Im Reich der Minilobbyisten

Der entscheidende Wink kam aus der Politik. „Wenn Sie voran kommen wollen, dann gründen Sie einen Verband“, sei der Rat von NRW-Staatssekretär Marc Jan Eumann gewesen. Otto Kettmann spielte da schon länger mit dem Gedanken, die Interessen seiner Branche zu organisieren. Luxuskarosse, Burgerbrötchen, Schokoriegel: Der Freiberufler platziert Produkte namhafter Unternehmen in Kinofilmen und Fernsehserien. Den Rat nahm er sich zu Herzen und gründete im Sommer dieses Jahres den Bundesverband für Product Placement. Mit seinen zwölf Verbandsmitstreitern will Kettmann jetzt die Regularien für Product Placement liberalisieren und die Organisation langfristig als Schiedsinstanz in Streitfällen etablieren.
Zwölf Mitglieder – ein bisschen mickrig, um im politischen Betrieb mitzumischen? So wie Kettmanns Verband gibt es viele Interessenvertretungen. Klein, unbekannt und auf den ersten Blick ein wenig skurril. Und doch ist die Größe kein entscheidendes Kriterium für den Erfolg ihrer Arbeit. Der Politikwissenschaftler und Verbände-Experte Christoph Strünck von der Universität Siegen hält die Schwerpunkte, die der Verband in seiner Arbeit setzt, für entscheidend. Denn die wenigsten Organisationen verfolgen derart ambitionierte politische Ziele wie Kettmanns Neugründung. Vielmehr geht es darum, „Exklusivleistungen“ für die Mitglieder zu entwickeln. Denn von Lobbyarbeit, etwa einer gestoppter Gesetzesinitiative, profitieren nicht nur die Beitragszahler, sondern alle Marktteilnehmer. Da liegt es nah auszutreten, von dem gesparten Pflichtbeitrag schick zum Italiener zu gehen und sich bei einem Espresso dennoch über ein gestopptes Gesetz zu freuen.
Für den Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement, Wolfgang Lietzau, heißt daher das Zauberwort „Mitgliedernutzenorientierte Arbeit“. Damit gewinnt das Wirken nach innen immer mehr an Bedeutung. Die bestmögliche Ausrichtung auf die Mitglieder erreicht man in einem kleinen Verband leichter. In großen heterogenen Organisationen ist es mühevoll, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Die Folge: Es bilden sich Flügel wie in Parteien, einzelne Mitglieder fühlen sich nicht ausreichend vertreten, die Strukturen zerreißen. Lietzau sieht den Trend zu immer kleinteiligeren Verbänden. So steige in Deutschland die Anzahl der Verbände pro Jahr durchschnittlich um fünf Prozent.
Auch der Politikwissenschafter Strünck beobachtet seit einigen Jahren einen „bemerkenswert starken Hang zur Separation“. Statt sich zu großen Universalverbänden – wie dem BDI – zusammenzuschließen, spalten sich immer mehr Verbände auf und gründen Organisationen für Partikularinteressen. Einige kleine Gruppen erhielten so große Macht und schwächen die Großen. Fluglotsen oder Lokführer können die gesamte Infrastruktur lahmlegen. Doch von den 15.000 Verbänden in Deutschland verfügt nur ein Bruchteil über derart starken Einfluss.
In der Menge fällt die Macht der Verbände auf das politische Geschehen in der Bundesrepublik eher bescheiden aus. Es fehlt eine rechtliche Trennung zwischen den Begriffen Verein und Verband. Die Konsequenz: Nicht alles was glänzt, ist auch Gold. Hinter vielen Verbänden steckt ein kleiner Verein, der an Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse kein Interesse hat und maximal auf Kleingartenvereinsniveau mitmischt. Solche Verbände tauchen trotzdem zahlreich im Lobbyregister des Bundestags auf. „Die Registrierung dort bedeutet nichts“, sagt Wolfgang Lietzau. Viele Vereinigungen melden sich nur pro forma an, um theoretisch Kontakt zu Abgeordneten aufnehmen zu können. Ohne konkreten Antrieb. Schließlich muss man für die Registrierung nur ein zweiseitiges Formular mit Angaben zu Anschrift, Vorsitzenden und Interessenbereich ausfüllen. p&k sondiert das Feld und präsentiert auf den nächsten Seiten eine kleine Auswahl großer Ambitionen …

„Mit Casting­shows hat unser Beruf nichts gemeinsam“

Nicht jedem ist der Beruf des Casting ­Directors geläufig – schließlich taucht sein Name im Filmabspann ziemlich am Ende auf, bei den Cateringfirmen ungefähr. Bei der Besetzung einer Rolle geht ohne Castingdirektoren jedoch fast nichts. Sie vermitteln zwischen den Agenten der Schauspieler und den Filmproduzenten. Der Verband setzt sich dafür ein, das Berufsbild zu stärken und Qualitätsmaßstäbe für die Rollenbesetzung zu setzen.

Bundesverband Casting
Vorsitzende: Cornelia von Braun
Gründung: 2003
Mitglieder: 37
www.castingverband.de

„Man redet nicht mit uns, nur über uns“

Auch Bordelle brauchen eine Vertretung. Vor allem Bordellbetreiber, die gesetzliche Rahmenbedingungen für ihr Gewerbe häufig nicht durchschauen. Der Verband berät in allen rechtlichen Bereichen  und wünscht sich eine stärkere Kontrolle der Betreiber um Seriösität zu stärken. Auch der Kontakt zur Politik wird gesucht. Doch mit Bordellen und Prostituierten lassen sich schlecht Wähler erreichen – daher steht der Verband oft vor verschlossenen Türen. Einmal lud er Bundestagsabgeordnete am Nachmittag zur Besichtigung in eines der Etablissements. Sie sollten sich ein Bild davon machen, worum es dem Verband ging. Niemand kam. Nur die Boulevardpresse verteilte Schelte.  

Unternehmer­verband ­Erotik Gewerbe ­Deutschland
Präsident: Holger Rettig
Gründung: 2007
Mitglieder: 170
www.uegd.de

„Zwiebeln gehen ­immer“

Knapp 90 Prozent der deutschen Zwiebelbauern und -vermarkter sind in diesem Verband angesiedelt. Zwiebeln sind Alltagsprodukt, man hat sie im Haus, kauft sie häufig ein. Aber die wenigsten Verbraucher schauen auf das Etikett. Der Verband setzt auf Marketing für die heimischen Produkte, die Konkurrenz zu Zwiebeln aus Neuseeland ist groß. Für die Produzenten gibt es Informationsmaterial, Beratungsangebote und Kontakte zur verarbeitenden Industrie – von Röstzwiebeln bis zu Tiefkühlware.

Fachverband Deutsche ­Speisezwiebel
Geschäftsführerin: Andrea Schneider
Gründung: 1993
Mitglieder: 800
www.deutsche-zwiebel.de

 

„Ein Rasen wird komponiert“

Haben Sie schon einmal über Rasen nachgedacht? So eine Grünfläche ist eine Wissenschaft. Bis zu 800 verschiedene Gräsersorten stecken darin. Die Deutsche Rasengesellschaft ist Experte auf dem Gebiet. Der Verband beriet unter anderem die Deutsche Fußball-Liga bei der Erarbeitung eines „Rasenqualitätskonzepts“ für die 1. und 2. Bundesliga. Außerdem gibt er Mitgliedern Anwendungs- und Pflegehinweise und bietet für Golfplatzmitarbeiter eine eigene Greenkeeper-Schulung.

Deutsche ­Rasengesellschaft
Vorsitzender: Dr. Klaus Müller-Beck
Gründung: 1964
Mitglieder: 260
www.rasengesellschaft.de

„Der ­Vorteil ist der Knack-­Effekt“

Kunstdarm oder Naturdarm? Es geht um die Wurst. Der Zentralverband setzt sich dafür ein, den Anteil von Naturdärmen im weltweiten Handel stabil zu erhalten. Für  Mitglieder – alles reine Naturdarmspezialunternehmen – bietet er eine Informations- und Austauschplattform. Der Verband hat die rechtliche Sicherung des Begriffs „Saitling“ erreicht. Nur eine Wurst im Naturdarm darf sich so nennen. Aktueller Schwerpunkt ist die Forderung der deutlichen Kennzeichnung bei Lebensmitteln, ob Kunst- oder Naturdarm verwandt wurde.

Zentralverband ­Naturdarm
Geschäftsführerin: Katrin Langner
Gründung: 1947
Mitglieder: 31
www.naturdarm.de

„Das Versprechen von 1914 gilt für uns noch heute“

Noch vor Ausbrechen des ersten Weltkriegs hat sich der Internationale Versöhnungsbund auf einer Tagung der protestantischen Kirche 1914 in Konstanz gegründet. Deutsche und englische Teilnehmer versprachen sich, nicht die Waffen gegeneinander zu erheben in den Wirren der Zeit. Die pazifistische Vereinigung, die sich als spirituelle Bewegung versteht, ist in 40 Ländern weltweit vertreten. Früher unterstützte sie Kriegsdienstverweigerer, inzwischen auch Menschen, die keine Steuern zahlen wollen, weil ein Teil davon für militärische Ausgaben verwendet wird. Der Verband bietet Beratung zum Thema Ziviler Ungehorsam und schafft Bildungsangebote sowie Begegnungsräume.

Internationaler ­Versöhnungsbund
Präsident: Ullrich Hahn
Gründung: 1914
Mitglieder: 1000
www.versoehnungsbund.de

„Wenn ich tot bin, merke ich dann noch, wenn du mich kitzelst?“

Diese Frage hörte der Vorsitzende Andreas Mäsing von seinem Sohn, als er mit ihm übers Sterben sprach. Genau dafür setzt sich der Verband ein: Über Tod und Sterben offen reden. Und vor allem über das passende Begräbnis. Nichts sei so schlimm für Angehörige, wie ein falsches Grab. Der Verband engagiert sich gegen den Trend der anonymen Bestattung unter einer grünen Wiese. Stattdessen wirbt er für eine Trauerstätte mit Namen. Um das Tabuthema zu brechen arbeitet er mit Kindern. Friedhofsbegehungen und „Kreativarbeit am Sarg“ sollen vermitteln, dass der Tod etwas ganz normales ist und die Angst nehmen.

Verband zur ­Förderung der deutschen ­Friedhofskultur
Vorsitzender: Andreas Mäsing
Gründung: 2000
Mitglieder: 170
www.vffk.de

„Sadomasochisten sind die letzten Romantiker der Welt“

„Wie haue ich richtig?“ oder „Wo kann ich einen Rohrstock kaufen?“, sind häufig gestellte Fragen der Verbandsmitglieder. Beratungsangebote sind gefragt. Die Vereinigung hat sich das Ziel gesetzt, mit Vorurteilen gegenüber SM-Fans aufzuräumen. Dazu gehört auch die regelmäßige Teilnahme an Sexualkongressen. Immerhin: In Deutschland herrsche eine SM-freundliche Situation. Vielleicht wird es sogar ein neuer Trend, Stichwort „Shades of Grey“.

Bundes­vereinigung ­Sado­masochisten
Vorsitzender: Jörg Reimers
Foto u. Zitat: Matthias Grimme, Verbandssprecher
Gründung: 2003
Mitglieder: 300
www.bvsm.de

„Legalisierung bedeutet Regulierung“

500 Mitglieder, eine weit größere Masse hinter sich: 2010 hatte die Facebook-Seite des Hanf-Verbands 500 Fans, heute sind es über 17.000. Beim Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin im Februar schaffte es der Vorschlag des Verbands, Haschisch zu legalisieren, auf den zweiten Platz. Mit beachtlichen 152.056 Stimmen. Aufklärungsarbeit und Kontakte zu Polizei, Politik sowie Suchtberatungen bilden den Schwerpunkt der Arbeit. Ein tragfähiges Konzept für Deutschland erarbeitet der Verband. Legalisierung bedeutet darin vor allem Kontrolle über Angebot, Qualität und Handel.    

Deutscher Hanf Verband
Vorsitzender: Georg Wurth
Gründung: 1984
Mitglieder: 500
www.hanfverband.de

„Menschen brauchen keine moralische Diktatur“

Priester und Frauen passen zusammen wie Katze und Maus. So sieht es die katholische Kirche. Der Verband ist Anlaufstelle für Priester, die trotz Pflichtzölibats eine Liebesbeziehung eingehen und mitunter dafür ihren Beruf aufgeben müssen. Viele landen danach ungebremst in Hartz IV, da der Beruf des Priesters keine Arbeitslosenversicherung beinhaltet. Arbeitslose Priester sind nicht eingeplant. Der Verband kümmert sich in beratender Funktion um die Männer, hilft bei der Suche nach einem neuen Beruf und sucht den Dialog mit der Kirche. Abschaffung des Pflichtzölibats und bessere Absicherung für Priester ist eine klare Forderung. Eine Reaktion auf Briefe und Veröffentlichungen blieb die katholische Kirche anscheinend bisher schuldig.

Vereinigung ­katholischer Priester und ­ihrer Frauen
Vorsitzender: Claus Schiffgen
Gründung: 1984
Mitglieder: 200
www.vkpf.de

„Von manchen werden wir belächelt“

Vom Meerschwein bis zur Milchkuh behandeln die Heilpraktiker des Verbands alle Tiere. Einer hat sich nur auf Koi-Fische spezialisiert und reist für die Fische durch die Republik. Statt mit Medizin, versuchen Tierheilpraktiker mit Massagen, Akupunktur und homöopathischen Mitteln Krankheiten zu kurieren. Der Verband bietet neben einem Forum für Information und Austausch auch ein Qualitätssiegel, für das eine interne Prüfung abgelegt werden muss. Fortbildungen werden organisiert, der Dialog mit Schulmedizinern gesucht. Er verfolgt auch das Ziel, den Beruf staatlich anerkennen zu lassen, mit einheitlichen Ausbildungs- und Abschlusskriterien. Im Moment kann sich jeder, der einen Kurs besucht hat, Tierheilpraktiker nennen.

Ältester ­Verband der
Tierheil­praktiker
Vorsitzende: Mechthild Priester
Gründung: 1931
Mitglieder: 400
www.thp-verband.de

„Zu viele schwarze Schafe“

Viele einsamen Seelen suchen einen Partner. Vermittlungen sorgen dafür, dass sie fündig werden. Der Verband verfolgt das Ziel, die Seriösität der zahlreichen Anbieter auf dem Markt zu überprüfen. Bei Unsicherheit können Kunden sich an den Verband wenden, um Auskunft über einen Anbieter zu erhalten. Um überhaupt dort aufgenommen zu werden, müssen Agenturen einen Prüfkatalog erfüllen. Zudem berät er bei Neugründungen. In Zusammenarbeit mit der Wettbewerbszentrale Berlin wurde erwirkt, dass inzwischen ein polizeiliches Führungszeugnis bei Gewerbeanmeldung Pflicht ist. Zusammen mit der Zentrale spürt der Verband unseriöse Agenturen auf und erteilt Abmahnungen, einige hundert seien es bereits gewesen.  

Gesamtverband­ der Ehe- und Partner­vermittlungen
Vorsitzende: Simone Janssen
Gründung: 1975
Mitglieder: 30
www.g-e-d.de

„Sie werden immer breiter“

Etwa eine Million Parkplätze in öffentlichen Parkhäusern und Tiefgaragen vertritt der Bundesverband Parken. Die Interessengemeinschaft fördert  Austausch und Kommunikation zwischen Garagenbetreibern, Architekten, Bauplanern und allen, die etwas mit öffentlichen Parkplätzen zu tun haben. Dabei nimmt der Verband auch Einfluss auf Kommunal- und Landespolitik, etwa auf die Garagenverordnung. Eine Studie der Universität Zwickau hat ergeben, dass die Breite der Autos in den letzten Jahren 30 cm zugenommen hat. Jetzt versucht der Verband dahingehend die Regularien für Parkplatzbreite zu verändern.

Bundesverband Parken
Vorsitz: Gerhard Trost-Heutmekers
Gründung: 1968
Mitglieder: 300
www.parken.de

 

„Unsere Arbeit hat nichts Weltliches an sich“

In die Vergangenheit reisen und das eigene frühere Ich kennen lernen – jeder könne das laut Verbandsvorsitzender Karin Langer. Aufmerksamkeit und Zuspruch sind in den letzten Jahren gewachsen, mehr Menschen begeben sich auf eine spirituelle Suche nach sich selbst. Aber den richtigen Therapeuten zu finden ist eine Herausforderung. Der Verband versorgt seine Mitglieder mit Informationen und Seminaren. Verbraucher können sich über Qualifizierungen von Therapeuten informieren, zudem vermittelt der Verband Hospitanzen für angehende Reinkarnationstherapeuten zu Ausbildungszwecken. Staatliche Regulierungen sollen möglichst vermieden werden, klassische Ausbildungswege und staatliche Anerkennung würden zu sehr einschränen. Es gehe nicht nur um angeeignetes Wissen, sondern auch um spirituelle Begabung.

Bundesverband ­Reinkarnation
Vorsitzende: Karin Langer
Gründung: 2007
Mitglieder: 23
www.rivverband.de

„Alle Familien haben das Recht, zusammen zu sein“

Wenn die Männer auf See fahren, stehen die Frauen am Kai und blicken den Schiffen hinterher. Kein Klischee aus der Entdeckerzeit, sondern immer noch Realität. Der Verband der Seemannsfrauen kümmert sich um die Interessen der Seefahrerfamilien, vermittelt Hilfe etwa für Kinderbetreuung und Erziehungsfragen. Über Foren können sich betroffene Familien austauschen. Oft sind die Männer länger als acht Monate auf See. Der Verband dringt darauf, die Intervalle für Familienväter kürzer zu gestalten. In den Ferien sollen Kinder und Frauen auch an Bord dürfen, damit die Familie zusammen sein kann.

Verband der ­Seemannsfrauen
Vorsitzende: Gabriella Schoop
Gründung: 1987
Mitglieder: 100
www.seemannsfrauen.de

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Minilobbyisten – Kleinstverbände im Porträt. Das Heft können Sie hier bestellen.