Ist die repräsentative Demokratie gescheitert?

Rezension

Die repräsentative Demokratie scheine krank und entspreche nicht mehr dem Zeitgeist moderner Gesellschaften. Politische Beteiligung, Meinungsbildung und Einflussnahme spielten sich nicht mehr innerhalb des politischen Systems ab.

Bürgerbewegungen und Organisationen wie Occupy und der teils erhebliche Mitgliederschwund bei politischen Organisationen ließen die repräsentative Demokratie wie einen „Überbau ohne Stützen“ dastehen – soweit die Kritik. Ist die repräsentative Demokratie gescheitert?

Simon Tormey, Professor für politische Theorie, betrachtet diese Frage durch die geopolitische und politikhis­torische Brille. Weltweit steckt das System der „Volks-Vertretung“ seiner Meinung nach in der Krise. Bei seiner Analyse verfängt er sich letztlich in der anarchistischen Frage, warum das Volk überhaupt geführt werden müsse.

Recht hat er, wenn er sagt, dass uns häufig nur die Fragen „Wer führt?“ und „Wie wird geführt?“ beschäftigen. Richtig ist auch, dass die repräsentative Demokratie immer wieder ihre systemische Existenzberechtigung abliefern muss. Es darf erwartet werden, dass politische Vertretungsansprüche gerechtfertigt werden.

Die Analyse der Krise der repräsentativen Demokratie ist laut Tormey „teils Wissenschaft und teils Kunst“. Politologen meinen, mithilfe einer wissenschaftlichen Betrachtung der Variablen einen „beunruhigenden Trend“ auszumachen. Sein Fazit ist dann allerdings weder überraschend noch besonders analytisch: Das kollektive Bewusstsein, die Demokratie sei „die am wenigsten schlechte Regierungsform“, rette diese letztlich.

Zweifellos gibt es reichlich Anlässe, den aktuellen Gesundheitszustand der Demokratie zu hinterfragen – die stark schwankende Wahlbeteiligung beispielsweise. Auch ist es aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich, wenn einzelne Sportvereine mehr Mitglieder zählen als Parlamentsparteien.

Das politische System im Ganzen und die Parteien im Einzelnen haben es in den vergangenen Jahrzehnten oft versäumt, sich ernsthaft zu hinterfragen und das Bedürfnis nach neuen Partizipationsformen ernst zu nehmen. Zu oft herrschen Angst vor Veränderung und sicherlich auch vor Machtverlust.

Gerade die Digitalisierung und die Möglichkeit, sich online zu engagieren und sich teils anonym politisch zu äußern, lassen die klassische Politikveranstaltung alt und verstaubt aussehen. Aber ist sie das wirklich? Oder haben wir alle nur verlernt, immer wieder in einen ernst gemeinten Meinungsbildungsprozess einzusteigen?

Wird die repräsentative Demokratie wieder attraktiver, wenn der Repräsentierte davon überzeugt ist, dass Entscheidungen abgewogen und diskutiert statt ideologisch abgeleitet werden? Die repräsentative Demokratie ist nicht am Ende. Sie ist seit vielen Jahrzehnten der Garant für gesellschaftlichen Wohlstand und Sicherheit.

In Topform präsentiert sie sich zwar sicher nicht und Tormey liefert auch keinen Trainingsplan – aber zumindest ausreichend Motivation, um an ihrer Fitness zu arbeiten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation IV/2015 Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.