Unsere Politiker verschlafen LinkedIn

Social Media

Schweren Herzens muss ich diesen Text mit einem Nachruf beginnen: „Mit großer Trauer erfüllt uns die Nachricht, dass das deutsche Karrierenetzwerk Xing (2003 bis 2022) wegen digitaler Altersschwäche für immer von uns gegangen ist. Xing hat Millionen Deutsche miteinander verbunden, war aber zuletzt ähnlich relevant wie ein Nostalgie-Treffen von Schreibmaschinenfreunden. Wir werden Xing ein ehrendes Gedenken bewahren.“

Während die Social-Media-Schreibmaschine Xing wegen zu vieler verstaubter Tasten den Geist aufgegeben hat (offiziell existiert das Hamburger Unternehmen noch), ist der US-Riese LinkedIn auch hierzulande längst zur wichtigsten beruflichen Bühne geworden: Von den 750 Millionen Mitgliedern weltweit kommen 16 Millionen aus Deutschland. LinkedIn steht nicht nur für Recruiting, sondern ist eine Austausch-Plattform für Job-Themen, ein Forum zum Netzwerken und ein Ort für Personal Branding. Auf keinem anderen sozialen Medium sind Führungskräfte so stark vertreten. In Deutschland haben CEOs wie VW-Boss Herbert Diess (259.000 Follower), Douglas-Chefin Tina Müller (137.000 Follower) oder Telekom-Vorstandsvorsitzender Tim Höttges (115.000 Follower) als Erste die globale Bedeutung von LinkedIn erkannt und veröffentlichen exklusiven Content.

Auf allen Kontinenten sind Politiker LinkedIn-Fans: Kanadas Regierungschef Justin Trudeau (5,3 Millionen Follower), Indiens Premierminister Narendra Modi (3,7 Millionen Follower) oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (2,7 Millionen Follower) wissen zu schätzen, dass es auf diesem Kanal weniger Hatespeech und Fake-Accounts als etwa auf Twitter gibt.

Nur in der deutschen Politik hat LinkedIn etwa so viel Bedeutung wie die Ortschaft Pups im Landkreis Rosenheim. Von den 16 Bundesministern haben zwar sieben einen LinkedIn-Account (Spitzenreiter ist Finanzminister Christian Lindner mit 103.000 Followern), bei den meisten wirken die Präsenzen aber wie Lost Places.

  • Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD, 57 Follower) ist laut ihrem Profil noch immer „Abgeordnete bei Landtag des Landes Brandenburg“. Veröffentlichte Beiträge: null!
  • Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (1.602 Follower) hat ihre alte Position – „Vorsitzende bei FDP Landesverband Hessen“ – noch immer nicht aktualisiert.
  • Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) antwortet auf die Kommentare ihrer 2.470 Follower so gut wie nie.
  • Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD, 3.990 Follower) meldet sich höchstens alle sechs Monate einmal zu Wort.
  • Die letzte LinkedIn-Aktivität unseres Digitalministers war vor sieben Jahren! 2015 hat Volker Wissing (3.452 Follower) zwei Beiträge geliket, darunter „Schönes Wochenende“ von Thomas Kemmerich. Danach kam nix mehr.
  • Und Kanzler Olaf Scholz ist auf LinkedIn profillos.

Von den 16 Ministerpräsidenten sind nur zwei auf LinkedIn vertreten, auch Bundespräsident und Bundestagspräsidentin glänzen durch Abwesenheit. Die einzige deutsche Politikerin, die sich den Titel „LinkedIn-Star“ verdient, ist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit knapp einer Million Follower.

Bei deutschen Politikern hat das Faxgerät mehr Relevanz als LinkedIn. Sie vergeben damit eine große kommunikative Chance.