Lobby und Tadel

Public Affairs

Die Koalition trat an, mehr Transparenz in der pluralistischen Willensbildung zu schaffen. Damit wollte sie auch der Professionalisierung der Branche Rechnung tragen. Die geplante Verschärfung des Lobbyregisters könnte als Ausdruck dieser Zielsetzung gelten. Doch die gelebte Praxis spricht dagegen. Unter Verbänden und Interessensvertretern kursiert derzeit die These, dass vor allem Nichtregierungsorganisationen Einfluss auf die Ampel-Koalition haben. Pauschal stimmt das aber nicht. Vielmehr gehen die Ampel-Parteien sehr unterschiedlich mit Lobbyisten um.

Die Verbindung der SPD zur Wirtschaft ist traditionell gut. Das gilt auch in Ampel-Zeiten, besonders bei Arbeitnehmerbezug. Durch Yasmin Fahimis Aufstieg an die DGB-Spitze hat die enge Verbindung zwischen Gewerkschaften und SPD wohl noch zugenommen. Bei klassischen Interessen der Großindustrie, für die die Sozialdemokraten traditionell offen waren, zeigen sich die Genossen jedoch ungewohnt zurückhaltend. Das zeigt sich aktuell bei den Industriestrompreisen. Kanzler Scholz verweigert hartnäckig die Zustimmung, obwohl die SPD-Fraktion anders denkt und die energieintensive Großindustrie stark lobbyiert. Robert Habeck hat die Idee der Strom-Subventionierung eingebracht. Doch weder der Wirtschaftsminister noch sieben Bundesländer, von denen einige sozialdemokratisch regiert sind, können Kanzler Scholz erweichen.

Wie unterschiedlich die SPD die Interessenvertretung handhabt, zeigt ein Blick aufs Gesundheitsministerium. Einst selbst Teil der Gesundheitswirtschaft, nennt sich Minister Lauterbach kürzlich bei Lanz einen „Lobbyschreck“. Und das wohl zu Recht: Teilweise offen, teilweise unter vorgehaltener Hand berichten Spitzenvertreter des Gesundheitswesens, bei ihm gar nicht erst vorgelassen zu werden. Auch beim Hauptstadtkongress, dem politischen Flaggschiff-Event der Gesundheitswirtschaft, war Lauterbach nicht anzutreffen. Dabei ist es dort schon Tradition, dass die jeweiligen amtierenden Gesundheitsminister Key Notes halten.

Ambivalente Sozialdemokraten

Im Juni macht Lauterbach bei Markus Lanz im TV deutlich: Er wolle sich von der Industrie nicht mehr „zum Narren halten lassen“. Sein Ministerium sei „anders als früher sehr empfangsbereit gegenüber der Wissenschaft und sehr resilient gegenüber Lobbyinteressen“. Das klingt außerhalb der Politikblase erst mal gut. Im Sinne einer pluralistischen und unvoreingenommen Entscheidungsfindung ist es jedoch eine kontraproduktive Verengung der Per​spektive. Das gilt umso mehr, als die vermeintliche Ablehnung von Partikularinteressen im Alltag recht selektiv ausgelegt wird. Für gesetzliche Krankenversicherungen zeigt der Minister ein offenes Ohr. Hier hat der Einfluss auf das Bundesministerium seit Beginn der Ampel-Regierung zugenommen. Doch nicht nur die Kassen, auch pharmazeutische Unternehmen haben als wichtige Innovationstreiber des Gesundheitswesens berechtigte Interessen. Gehört werden sie kaum.

Das Verhältnis gegenüber Lobbyinteressen der Wirtschaft mag bei den Sozialdemokraten ambivalent sein – Einflugschneisen für Lobbyarbeit gibt es viele: seien es Sponsoringmöglichkeiten wie beim Vorwärts-Sommerfest oder der Spargelfahrt des Seeheimer Kreises bis hin zu Formaten wie dem SPD-Wirtschaftsforum.

Die Grünen haben traditionell ein eher schwieriges Verhältnis zu Wirtschaftslobbyisten – eine Ausnahme bilden „grüne“ Unternehmen und Sektoren. Hier führte eine große, teilweise familiäre Nähe zwischen grünen Spitzenpolitikern und Personen aus deren persönlichen Umfeld immer wieder zu Nachfragen und Berichterstattung. Das ist beispielsweise bei Ex-Staatssekretär Patrick Graichen der Fall. Auch BMWK-Staatssekretär Udo Philipp steht für seine Start-up-Beteiligungen in der Kritik.

Handwerkliche Fehler

Vielfach wird Habeck nachgesagt, zu einseitig auf NGO-Seite zu hören. Dabei kommt die Kritik nicht nur aus der Wirtschaft. Auch der Ökonom Reint Gropp, Leiter des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, fühlt sich ausgeschlossen. Er vermisse die offene Diskussionskultur, die er früher bei den Grünen geschätzt habe, erklärt er in ZDF frontal. „Das Wirtschaftsministerium greift sehr stark auf wenige Forschungsinstitute zurück, die durchaus ausgewiesen sind in ökologischen Fragen“, sagt Gropp. Doch es gebe auch viele andere Institute mit ausgereiften Plänen für die Gestaltung der Energiewende. Es ist wohl fair zu sagen, dass hier viel Expertise liegen bleibt, die gerade die Grünen für ihre Transformationsvorhaben anzapfen könnten. Im Ergebnis landen handwerkliche Fehler in Gesetzesentwürfen wie der Gasumlage oder dem Heizungsgesetz.

Die Grünen müssten künftig darauf achten, den ökologischen Umbau mit wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen. An der Umsetzung dieser Aufgabe arbeitet die Parteispitze zumindest symbolisch. Rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl soll die Wirtschaftsvereinigung der Grünen das strapazierte Verhältnis zu den Unternehmen und ihren Verbänden aufpolieren. Das Credo lautet: Ohne die Wirtschaft ist die Transformation zur Klimaneutralität nicht möglich. Es brauche „gut geölte Scharniere“ zwischen Politik und Wirtschaft, sagte Ko-Parteichef Nouripour. Das Kalkül: Patzer in Gesetzesentwürfen können so schneller und leiser korrigiert werden. Die grüne Parteispitze erlaubte der neuen Wirtschaftsvereinigung per Vorstandsbeschluss, den Grünen-Namen zu tragen. Das unterstreicht, wie wichtig das Anliegen ist. Ein Novum ist die Tatsache, dass die grüne Parteispitze den Beirat leiten sollte. Diese offene Verflechtung löste heftige Kritik aus. Aktuell liegt das Projekt Beirat auf Eis.

Während sich die grüne Parteispitze langsam auch den Vertretern von Wirtschaftsinteressen öffnet, halten viele (gerade auch junge) Abgeordneten ihre Türen weiterhin verschlossen. Viele Entscheidungsträger unterteilen immer noch in „gute“ und „böse“ Lobbys. Kann die Parteiführung das aufbrechen und so mehr Perspektiven in die Parteiprogrammatik einbringen?

Die Liberalen haben traditionell ein offenes Ohr für die Wirtschaft – auch in der neuen Legislatur. Das ist ein Markenzeichen der Partei und grenzt sie klar ab zu Rot-Grün. Manchen Beobachtern ist das Verhältnis zu nah. Kritik hagelte es, als während der Verbrenner-Debatte bekannt wurde, dass Porsche-Chef Oliver Blume und Finanzminister Lindner sich eng dazu austauschten.

Kommunikativ spielt die FDP das schwierige Verhältnis der Grünen zum Wirtschaftslobbyismus aus. Sie positioniert sich als „Partei der wirtschaftlichen Vernunft“ – sei es beim Veto gegen die EU-Entscheidung zum Verbrennermotor oder beim Heizungsgesetz. Die Liberalen nutzen geschickt die Spannungen zwischen den Grünen und der Wirtschaft, um sich bei Gesetzesentwürfen als „Wirtschafts-TÜV“ zu positionieren.

Nicht alle über einen Kamm

Wie funktioniert Lobbying in der Zeitenwende der Ampel? Etwas zugespitzt: Um etwas zu erreichen, überzeuge die SPD. Um etwas zu verhindern, wende dich an die FDP. Was aber ist mit der Partei, die unter Rot-Grün-Gelb mit „Mehr Reformen wagen“ vor allem in Umwelt- und Klimafragen wirbt?

Die Grünen schwanken zwischen echter Nähe zur Wirtschaft und kompletter Ablehnung. Damit verstärken sie den Eindruck, dass auch beim Thema Lobbying in der Ampel etwas zusammengewachsen ist, was nicht wirklich zusammengehört.

Wer erfolgreiche Reformen will, muss alle Perspektiven sehen und verstehen. Eine offenere Haltung gegenüber verschiedenen Interessengruppen fördert nicht nur den pluralistischen Diskurs, sondern stärkt auch die eigene Reformagenda.

Was heißt das für die praktische Interessenvertretung von Unternehmen und Verbänden? Zunächst einmal zählt: Die Regierungsparteien haben unterschiedliche Haltungen. Sie sollten deshalb individuell angesprochen werden. Es hilft, zielgerichtet herauszuarbeiten, wie wichtig ein Anliegen für die Gesellschaft ist. Dabei ist klar: Man muss authentisch, ehrlich und transparent agieren und kommunizieren. Wer sich bei Gesprächsanfragen mal einen Korb einfängt, darf das nicht gleich der ganzen Partei nachtragen! Wir haben gesehen, wie facettenreich und auch ambivalent die Haltungen vor allem gegenüber Vertretern von Wirtschaftsinteressen sind. Da gilt es, die Kanäle zu allen Parteien stets offen zu halten und immer neue Anlässe und Formate für den Austausch zu schaffen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 144 – Thema: Interview mit Can Dündar. Das Heft können Sie hier bestellen.