„Ich sehe zunehmend entpolitisierte Journalisten“

Wenn man die 197 Seiten Ihres „Höllenritts“ liest, hat man den Eindruck, Wahlkampfmanagement ist reine Nervensache. In der Politik regiert der Zufall?

Stauss: In der Politik regiert – wie überall sonst auch – das Leben. Und das ist eben voller Zufälle. Ins Schlingern gerät man erst, wenn auch die vorhersehbaren Schwierigkeiten nicht im Vorfeld adressiert werden.

Organisierte Planlosigkeit in einer lose verkoppelten Anarchie. Wie sieht Ihr Gegenkonzept für einen sinnvoll strukturierten Wahlkampf aus?

Grundlage eines Wahlkampfes, der eine Chance auf Erfolg haben will, ist eine klare Strategie, auf die sich alle Verantwortlichen zu Beginn der Kampagne verständigt haben. Wenn die steht, dann kann man mit dem täglichen Wahnsinn auch nervenstark umgehen. Steht sie nicht, wirft einem jedes Problem aus der Bahn.

Was sind aus Ihrer Sicht die Grundlagen einer intelligenten Wahlkampfstrategie?

Die absolute Stimmigkeit der Strategie in Punkto Kandidat, Partei und Programm. Sobald größere Brüche sichtbar werden, leidet die Glaubwürdigkeit. Steht man fest auf seinem Fundament, kann man sich um die Gegner kümmern. Das strategische Fenster muss sich jedoch aus den eigenen Stärken eröffnen, nicht aus den Schwächen des Gegners.

Welche Partei ist 2013 im Wahlkampf am besten aufgestellt – und warum?

Bisher die Grünen, weil sie eine breite und bekannte Personaldecke haben, die überall präsent ist und langsam einen Volksparteicharakter entwickelt.

Welche Partei betreibt einen „notleidenden“ Wahlkampf?

Die FDP, die nur mit Leihstimmen der Union überleben kann, aber keine eigene Legitimation mehr über ihr aktuelles Personaltableau vermitteln kann.

Das Führungs-Triumvirat der SPD spricht ja teilweise über Emissäre miteinander. Wie wichtig ist die Synchronisation der Spitzenkräfte im Wahlkampf?

Die Zusammenarbeit von Parteivorsitzendem, Generalsekretär und Kandidat muss absolut reibungslos funktionieren. Sonst kann man aus der Opposition heraus keine Wahl gewinnen.

Alle Welt spricht derzeit von einem „Schlafwagen-Wahlkampf“. Warum gelingt es der SPD nicht die Kanzler-Präsidentin aus der Reserve zu locken?

Die SPD hat unter ihren Spitzenrepräsentanten offenbar keine gemeinsame strategische Plattform entwickelt, aus der heraus sie operieren kann. Aber wenn die eigenen Truppen nicht sortiert sind, kann man keine erfolgreiche Attacke reiten.

Was müsste die SPD tun, um ihre Themen zu zuspitzen und Debatten zu forcieren?

So wenige Wochen vor der Wahl hilft nur noch, einen neuen Boden einzuziehen. Eine Auszeit aller Akteure, die sich jetzt auf einen neuen Anlauf verständigen, sich Treue schwören und ihre Mitarbeiter zusammen führen. Es muss klar werden: Die Spitze macht vor, wie es gemeinsam geht. Und dann müssen alle auf das eine Thema gehen, das die SPD über die 30 Prozent hievt: Mit Peer Steinbrücks wirtschaftlichem Sachverstand unser Land zu neuen Erfolgen mit mehr sozialer Gerechtigkeit führen.

Die CDU will möglichst alle Konfliktthemen entkräften und entsaften. Ist das eine kluge Strategie?

Es ist eine kalkulierte Senkung der Wahlbeteiligung durch Langeweile. Sie führt allerdings auch zu eigener Demobilisierung der Union, wie die Wahl 2009 gezeigt hat.

Welche Kollateralschäden sind mit der asymmetrischen Demobilisierung der Union verbunden?

Abnehmende Legitimation durch abnehmende Wahlbeteiligung.

 

Die Demoskopen sehen die SPD seit Monaten im Keller. Welche Auswirkungen hat dieses „Meinungsbild“ auf Anhänger und Aktive?

Wie auch immer man es argumentativ umschreibt: es bleibt demotivierend.

Lutz Hachmeister hat schon vor Jahren in seinem Buch „Nervöse Zone“ eine klare bürgerlich-konservative Dominanz der Hauptstadt-Journalisten ausgemacht. Teilen Sie diese Einschätzung aus der Praxis?

Ich sehe zunehmend entpolitisierte Journalisten.

Ist Wahlkampf heute Medien-Wahlkampf?

Heute so wie seit Erfindung der Papyrusrolle.

Peer Steinbrück wurde von den Medien, vor allem im Boulevard, persönlich demontiert. Hätte dies verhindert werden können?

Ja – mit einer besseren Vorbereitung bezüglich aller drei möglichen Kandidaten lange vor der eigentlichen Nominierung.

Michael Spreng hat jüngst (in w+v) den Parteien im Feld Social Media ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Stimmt seine Diagnose, dass die Parteien hier von Obama nichts gelernt haben?

Wenn wir einen Obama haben, fliegt auch Social Media. Aber solange eine Kampagne offline nicht fliegt, wird sie auch online nicht fliegen.

Woran scheitert die Umsetzung der Obama-Onlinestrategie in Deutschland?

Am Datenschutz.

Kann die Kanzlerin mit einem „Wellness-Wahlkampf“ gewinnen?

Wenn die Menschen sie damit durchkommen lassen, warum nicht? Offenbar geht es ja allen im Land gut.

Wie könnte die SPD diese Strategie durchkreuzen?

Mit mutigen Alternativen.

Wenn Sie nun Wahlkampf für Rot-Grün machen müssten: Wie würde Ihre Erfolgsformel ausschauen?

Diese Frage beantworte ich nur, wenn ich dafür bezahlt werde. Das ist ja kein Hobby von mir.

Wer ist wichtiger im Wahlkampf – die Agentur oder der/die Kandidat/in?

Natürlich der Kandidat.

Sie machen auch Wahlkampf für die ÖVP. Ist es in der Praxis einfacher, für die Konservativen Wahlkampf zu machen – etwa die ÖVP?

Wir haben noch keinen Wahlkampf für die CDU gemacht. Die Antwort auf die Frage ist dennoch nein. Sie sind mal besser, mal schlechter.

Was sind die größten Fehler der Parteien in der Wahlkampf-Gestaltung?

Zu viele Themen.

Ist es Ihrer Auffassung nach richtig, dass man die Banken- und Eurokrise nicht zum Wahlkampfthema machen kann?

Nein.

Welche Tugenden braucht ein erfolgreicher Wahlkämpfer, der der Hölle entkommen will?

Er muss zu 100 Prozent davon überzeugt sein, dass es mit ihm dem Land und seinen Menschen besser gehen wird.

Haben Sie 2013 Entzugserscheinungen?

Nein.