Leichter gesagt als geschrieben

Politiker schreiben Bücher

Jens Spahn, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi: Sie sind im Klub der Politiker, die Bücher geschrieben haben. Auch Altkanzlerin Angela Merkel will beitreten. Die politischen Erinnerungen, an denen sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann arbeitet, werden wohl ein Bestseller. Zu erzählen gibt es genug: 16 Jahre Kanzlerschaft, Eurokrise, Atomausstieg, Migrationskrise, Donald Trump – die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Was aber schreiben Politiker, die nicht so viel erlebt und eigentlich nicht so viel zu sagen haben? Und vor allem: Warum?

Diese Frage stellen sich Politikjournalisten immer ­wieder. Der „Welt“-Autor Jacques Schu­ster überschrieb einen seiner Kommentare mit der Zeile: „Politiker, lasst das Schreiben!“ Im Text klagte er: „Es sind die migränestiftende Langeweile und die grauenhafte Macke der schreibenden Politiker, sich mit Klammern (als könne man es vor Einfällen nicht aushalten) und Gedankenstrichen dauernd selbst zu unterbrechen, wohl aus Furcht, es könnten sonst andere tun.“ Schusters Fazit: „Politiker können einfach nicht schreiben.“

Das hält diese nicht davon ab, es immer wieder zu tun. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat es auf sage und schreibe 27 Bücher gebracht. Der ehemalige Präsident der Uni Hamburg, Dieter Lenzen, hatte für ein Interview zum Thema in Deutschland nachgezählt. Der ehemalige Finanzminister Theo Waigel brachte es demnach auf acht, Sahra Wagenknecht auf zehn, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf elf, Sigmar Gabriel auf neun Bücher. Die Welt hätte auch ohne viele dieser Werke leben können, urteilte Lenzen, es seien „oft nur umgeschriebene Parteiprogramme“.

Schreiben hat Tradition

Maximilian Flügge berät unter anderem Politiker bei der Kommunikation. Er unterscheidet vier Arten von Politikerbüchern: mit dem Aufstiegsbuch erklömmen Politiker die nächste Sprosse der Karriereleiter; mit dem Wahlkampfbuch stellten sie sich den Wählern vor; mit dem Outlawbuch stellten sie ihr Scheitern in ein positiveres Licht; mit dem Ruhestandsbuch bauten sie an ihrem Vermächtnis. Die Triebfeder, warum politisch mehr oder weniger Aktive ein Buchprojekt angehen, ist aber oft schlicht: Prestige. „In unserer Gesellschaft hat es einen hohen sozialen Stellenwert, ein Buch zu schreiben“, sagt Flügge. „Mit dem Schreiben als Tätigkeit verbinden wir, dass jemand in sich geht und kluge Gedanken hat.“ Tatsächlich hat das Schreiben in der Politik eine Tradition. Goethe war nicht nur Dichterfürst, sondern auch schreibender Geheimrat. Politiker haben in den vergangenen 200 Jahren Denkschriften, Memoiren, Programmschriften und vieles mehr verfasst. Kurz: Wer schreibt, der bleibt.

Robert Habeck (Grüne) liest aus seinem Buch vor. (c) picture alliance/SULUPRESS.DE
Robert Habeck Grüne liest aus seinem Buch vor c picture allianceSULUPRESSDE

Das dachte sich wohl auch der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Aufbruch Deutschland“ hat der Bundestagsabgeordnete seine Gedanken zu Themen wie Atomausstieg, Migration, politischer Korrektheit, aber auch Digitalisierung im Gesundheitswesen sortiert. „Durchs Schreiben ist man im positiven Sinne des Wortes gezwungen, programmatisch über das Tagesgeschäft hinaus zu denken und längere Linien zu ziehen“, sagt Ploß in seinem Bundestagsbüro. Konkret wolle er vor allem Konservativen Mut machen, die ihre Meinung kaum noch veröffentlicht wiederfänden. „Viele haben Angst, sofort ein Label wie ‚rechts‘ verpasst zu bekommen, wenn sie ein leider oft tonangebendes linkes Milieu für unzureichend progressiv hält“, sagt Ploß. Er glaubt, mit seinem Buch dem Eindruck eines stramm linken Zeitgeists etwas entgegenzusetzen.

Chancen und Risiken

Das Gütesiegel für Politikerbücher ist es, wenn sie von renommierten Verlagen herausgebracht werden. „Wenn ein Verlag das wirtschaftliche Risiko dafür übernimmt, meine Gedanken zwischen zwei Buchdeckel zu drucken, dann müssen sie ja Substanz haben“, fasst Politikberater Flügge die Gedanken des Publikums zusammen.

Judith Wilke-Primavesi leitet die Programmplanung beim Campus-Verlag, der mit dem Buch „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht gerade gutes Geld verdient. Das Rennen um den Merkel-Blockbuster fand allerdings ohne Campus statt. „Natürlich sind bekannte Gesichter attraktiv für Verlage“, sagt Wilke-Primavesi. „Klar ist aber, dass man für Promis eine besondere Form von Publicity leisten muss. Das bindet viele Ressourcen, die man woanders abzieht – das muss ein Verlag wollen. Spitzentitel sind eine große Chance – aber auch eine Wette.“
Die meisten Politiker müssen kleinere Brötchen backen. Wo es eher um Ruhm und Ehre geht, spielt Geld eine untergeordnete Rolle. „Es geht mir nicht darum, mit diesem Buch Geld zu verdienen“, sagt CDU-Politiker Ploß. Wenn sich mit dem Buch Geld verdienen lasse, werde er einen Anteil bekommen, den aber einer sozialen Einrichtung spenden.

CDU-Politiker Christoph Ploß mit seinem Buch. (c) privat
CDU Politiker Christoph Ploß mit seinem Buch c privat

Schlägt ein Buch ein, sind die Chancen für Politiker groß. Es winken Einladungen zu Fernseh- und Radiosendungen, Podcasts und Diskussionsrunden – die Stars der politikschreibenden Zunft gehen auch mal auf eine lukrative Lesereise. Das gelingt eher, je mehr Zündstoff im Buch steckt. „Ein Buch darf einerseits nicht unseriös sein, muss andererseits ausreichend Diskussionsstoff liefern“, sagt Politikberater Flügge. Zu viele Bücher seien weichgespülter, als es die Thesen vermuten ließen, die vorab zugespitzt durch die Medien gejagt würden. Das Outlawbuch „Deutschland schafft sich ab“ hat den Ex-SPD-Politiker Thilo Sarrazin wohlhabend und berüchtigt gemacht. „Den Inhalt lehne ich ab, aber davon abgesehen war das Buch erfolgreich, weil es den Sprengstoff enthielt, der vorab versprochen wurde“, sagt Flügge. „Die Erwartungshaltung wurde ganz klar eingelöst.“

Den Chancen stehen die Ge­fahren gegenüber. Kaum irgendwo suchen politische Konkurrenten so gründlich nach Fehlern wie in Büchern des politischen Gegners. Annalena Baerbock und Armin Laschet haben das im vergangenen Jahr erfahren müssen. Er musste sich für Fehler in seinem Buch „Die Aufsteigerrepublik“ entschuldigen, sie zog ihr Wahlkampfbuch „Jetzt“ wegen Plagiaten sogar ganz zurück.

Auch deshalb sind einige Verlage bei Wahlkampfbüchern vorsichtig. „Wir haben da meist kein Interesse“, sagt Campus-Programmchefin Wilke-Primavesi. „Diese Bücher müssen auf einen genauen Termin hin fertig sein, werden oft eilig zusammengeschustert und sind kurzlebig. Außerdem wollen wir uns nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen.“ Lieber sind ihr Bücher, die auf einer Expertise des Autors gründen. Bestsellerautorin Wagenknecht hat bereits mehrere Bücher bei Campus veröffentlicht, die eher Wirtschafts- als Politikbücher waren. Man kennt und schätzt sich.
Aus der Aufregung um das Baerbock-Buch hat Wilke-Primavesi auch weitere Schlüsse gezogen. „Wir schauen bei Texten jetzt schon genauer hin und nehmen das auch mit in Vorgespräche“, sagt sie. „Die Branche ist sensibilisiert, was Plagiate angeht. Ich würde bestimmte politische Texte jetzt auch mit einer Software prüfen ­lassen.“

Schreiben ist hart

Schnelligkeit verführt zu Schludrigkeit. Schnell gehen muss es oft genug: Die Räume, die der Politikbetrieb den Musen lässt, sind rar gesät. Allenfalls die parlamentarische Sommerpause erlaubt es, sich für mehrstündige Schreibsitzungen auszuklinken. Ansonsten bliebe auch das Wochenende, sagt Politiker Ploß. Aber auch er weiß, dass sich das abhängig von der Familienplanung ändern kann. Man kann sich auch vorstellen, wie knapp die zeitlichen Freiräume bei Partei- und Fraktionsvorsitzenden oder Regierungsmitgliedern ausfallen.

Deshalb ist es gut, sich den Schreibprozess in feste Zeitfenster einzuteilen. Hilfreich sei auch, wenn man sich öfter um Gastbeiträge in Zeitungen oder Buchkapitel in Sammelbänden bemühe, sagt Ploß. „So baut man sich auch einen gedanklichen Fundus auf, aus dem man später schöpfen und ihn weiterentwickeln kann“.

Die Praxis ist wichtig, denn Schreiben ist schwierig. Verlagsprogrammchefin Wilke-Primavesi sagt: „Wir versuchen deshalb bei Vorgesprächen zu einem Buch herauszufinden: Nimmt jemand das Schreiben ernst? Entsteht hierbei etwas interessantes Neues oder will jemand nur schnell ein Buch haben, von dem er oder sie sich politische Vorteile erhofft?“

Vielleicht unterschätzen einige, was es bedeutet, ein Buchprojekt auf sich zu nehmen. „Viele Abgeordnete werden mit dem Verfassen längerer Texte erstmals im Parlament konfrontiert“, sagt Politikberater Flügge. „Selbst die vielen Juristen haben selten Schriftsätze mit mehr als 200 Seiten angefertigt – ein Buch hat darüber hinaus noch andere Anforderungen.“

Sparringspartner helfen

Einige suchen sich deshalb Verstärkung – oft aus dem Journalismus, wo man sich damit auskennt, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu kämpfen. Co-Autoren nehmen in längeren Gesprächen mit Politikern deren Gedanken und Anekdoten auf und stricken aus den Notizen dann die Texte. Andere Politiker suchen sich intellektuelle Sparringspartner. „Das tut einem Buch gut“, sagt der CDU-Abgeordnete Ploß. „Wer niemanden hat, der ehrliches Feedback gibt, läuft Gefahr, irgendwann vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen.“ Auf Vorschlag seines Verlags holte er sich Ansgar Graw an die Seite. „Wir haben uns regelmäßig ausgetauscht und auch zwei Mal zum persönlichen Gespräch getroffen“, sagt Ploß.

Der ehemalige „Welt“-Journalist war eine Wahl, die Ploß gut passte. „Für seine Anmerkungen war ich sehr dankbar“, sagt er. So habe Graw Vorschläge für die Gliederung gegeben und ihn ermutigt, saloppere Formulierungen einzustreuen wie etwa diese zur misslungenen Spitzenkandidatenkür der Union bei der vergangenen Bundestagswahl: „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.“

Die Partner von Autorenpaarungen sind sich politisch oft nahe. Das Buchprojekt droht dadurch einseitig zu werden. Starke Gegenargumente könnten übersehen werden. Viel wichtiger ist aber anderes: Vertrauen. „In den Gesprächen zu einem Buch hören Co-Autoren viele pikante Hintergrundgeschichten aus der Politik, mit denen sie diskret umgehen sollen“, sagt Politikberater Flügge. „Als Politiker öffne ich mich in solchen Gesprächen. Dafür brauche ich jemanden, der vertrauenswürdig ist und der mich wirklich versteht. Nur so wird der dann auch aufschreiben, was ich wirklich denke.“

Auf keinen Fall sollten Politiker aus reiner Eitelkeit darauf verzichten, mahnt Flügge. „Für viele ist es wichtig, das Buch ganz allein geschrieben zu haben. Aber wenige Buchleser nehmen wahr, ob es einen Co-Autor gibt oder nicht“, sagt er. Auf dem Titel sei ohnehin meist der prominente Politiker abgebildet. Vielmehr könnte es sogar Fragen aufwerfen, wenn ein Politiker ohne Hilfe ein dickes Buch schreibt. „Gerade Spitzenpolitiker sollten Profis zum Schreiben engagieren und dann auch nennen“, sagt Flügge. „Wann haben sie denn Zeit, zu schreiben? Das fragt sich auch das Publikum. Und wenn dann noch herauskommt, dass der Autor Hilfe bekommen hat – und so etwas kommt meist heraus –, dann erscheint das Buch und alles ist zerstört, was damit erreicht werden sollte.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 141 – Thema: Interview mit Norbert Lammert. Das Heft können Sie hier bestellen.