Auf den ersten Blick scheint es, dass niemand so rechte Freude daran haben könnte, jemandem zuzuarbeiten, der sodann mit den Leistungen seiner Mitarbeiter glänzt und sich im Blitzlichtgewitter sonnt. Denn während sich diese in öffentlicher Aufmerksamkeit baden, arbeiten sich jene bereits fleißig an den nächsten Projekten, Auftritten und Vorlagen ab. Wer macht so etwas, wenn ihm oder (besonders!) ihr keine glänzende Karriere in der ersten Reihe in Aussicht steht, keine öffentliche Anerkennung und keine lukrativen Pöstchen in diversen Aufsichtsräten?
Natürlich wäre es abwegig, sich so etwas wie eine Zuarbeiter-Persönlichkeit vorzustellen, jenseits aller persönlichen Motive oder zugrunde liegenden unterschiedlichsten Persönlichkeitszüge. Welche Motive mögen also den Durchmarsch in die erste Reihe verhindern oder dazu führen, dass gar das Leben im Schatten vorgezogen wird?
Entgegen aller hehren Beteuerungen: Mitarbeiter wie Chefs im politischen Betrieb bedienen erst in zweiter Linie öffentliche Bedürfnisse. Wie bei allen anderen menschlichen Tätigkeiten – ob im Job oder privat – sind eine Mischung aus Sicherheitsbedürfnis und Neugier, Regulation des Selbstwerts durch innere wie äußere Anerkennung, soziale Eingebundenheit und das Gefühl von Stimmigkeit mit sich selbst entscheidend.
Versuchen wir also, uns eine Reihe von – zugegeben stereotypen – Akteuren der zweiten Reihe vorzustellen. Die nachfolgende Typologie ist eine grobe Vereinfachung, die man braucht, um sich zu orientieren und sie im nächsten Moment durch dimensionale Aspekte zu ersetzen. Eine Typologie ist eher eine Karikatur, und so ist auch diese zu verstehen. Der Mensch dahinter ist immer viel mehr und niemals nur dieser eine Persönlichkeitstyp. In der Psychiatrie spricht man von kombinierten Persönlichkeiten. Entscheidend sind die Mischung und das Ausmaß, mit dem wir Züge der einen oder anderen Persönlichkeit aufweisen.
Persönlichkeitstypologien haben noch einen entscheidenden Nachteil: Sie arrettieren. Menschliche Entwicklung und Veränderung finden keine Berücksichtigung. Denn tatsächlich kann ein Held aus der zweiten Reihe allmählich doch Geschmack an der Frontposition bekommen, seine Chefs als Modelle begreifen, von ihnen lernen und sich nach und nach in führende Positionen hineindenken. Der ewige Zweite ist ein Klischee, das dazu verleiten mag, wachsende Ambitionen zu übersehen. Umgekehrt fürchten viele Führungspersönlichkeiten die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter, auf die sie zugleich doch auch angewiesen sind.
Eine regelmäßige Abmeierung durch den Chef, Kritik – schlimmstenfalls vor Dritten –, Depotenzierungen und Behinderungen wachsender Eigenständigkeit von Mitarbeitern dienen der Angstbewältigung der Könige, die ihren Mord fürchten. Die Zweiten mögen dies demütig hinnehmen, die Faust in der Tasche ballen oder im Laufe der Jahre den Umsturz und die eigene Karriere planen. In der Politik ist das rechtzeitige Abtreten der Spitzenleute nicht die Regel, die Förderung des Nachwuchses oftmals der Vernichtung potenzieller Kandidaten geopfert. Der Mangel an respektvollem Generationenwechsel allerdings befördert Charaktere, die sich dann in jene Klischees zu verwandeln drohen, die hier beschrieben wurden. Die Messer sieht man dann – wie in der Moritat von Mackie Messer – der Dunkelheit wegen nicht.
Der Loyale
Erlebt sich als treuer Zuarbeiter, der seinen Selbstwert aus seiner Loyalität und pflichtbewussten Arbeit schöpft. Genießt die Anerkennung seiner Chefs und handelt wertorientiert. Beziehungen, Partei und Grundwerte sind ihm wichtig, die Übereinstimmung mit ihnen durch seine Arbeit befriedigt ihn. Wägt gegebenenfalls zwischen der Verbundenheit mit Parteifreunden und den eigenen Wertvorstellungen ab. Zieht daraus bei zu starker innerer Konflikthaftigkeit Konsequenzen bis hin zum Rückzug oder Rücktritt. Wichtiger als die Rolle als Rampensau ist ihm wertebezogene inhaltliche Arbeit.
Der Narzisst
Eigentlich hängt der ganze Laden nur von ihm ab. Ohne ihn, ganz klar, würde mal wieder nichts laufen. Um ihn herum sind – das teilt er eher im Freundeskreis mit – nur Idioten oder unfähige Leute, die dank seiner Fähigkeiten in ihren Positionen sind. Oft verhindert er das Schlimmste in letzter Minute oder bügelt die Fehler und persönlichen Defizite seiner Chefs aus. Ihm haben sie zu verdanken, wer und wo sie sind und dass sie dort überhaupt noch sind. Fürchtet jedoch insgeheim, in Frontpositionen zu kommen. Sonnt sich lieber im Licht der Prominenten, die er zugleich heimlich entwertet.
Der Ängstliche
Ist mitunter sozialphobisch und fürchtet sich vor zu großer Öffentlichkeit. Schätzt eher kleine Kreise und hat Angst vor dem Urteil anderer. Projiziert eigene Selbstzweifel auf dritte, die ihn angeblich kritisch sehen. Fühlt sich in der zweiten Reihe entlastet und entwickelt hier seine Fähigkeiten, muss aber immer wieder bestätigt und ermutigt werden. Hat keinerlei Ambitionen in der ersten Reihe zu stehen.
Der Dependente
Unterwirft sich unter Preisgabe seiner Würde und fühlt sich unter der Dominanz seiner Chefs sicher. Klagt gleichzeitig über Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten, woran „man aber nichts machen kann“. Sichert sich so Struktur von außen, mit der er selbst ohne äußeren Druck Mühe hätte. Es überwiegt das Bedürfnis nach Führung und Sicherheit. Beides wird zugleich ambivalent erlebt.
Der Zwanghafte
Zusammenhänge müssen genau eruiert werden, Schüsse aus der Hüfte, spontane Reaktionen, Schlagfertigkeiten oder Verkürzungen von komplexen Problemen sind ihm unmöglich. Eine gewisse Umständlichkeit nervt seine Chefs, die umgekehrt aber seine Genauigkeit schätzen – um sich dann über sie hinwegzusetzen. Der Zwanghafte erträgts mit Gleichmut und Freudlosigkeit. Für öffentliche Auftritte ist er zu schwerfällig, knackige Statements sind von ihm nicht zu erwarten. Als Sympathie-Hamster ist der Zwanghafte ungeeignet. Doch drängt es ihn auch gar nicht in die erste Reihe, da er um seine Umständlichkeit weiß und es hasst, durch knappe Statements Differenzierungen zu unterlassen.
Der Schizoide
Legt wenig Wert auf tiefere menschliche Kontakte und kann andere schlecht einschätzen. Ihn interessieren Sachzusammenhänge, die er eher kühl und ohne Leidenschaft darbietet. Warme zwischenmenschliche Kontakte sind ihm ebenso fremd wie der Flirt mit der Öffentlichkeit. Es fehlt ihm an gewinnendem Charme. Wegen seiner Kühle und Unaufgeregtheit eignet er sich nicht für die erste Reihe, die ihn auch nicht wirklich interessiert.
Der Hysteriker
Möchte eigentlich seine Chefs beerben oder eventuell auch aus dem Weg räumen, fürchtet aber, in der ersten Reihe zu versagen. Rivalisiert heimlich oder gelegentlich auch offen mit den Politstars, schreckt aber vor dem Königsmord zurück. Er ist der ewige Rebell, der Angst davor hat, in vorderster Front Verantwortung zu übernehmen. Hegt Ressentiments, ist gelegentlich auch in der Öffentlichkeit kritisch und bleibt doch immer der Zweite.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 119 – Thema: Wichtige Macher im Umfeld der Mächtigen. Das Heft können Sie hier bestellen.