Und die Ampel steht auf …

Koalitionsvertrag

Die Ampel steht! Mit dieser Botschaft hat Olaf Scholz die Präsentation des Koalitionsvertrages eingeleitet. Vorausgegangen waren relativ kurze, offenbar gut strukturierte und nach außen weithin abgeschirmte Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP in 22 Arbeitsgruppen und einer Hauptverhandlungsrunde. Versammelt haben sich die drei Parteien unter dem Leitmotiv “Mehr Fortschritt wagen”. Allerdings fiel auf, dass die FDP beim Thema Wandel zuvor manchmal auf die Bremse trat, während ihre zukünftigen Koalitionspartner über Änderungen des Status quo diskutierten.

Der Koalitionsvertrag ist die Ampel-Arbeitsvorlage für die kommende Legislaturperiode, die regulär 2025 enden wird. Seine konkrete gesetzgeberische Ausgestaltung wird von inner- und zwischenparteilichen Aushandlungsprozessen begleitet sein. Dabei wird sich zeigen, ob der Spirit des gemeinsamen Aufbruchs nach 16 Jahren CDU-geführten Bundesregierungen die Ampelkoalition eine volle Wahlperiode trägt. Konflikte sind angesichts gegensätzlicher Positionen vor allem zwischen den Grünen und Liberalen vorprogrammiert. Scholz wird die Moderationsrolle zwischen den beiden Antreibern beibehalten, etwa dann, wenn die Grünen mehr auf Regulation setzen wollen, weil sich Innovationskräfte des Marktes womöglich nicht so im Sinne des Klimaschutzes entfaltet haben wie von den Freidemokraten erhofft.

Altersvorsorge

Olaf Scholz und die SPD haben im Wahlkampf ein stabiles Rentenniveau und Eintrittsalter in den Vordergrund gestellt. Beide Forderungen haben Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Grüne und vor allem die FDP konnten die kapitalgedeckte Ergänzung (Aktienrente) durchsetzen. Die Einbindung aller Berufsgruppen in die gesetzliche Rente, eine Forderung von SPD und Grünen, ist hingegen nicht Gegenstand des Vertrags.

Bürgergeld

Ein Bürgergeld soll Hartz IV ersetzen, so war es der Wille aller potenziellen Koalitionsparteien, und mit den Formulierungen im Koalitionsvertrag werden alle Beteiligten gut leben können.

Die von den Grünen gewünschte Erhöhung des Regelsatzes wird es nicht geben, dafür ein einjähriges Sanktionsmoratorium. Die verbesserten Zuverdienstmöglichkeiten waren eine zentrale Forderung der Liberalen. Für die SPD dürfte zudem die Umbenennung eine wichtige Rolle für die eigene Vergangenheitsbewältigung spielen.

Bürgerversicherung

Die von SPD und Grünen geforderte einkommensunabhängige Krankenversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Dies kann als Erfolg für die FDP gewertet werden, die sich in ihrem Wahlprogramm für das bisherige duale Gesundheitssystem ausgesprochen hat.

Legalisierung von Hanf

Die Legalisierung von Cannabis beziehungsweise die “kontrollierte Abgabe zu Genusszwecken” war zwischen den drei Parteien unstrittig. Alle haben sich in ihrem Wahlprogramm dafür ausgesprochen.

Knapp 20 Jahre nach dem bekannten Ausspruch des Ur-Grünen Hans-Christian Ströbele: „Gebt das Hanf frei“ soll es nun also bald in lizenzierten Geschäften freigegeben werden.

Digitale Infrastruktur

Bei der Digitalisierung gab es keine wirklichen Streitpunkte zwischen den Parteien, auch wenn sie für die FDP programmatisch besonders wichtig ist. Wie schon bei den letzten Koalitionsverhandlungen der GroKo wollen alle Parteien “mehr Digitalisierung”. Offen bleibt, wie (de-)zentral die Umsetzung erfolgt und welche Priorität dem Thema tatsächlich beigemessen wird.

Klimaschutz

Vor den Gesprächen galt der Klimaschutz als großer Knackpunkt der Ampelkoalition, vor allem zwischen Grünen und FDP. Der Blick in den Vertrag zeigt, dass es den beiden Parteien gelungen ist, ihren ökologischen und ökonomischen Markenkern zusammenzubringen. Die Grünen haben mit dem anvisierten Kohleausstieg 2030 gewiss den größten Erfolg erreicht. Die Umgestaltung der EEG-Umlage war ein Kernanliegen der FDP. Die SPD wird mit den Kompromissen gut leben können und auch fortan versuchen, den Ausgleich zwischen der liberalen und der libertär-progressiven Partei zu finden.

Mindestlohn

Das zentrale Wahlversprechen der SPD war ein Mindestlohn von 12 Euro. Dieses Versprechen wird nun mit einer einmaligen Erhöhung eingehalten. Auch die ­Grünen haben sich im Wahlkampf dafür ausgesprochen. Die Freien Demokraten hätten darauf gut verzichten können.

Schutz der Mieter

Die Mietpreisbremse bleibt bis 2029 und die Kappungsgrenze für bestehende Wohnverhältnisse wird abgesenkt. Zudem sollen die Mittel für den sozialen Wohnungsbau erhöht werden. Ein Erfolg für SPD und Grüne, den die FDP als entscheidender Gegner der Mietpreisbremse ihnen zugestanden hat.

Schuldenbremse

Die Schuldenbremse, aktuell aufgrund der Pandemie ausgesetzt, soll 2023 wieder in Kraft treten. Die von den Grünen angestrebte Reform bleibt damit zwar erst mal aus, dennoch hat sich die Koalition Schlupflöcher geschaffen. Dazu zählen etwa Kreditermächtigungen für bestehende staatliche Gesellschaften, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn. Zudem kann ein möglicher Klimaschutzfonds bis 2023 mit reichlich Geld befüllt werden, um daraus bis zum Ende der Wahlperiode Investitionen zu finanzieren.

Tempolimit

SPD und vor allem die Grünen hatten im Wahlkampf aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes sowie der Verkehrssicherheit ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen gefordert. Dies wird es nicht geben. Ein Sieg für die Freien Demokraten, die sich im Wahlkampf gegen “unverhältnismäßige Verbote in der Mobilität” positioniert haben.

Steuererhöhung

Obwohl SPD und Grüne gleichermaßen einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Vermögensteuer in ihrem Wahlprogramm verankert haben, konnte sich am Ende die FDP durchsetzen. Selbst die zwischendrin als beinahe sicher geltende Einführung einer Zuckersteuer findet sich nicht im Vertrag. Die FDP hat ihr Versprechen („Mit uns wird es keine Steuererhöhung geben“) eingehalten und wird obendrein noch das Finanzministerium besetzen können.

Wahlalter

Alle drei Parteien wollen das Wahlalter für Europa- und Bundestagswahlen auf 16 Jahre absenken. Während FDP und Grüne in dieser Altersgruppe höheren Zuspruch erhalten, wird sich die SPD um die Gunst der jungen Neuwähler bemühen müssen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 137 – Thema: Die neue Mitte?. Das Heft können Sie hier bestellen.