderbar funktioniert, ist aber spätestens mit Tom Buhrow gescheitert. Der transportiert mittlerweile nur noch seine Dünnhäutigkeit. Vor dem Mikro ist eben nicht hinter dem Mikro.

Die neueste Perle unrühmlicher Intendanteninterviews ist das Gespräch von ARD-Chefin Patricia Schlesinger mit dem Magazin „Horizont“. Auch sie war mal Journalistin und landet nun auf der für sie offenbar falschen Seite des Mikrofons.

In meinen Coachings definieren wir die entscheidenden Themen, zu denen meine Klienten nachts um drei klar, überzeugend und präzise auf den Punkt sprechbereit müssen. Für eine RBB-Intendantin gehört dazu definitiv die Frage nach der Rechtfertigung für den öffentlich-rechtlichen Mega-Apparat. Schlesinger antwortet ernsthaft: „Wir stehen in einem Auftragsverhältnis. Wir können nicht einfach selbst entscheiden, eine Hörfunkwelle (…) zu schließen. Es geht immer auch um die Frage, welche Größe und welchen Stellenwert ein Land einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk beimisst.“ In einer anderen Antwort erinnert sie an die Anfänge des Rundfunks nach dem Krieg. Was und wen will sie damit erreichen? Systeme rechtfertigen, weil die nun mal so sind, wie sie sind – das ist aus guten Gründen ein seit zweitausend Jahren nicht überliefertes rhetorisches Stilmittel.

Zum Abschluss noch ein Leckerbissen aus dem Morgenmagazin. Auf der ewigen Suche der Journalisten zu dem Spiel „Wer hat seit 48 Stunden nichts zu dem Thema Corona gesagt?“ fiel die Wahl auf Amira Mohamed Ali, Chefin der Linken im Bundestag. Es ging mal wieder um Öffnungsstrategien. Auf die Frage „Sind Sie für oder gegen Lockerungen?“ antwortete sie: „Ich bin ganz klar dafür, dass die Maßnahmen, die sinnvoll sind, erhalten bleiben.“ Das hätte ein uninformierter, überrumpelter Bürger in einer Straßenumfrage nicht besser sagen können – aber auch nicht schlechter.

Dafür hätte Frau Mohamed Ali sich nicht den Wecker fürs Morgenmagazin stellen müssen. Wenn der Kopf sagt: Mensch, ich brauche rasch eine Meinung, das Herz aber: Weiterschlafen wäre schön – dann ist der gute Rat: Dem Morgenmagazin auch mal absagen. Die politische Meinung erst einmal finden, dann durchs eigene Gewissen und schließlich durchs eigene Herz jagen. Und wenn man dann zu dem Urteil kommt, man habe wirklich etwas zu sagen, mit klarer Haltung und aus tiefer Überzeugung: Dann geht’s am nächsten Morgen ins Interview mit dem MoMa. Dann spüren auch die Zuschauer, was Rhetorik-Profis längst wissen: Man spricht nur mit dem Herzen gut!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 138 – Thema: Rising Stars. Das Heft können Sie hier bestellen.