„Wie wollen Sie Merkel von sich überzeugen, Herr Schulz?“

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p&k: Herr Schulz, Sie sind seit knapp zwei Jahren Präsident des Europaparlaments (EP) und wollen 2014 Präsident der EU-Kommission werden. Haben Sie den Anspruch aufgegeben, dass dem EP und seinem Präsidenten mehr Macht verliehen wird, und möchten endlich selbst wichtig werden?

Martin Schulz: Das Europaparlament ist eine faszinierende Institution. Dort sitzen Parlamentarier aus 28 Ländern, die eine Gesetzgebung für 500 Millionen Europäer verantworten und die in ihren Wahlkreisen dann den Bürgern Rede und Antwort stehen. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die wichtiger nicht sein könnte. Deshalb empfehle ich Ihnen, nochmals über die Rolle und Funktion von Parlamenten nachzudenken, ehe Sie vorschnell über ihre vermeintlich mangelnde Wichtigkeit sprechen.

Wie dem auch sei: Ein einfacher Job liegt in den kommenden Monaten nicht vor Ihnen. Die EU ist tief gespalten, rechtspopulistische Anti-Europa-Parteien sind auf dem Vormarsch. Wie wollen Sie als designierter Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten die Menschen für sich und Europa gewinnen?

Wenn ich am 1. März zum Spitzenkandidat gewählt werden sollte, will ich für die Erneuerung der EU werben. Ich will weniger Bürokratie und mehr Konzentration auf das Wesentliche und ich will die notwendige Reform- und Sparpolitik durch eine kluge Investitions- und Wachstumspolitik ergänzen, damit wir vor allem die drängende Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen können.

Sie haben Europa einmal einen „Scheinriesen“ genannt, der aus der Ferne mächtig wirkt, aber aus der Nähe kleinlaut und schlapp. Was treibt Sie an, sich für diesen Scheinriesen so unermüdlich einzusetzen?

Für mich ist die europäische Einigung das größte zivilisatorische Projekt auf unserem Kontinent seit der Aufklärung. Wir haben aus den Fehlern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelernt und nach Weltkriegen, Völkermord und totalitären Ideologien die Idee der völker- und staatenübergreifenden Kooperation entwickelt. Durch diese Idee ist Europa zur friedlichsten und wohlhabendsten Region weltweit geworden. An diesem Projekt mitzuarbeiten, es demokratischer zu machen, ist für mich die Verwirklichung eines Lebenstraums.

Ein Traum, den zurzeit viele der einst so von Europa überzeugten Deutschen nicht teilen.

Ich bin überzeugt davon, dass die Europabegeisterung dann zurückkehrt, wenn die Leute bei einer demokratischen Wahl zwischen unterschiedlichen Personen und Programmen wählen und dadurch ihren Einfluss auf die EU geltend machen können. Das ist in der Vergangenheit zu kurz gekommen und dadurch wird die EU als eine anonyme Macht wahrgenommen, die sich überall einmischt, ohne dass es jemanden gibt, der die Verantwortung für Entscheidungen übernimmt. Die Europawahl im kommenden Jahr bietet die Chance, das zu ändern.

Haben Sie denn schon einen Wahl-Slogan im Kopf?

Die Wahl der Spitzenkandidaten wird ja erst im März stattfinden, so dass ich einen kurzen und knackigen Wahlkampf erwarte. Deshalb habe ich mir über einen Slogan noch keine Gedanken gemacht.

Die Grünen lassen ihre Spitzenkandidaten in einer Urwahl bestimmen, Sie selbst wurden vom Präsidium der europäischen Sozialdemokraten als Spitzenkandidat nominiert. Wäre es nicht ein Zeichen der von Ihnen oft eingeforderten Bürgernähe gewesen, sich einer offenen Vorwahl durch die Basis zu stellen?

Die Nominierung war ein offenes Verfahren. Ich bin von 22 Parteien aus ganz Europa als Spitzenkandidat nominiert worden, die ihre Beschlüsse jeweils gemäß ihren nationalen Regularien gefasst haben. Im Mai 2014 haben dann 390 Millionen Wählerinnen und Wähler das Wort. Das halte ich für sehr bürgernah.

Wie wollen Sie eigentlich das Kunststück vollbringen, vorher gegen die Konservativen Wahlkampf zu führen, um bei einem Wahlsieg der Sozialdemokraten hinterher Angela Merkel zu überzeugen, dass Sie der richtige Kommissionspräsident sind?

Ich möchte die mehr als 500 Millionen Europäer überzeugen. Mit guten Argumenten und mit einer klaren und verständlichen Positionierung. Darauf vertraue ich.

Jedenfalls hat die Bundeskanzlerin bereits deutlich gemacht, dass sie in der Aufstellung von europaweiten Spitzenkandidaten für die Europawahl „keinen Automatismus“ für das Amt des Kommissionspräsidenten sieht. Werden Sie es im Falle eines Wahlsiegs auf einen Machtkampf zwischen Europäischem Rat und EP ankommen lassen?

Ich halte mich schlicht an die Rechtslage: Nach der Europawahl wird sich das neue Europaparlament eine Meinung bilden, wer eine Mehrheit im Parlament auf sich vereinigen kann und deshalb Kommissionspräsident werden soll, und es wird dies den Staats- und Regierungschefs mitteilen. Danach machen die Regierungschefs dem Parlament einen Vorschlag. Letztlich entscheidet das Parlament. Sollte ein Kandidat bei der Wahl des Parlaments durchfallen, müssen die Regierungschefs einen neuen Vorschlag machen. Das wissen alle Beteiligten. Deshalb kann ich keinen Machtkampf erkennen, sondern einen ganz normalen Prozess nach einer Wahl.

Berlin wird ja gern als „zweite Hauptstadt der EU“ bezeichnet. Sollten Sie EU-Kommissionspräsident werden, würde die deutsche Macht in Brüssel noch augenfälliger. Haben Sie nicht Befürchtungen, dass das auf enorme Vorbehalte bei den anderen Mitgliedstaaten stößt?

Ich kann mich nur wiederholen: Von den Parteien, die mich als Spitzenkandidat nominiert haben, war nur eine Partei eine deutsche, nämlich die SPD. Zudem: Ich komme viel in Europa rum und konnte bislang nicht feststellen, dass es Vorbehalte gegen mich wegen meiner Herkunft gegeben hätte. Das wäre auch schlimm.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bleibt alles anders? – Die Kampagnentrends 2014. Das Heft können Sie hier bestellen.