Schwarze Oberklassewagen fahren am Kanzleramt vor, bekannte Politiker steigen aus und eilen in die Machtzentrale. Im Vordergrund ein Fernsehjournalist, der den Zuschauern erklärt, wer da gerade zur Koalitionsrunde geht. Alle wissen: Jetzt fallen wichtige Entscheidungen, das Land wird regiert. Diese Inszenierung von Macht kennt jeder. Aber ist das alles? Für denjenigen, der verstehen will, wo Macht nicht nur dargestellt, sondern vollzogen wird, lohnt ein Blick auf die informellen Kreise vor, neben und hinter den offiziellen Runden.
Wer sich fragt, wo eigentlich entschieden wird, welches Mitglied einer Bundestagsfraktion welchen Posten bekommt, landet zum Beispiel bei der „Teppichhändlerrunde“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dort, wo die Vorsitzenden der Landesgruppen und der soziologischen Gruppen zusammenkommen, werden wichtige Entscheidungen getroffen, vor allem personalpolitische. Der Terminplan eines Gesetzgebungsverfahrens gehört zur Grundausstattung eines Lobbyisten. Ähnlich sieht es mit den Terminen der Bundestagsausschüsse aus. Wer diese Eckdaten kennt und die Abgeordneten bis zuletzt mit Fakten versorgen kann, ist klar im Vorteil.
Noch besser dran sind natürlich diejenigen, die sich Politiker direkt zum Gespräch einladen können – und deren Einladungen auch angenommen werden. Als eine besonders bedeutende Runde gilt der 1972 gegründete „Adlerkreis“, ein informeller Zusammenschluss von Politikbevollmächtigten deutscher Industriekonzerne und Geschäftsführer großer Verbände. Unter der derzeitigen Präsidentschaft des VDA-Geschäftsführers Kay Lindemann trifft sich der Zirkel monatlich in den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft, um mit Regierungsvertretern wie Kanzleramtschef Peter Altmaier oder anderen ranghohen Politikern gegenseitige Information über aktuelle Vorhaben der Politik zu betreiben.
Eine weitere wichtige Runde ist das „Collegium“, das sich alle vier Wochen in einem Nebenraum der „Brasserie“ am Gendarmenmarkt trifft: In dieser Runde, die in diesem Jahr vom Evonik-Vertreter Markus Schulz geleitet wird, tauschen sich Repräsentanten der Unternehmen jeweils mit einem hochkarätigen Gast aus der Politik aus und betreiben konkrete Meinungsbildung.
Weitere Kreise sind die in „Lobby Berlin“ versammelten jüngeren Interessenvertreter, der „Dreißiger-Multiplikatoren-Kreis“ sowie der „Wirtschaftspolitische Club“. Auch die Runden von Landesvertretungen und Bundestagsfraktionen spielen eine wichtige Rolle. Als besonders effektiv gilt der Kreis der nordrhein-westfälischen Ministerin Angelica Schwall-Düren am Vortag einer Bundesratssitzung. In dieser ist beispielsweise zu erfahren, welche Vorhaben in der Länderkammer mehrheitsfähig sein werden.
Gespräche im Wohnzimmer
Die informelle Zusammenkunft ist jedoch nicht nur für Interessenvertreter von Bedeutung, sondern auch für journalistische Hintergrundkreise. In Berlin gibt es eine Handvoll Kreise von größerer Bedeutung. Sie eint das Interesse, Politik und Positionen jenseits tagesaktueller Ereignisse besser verstehen zu können. Einer der ältesten Kreise, gegründet 1971, ist „Die Gelbe Karte“. Der Name erinnert an die gelben Namensschilder, die Journalisten damals auf Parteitagen erhielten. Heute führen Karl Doemens, Chefkorrespondent der Dumont-Hauptstadtredaktion, und Birgit Marschall von der „Rheinischen Post“ die Runde an, die als SPD-nah gilt.
Der „Wohnzimmerkreis“, dem FAZ-Journalist Günter Bannas vorsitzt, gilt als einer der exklusivsten Journalistenzirkel der Stadt. Gerade einmal zehn Mitglieder hat die Runde, die sich im Gegensatz zu den meisten anderen Kreisen in Privatwohnungen trifft. In der „Provinz“ sind die Hauptstadtkorrespondenten diverser Regionalblätter versammelt. Geleitet wird die Gruppe mit dem selbstironischen Namen bis heute von ihrem Gründer, dem Korrespondenten der „Leipziger Volkszeitung“, Dieter Wonka.
Während in zahlreichen Hintergrundkreisen Frauen deutlich in der Minderheit sind, haben sich im „Mainau-Kreis“ ausschließlich Journalistinnen zusammengetan, um mit relevanten Politikern sowie Verbands- und Wirtschaftsvertretern ins Gespräch zu kommen. So unterschiedlich die Kreise im Hinblick auf Zusammensetzung, Häufigkeit der Treffen, parteipolitische Ausrichtung und Exklusivität auch sind: Sie alle leben vom vertraulichen Rahmen. Gesprochen wird häufig „unter zwei“, das Gesagte kann also veröffentlicht werden, ohne jedoch dabei den Zitatgeber zu identifizieren. In besonders vertraulichen Angelegenheiten gilt die Regel „unter drei“ – jedes Zitat ist tabu. Ohne Diskretion keine Reputation und damit keine prominenten Gesprächspartner. Schon allein deshalb achten die Organisatoren der Kreise genau darauf, wen sie aufnehmen. In der Regel braucht es die Empfehlung eines oder mehrerer Mitglieder, eine Initiativbewerbung ist zwecklos.
Auch Politiker suchen umgekehrt das vertrauliche Gespräch mit Journalisten – denn wo und wann sonst kann man seine eigene Sichtweise zwar kritisch hinterfragt, aber doch weitestgehend ungestört den wichtigsten Multiplikatoren mitteilen? Ob Politiker, Journalisten, Verbands- oder Wirtschaftsvertreter: Sie alle wollen in guten Zeiten Vertrauen aufbauen, um – wenn es ernst wird – schnell Zugang zu relevanten Personen und Informationen zu bekommen.
Von der ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis ist das Wort überliefert, dass Politik „mit der Leber gemacht“ werde. Nach Abschluss der Parteisitzung, nach Ende der Beratungen des Ausschusses oder des Parteitags geht es in die nächstgelegene Kneipe. Dort wird das Besprochene noch einmal debattiert und so mancher, der glaubte, in der offiziellen Sitzung alle wichtigen Themen mitdiskutiert zu haben, reibt sich ein bis zwei Tage später verwundert die Augen: Warum wurde am Ende doch Genosse A gewählt und nicht Genosse B? Und wann wurde eigentlich der Kompromiss verabredet, über den nun alle sprechen?
Über die Vielzahl offizieller Runden hinaus, die sich den Tagesordnungen und Terminplänen entnehmen lassen, von den relevanten informellen Treffen zu erfahren, ist die wahre Herausforderung sowohl für einen Nachwuchspolitiker als auch für Journalisten und Interessenvertreter. Im Graubereich des Journalismus gibt es je nach Branche mal mehr, mal weniger Hintergrund- und Branchendienste, die es ihren Abonnenten gelegentlich ermöglichen, so zu tun, als seien sie selbst „ganz dicht dran“. Wer jedoch wirklich dazugehören will, dem kann das nicht reichen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2015. Das Heft können Sie hier bestellen.