Schleichendes Gift für die Demokratie

Desinformation

Einer der unappetitlichsten Lehrsätze der politischen Kommunikation stammt von Ex-Trump-Berater Steve Bannon: „Flood the zone with shit.“ Der ehemalige Breitbart-Chef sprach damit nichts Neues aus. Es geht darum, andere mit „alternativen Fakten“ – also denkbaren, aber unsinnigen – „Wahrheitsszenarien“ zu überfluten. Die bewusste Falschbehauptung ist schon lange im Portfolio von Populisten. Die digitalen Medien erhöhen aber Frequenz und Durchdringung dieser Technik um ein Vielfaches.

Vergangene Wahlen offenbarten die verheerenden Folgen von Desinformationskampagnen auf Wahlergebnisse. Anti-demokratische Kräfte missbrauchen sie. Trumps Wahl und das Brexit-Referendum sind die prominentesten Beispiele, aber nur die Spitze des Eisbergs.

Der Kapitolsturm in Washington im Januar 2021, der Reichstagssturm in Berlin im August 2020, die Unruhen nach der Brasilien-Wahl und die Verschwörergruppe aus dem Reichsbürgermilieu von 2022 sind weitere Belege. Sie zeigen die konkreten, demokratiegefährdenden Auswirkungen von konzertierter Desinformation und Radikalisierung. Die Auswirkungen reichen weit über den digitalen Raum.

Bei verhärteten diskursiven Fronten greift man tendenziell öfter auf Desinformation zurück, ob gezielt oder unbeabsichtigt. Gesellschaftliche Reizthemen wie Klimakrise, Corona-Pandemie, Migration oder Ukraine-Krieg sind dafür ein Nährboden.

Im Inland greift vor allem die AfD auf Desinformation zurück. Das bildet oft einen Teufelskreis mit populistischem Boulevardjournalismus. International spielt Russland die Hauptrolle als Desinformationsquelle und Verstärker.

 

Doch was ist Desinformation? Aus guten Gründen hat der Begriff im politischen Fachdiskurs den verbrannten Terminus der „Fake News“ verdrängt. Um das Phänomen besser zu greifen, sollte zwischen den folgenden Ausprägungen unterschieden werden:

  • Desinformation bezeichnet falsche Informationen, die mit der Absicht verbreitet werden, zu täuschen und zu schaden.
  • Misinformation hingegen sind falsche Informationen, die ohne schädliche Absicht verbreitet werden.
  • Malinformation sind wiederum zutreffende Informationen, die aber mit manipulativer Absicht verbreitet werden. (Siehe Abb.)

Politische Desinformation wird vor allem digital verbreitet: über Social Media Plattformen von eher kleinen Imageboards bis hin zu gigantischen Netzwerken wie Youtube und Tiktok, aber auch über Messenger, E-Mails und einschlägige „News“-Outlets. Vor diesem Hintergrund sind zwei technologisch-regulatorische Entwicklungen ­bedeutsam:

  • Der Digital Services Act (DSA) der EU ist wie ein „Grundgesetz für das digitale Zeitalter“. Er könnte die Desinformationsbekämpfung nachhaltig vereinfachen. Die neuen Regeln betreffen auch das in der politischen Kommunikation besonders relevante X (ehemals Twitter). Seit der Übernahme durch Elon Musk ist die Plattform zum Hort von Hassrede und Falsch­informationen geworden. Aus dem freiwilligen EU Code of Practice against Disinformation hat sie sich bereits ­verabschiedet.
  • Die rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) verändern die Desinformationsverbreitung. Generative KI-Tools werden massenhaft zugänglich. Das erlaubt es, Desinformation im industriellen Maßstab zu produzieren. Neben Sprachmodellen wie ChatGPT spielen für die Erstellung und Verbreitung von schädlichen Inhalten vor allem Bild- und Videogeneratoren eine zentrale Rolle. Deepfakes werden kinderleicht möglich.

Schauen wir auf den politischen Kalender, sind drei anstehende Wahltermine in Bezug auf Desinformation im Fokus:

  • Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober betreffen fast ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung – und Schauplatz von Desinformation. Die Causa Aiwanger hat einige idealtypische Beispiele dafür geliefert. Es gibt das Leitmotiv der „Linken Kampagne“. Hier wird Aiwanger als Widerstandskämpfer gegen den „rot-grünen Gesinnungsterror“ gezeichnet. Dass Journalisten zum menschenfeindlichen Inhalt des Flugblatts Antworten von Aiwanger erwarteten, wurde als Medienkampagne diffamiert. Entscheidend ist, dass die Akteure auch andere zentrale Desinformationsnarrative verbreiten. Sie kuratieren systematisch eine Scheinrealität, die sich im Social-­Media-Newsfeed abbildet. Der Tenor: Regierungskritik, Elitenfeindlichkeit und Verschwörungs­erzählungen.
  • Den nächsten Meilenstein bilden die Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni 2024. Auf der lokalen Ebene wird die AfD gerade in Ostdeutschland versuchen, ihre Machtbasis auszubauen. Gerade die Europawahl ist für ausländische Kräfte ein lukratives Ziel. Nationalistische und/oder pro-russische Kräfte rechnen mit einem Machtzuwachs im Europäischen Parlament.
  • Für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September 2024 gilt eine ähnliche Ausgangslage. Der Einfluss auf die Bundespolitik ist aber direkter. Die AfD stellt gerade in Sachsen und Thüringen Machtansprüche. In Umfragen liegt sie jenseits der 30 Prozent.

Eine Phalanx zivilgesellschaftlicher, wissenschaftlicher und staatlicher Akteure stellt sich gegen diese Entwicklung. Sie trackt und analysiert Desinformation und beschäftigt sich mit wirksamen Gegen- und Präventionsmaßnahmen. Besonders aktive Häuser sind das Bundesinnenministerium, das Bundespresseamt und das Auswärtige Amt. Daneben gibt es Thinktanks und journalistische Kollektive.
Solange es (digitale) Demokratien gibt, wird es Desinformation und das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Regulierung geben. Welche Ansätze gibt es, das Phänomen einzudämmen?

Desinformation entsteht global und schnell. Um sie wirksam zu bekämpfen, müssen Regierungen und Desinformationsjäger sich austauschen. Die East StratCom Task Force der EU, EUvsDisinfo und das European Digital Media Observatory (EDMO) sind dafür gute, aber ausbaufähige Beispiele. Eine Art Desinfo-EUROPOL könnte die verschiedenen Glutherde der Desinformation effektiver eindämmen.

Außerdem müssen große Social-Media-Dienste in die Pflicht genommen werden. Sie haben eine enorme Macht über den digitalen Diskurs. Gleichzeitig unternehmen sie nicht genug gegen die Verbreitung von Desinformation und Hate Speech auf ihren Plattformen. Politische Instrumente wie der DSA könnten hier ansetzen. Sie erlauben ein konsequenteres Vorgehen.

Im besten Fall erreicht der DSA einen ähnlichen Ruf in der Fachcommunity wie die DSGVO: Eine Meilensteingesetzgebung made in Europe, die den Mitgliedstaaten mehr Handhabe einräumt gegenüber großen Online-Plattformen. Analysten hoffen, über das Gesetz Zugang zu wichtigen Daten für Forschung und Monitoring zu erhalten. Im schlechtesten Fall bleibt der DSA zu unspezifisch und verhindert eine konsequente Desinformationsbekämpfung. So konzentriert sich das Gesetz auf die Verbreitung illegaler Inhalte. Desinformation schließt das nicht zwingend ein. Hier ist es an den Mitgliedstaaten, Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Relation von Desinformation und illegalen Inhalten innerhalb rechtsstaatlicher Rahmen definieren. Zusätzlich müssen sie Sanktionen gegen Plattformen bei Verstößen durchsetzen und potenzielle Loopholes für Desinformationsverbreitung schließen.

Mit Blick auf die Nutzung von Künstlicher Intelligenz sind Wasserzeichen für KI-generierten Content ein richtiger erster Schritt. Auch Selbstverpflichtungen und eine transparente Nutzung helfen. So können Potenziale von KI genutzt werden, ohne dass sich die mediale Vertrauenskrise weiter verschärft. Plattformen haben erste Ansätze in den Moderationsrichtlinien, die jedoch Konfliktpotenzial bergen: So sind irreführende Inhalte verboten, Satire beispielsweise aber erlaubt. Der angekündigte EU AI Act kann ein wichtiges übergreifendes Regulierungsinstrument werden.

Aufklärung und Medienkompetenz sind ein alter Hut der (politischen) Bildung, aber noch immer aktuell. Nicht nur Schulen haben enormen Bedarf. Auch ältere Generationen sind eine wichtige Zielgruppe, gerade mit Hinblick auf die Verbreitung von Desinformation in Messenger-Systemen. Hier ist die Förderung und Finanzierung von Projekten zu Demokratieförderung, Extremismusprävention und politischer Bildung zentral. Dass die Fördervolumen von Staat und Stiftungen für zivilgesellschaftliche Organisationen sinken, kommt also zur Unzeit.

Das gilt auch für fachliches Hintergrundwissen. Woher kam die Vertrauenskrise in die Wahlintegrität bei den letzten US-Wahlen? Welche Fakten gibt es bei Klima, Gesundheit oder Migration? Genaueres Wissen hierüber ermöglicht bessere Einordnungen.

Auch politische Entscheidungsträger und Kommunikatorinnen müssen Politik besser erklären. In der Prozessdimension, aber vor allem in den Abwägungen und Motiven, die zu gewissen kontroversen Entscheidungen führen.


Desinformationsjäger

Eine Auswahl an Organisa­tionen, die sich gegen ­Desinformation engagieren

CEMAS.io: Das von der Alfred Landecker Foundation geförderte Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) beobachtet digitale Plattformen, um Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus frühzeitig zu erkennen und entgegenzutreten.

modus | zad: Das Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung (modus | zad) bekämpft das Erstarken extremistischer Strömungen durch Forschung und Monitoring sowie Vernetzung gesellschaftlicher Akteure.

CORRECTIV betreibt als Non-Profit unabhängigen investigativen Journalismus und Fact­checking mit dem Ziel, Missstände aufzudecken und die Zivilgesellschaft zu stärken.

Institute for Strategic Dialogue: Das ISD analysiert extremistische Strömungen mit besonderem Fokus auf Online-Manipulation und Desinformation und entwickelt Empfehlungen für Gegenmaßnahmen.

Der Business Council for Democracy (BC4D) der Gemeinnützigen Hertie Stiftung bindet Unternehmen ein, um ihren Mitarbeitern kostenlos Trainings und Seminare für demokratierelevante Fragestellung anzubieten, darunter auch Resilienz gegen Desinformation und Verschwörungserzählungen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 144 – Thema: Interview mit Can Dündar. Das Heft können Sie hier bestellen.