Zeit für ein Zukunftsministerium

Politik

Dass sich im Bundeskabinett bis heute kein ordentlicher Minister für Digitales findet, ist ein Symptom ausgeprägter Zukunftsblindheit. Dabei wäre es längst Zeit für eine politische Fortschrittsinstitution, deren Kompetenzbereich deutlich weiter gefasst ist als der eines Digitalministeriums.

Schon bei der Semantik beginnen die Probleme. Das Schlagwort “Digitalisierung” greift zu kurz. Wir erleben nicht eine, sondern gleich mehrere Revolutionen und sind so Zeugen einer echten technologisch-wissenschaftlichen Zeitenwende. Künstliche Intelligenz, Robotik, Blockchain und Biotechnologie werden die Gesellschaft auf den Kopf stellen. Internet und Smartphone waren nur der Anfang.

Wir brauchen ein Narrativ

Gleichzeitig geht die politische Debatte kaum über den Ausbau des schnellen Internets hinaus. Die Wahrheit lautet: Wir steuern ohne Plan und Vision in ein fundamental anderes Zeitalter. Nicht Migration oder Diesel-Fahrverbote sind das größte Problem der Republik, sondern ihr fehlendes Bewusstsein für die Radikalität und Geschwindigkeit der anstehenden Umbrüche.

Gefragt wäre ein kraftvolles Zukunftsnarrativ. So wie die Soziale Marktwirtschaft einst die bundesrepublikanische Antwort auf den industriellen Kapitalismus war, so wäre heute ein politisches Äquivalent als Reaktion auf eine digitale und postindus­trielle Ökonomie vonnöten. Unser bisheriges Modell wird keine weiteren 100 Jahre überdauern. Doch das traut sich kein Politiker zu sagen. Der wichtigste demokratische Diskurs unserer Zeit bleibt aus – die Debatte darüber, wohin die Reise eigentlich gehen soll.

In dieser Atmosphäre der allgemeinen Narrativlosigkeit wären Symbole des Aufbruchs entscheidend. Das Land bräuchte einen Leuchtturm des Wandels: ein ausgewachsenes Zukunftsministerium.

Ein Thinktank mit Strahlkraft

Mit seiner Strahlkraft sollte es politischer Thinktank und Koordinator zugleich sein. Das Zukunftsministerium sollte sich an die Entwicklung einer ganzheitlichen Vision für die Gesellschaft von morgen machen. Sein Aufgabenspektrum wäre ressortübergreifend breit. Es müsste inhaltliche Schnittstelle von Wirtschafts-, Bildungs-, Arbeits-, Finanz-, Verkehrs- und Justizministerium sein und dabei mehr als nur ein “Amt für Technikfolgenabschätzung”. Die Fortschrittsin­stitution sollte für klare Fahrpläne der staatlichen Auseinandersetzung mit aufkommenden Schlüsseltechnologien sorgen. Ihr Chef, der Zukunftsminister, hätte so die Chance zum politischen Kopf der Erneuerung zu werden. Im ersten Kabinett der Post-Merkel-Ära sollte er auf keinen Fall fehlen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 125 – Thema: Gesichter der Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.