Ein Abraham-Plan für Gaza

Politik

Die barbarischen Angriffe der Hamas am 7. Oktober 2023 und an den darauffolgenden Tagen erschüttern die Welt. Über 1.400 Zivilisten wurden brutal ermordet, mindestens 239 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Knapp 10.000 Raketen hat die Hamas bislang auf Israel abgefeuert. Über 7.000 Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Dazu kann bereits jetzt davon ausgegangen werden, dass eine hohe Anzahl an Menschen behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln wird.

Die Antwort auf diese Attacke ist eine weltweite Welle der Solidarität mit dem jüdischen Staat. Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich klar und führungsstark. Er sagte: „In solchen schwierigen Zeiten kann es nur einen Platz geben: den Platz an der Seite Israels.“ Bei einem Besuch in Israel kurz nach dem Angriff der Hamas betonte der Bundeskanzler, dass es in der aktuellen Situation völlig klar sei, dass Israel das völkerrechtlich verbriefte Recht – und auch die Pflicht – habe, sich gegen diesen Terror zu wehren. Gleichzeitig erteilte er all denjenigen eine Absage, die es für eine gute Idee hielten, von außen in den Konflikt einzugreifen.

Einmal mehr verwundert vor diesem Hintergrund das Abstimmungsverhalten Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Ende Oktober verabschiedete die UN-Vollversammlung eine Resolution, die sich mit der Situation in Israel und Gaza auseinandersetzt. Eine eindeutige Verurteilung des Terrors der Hamas als Auslöser des Krieges ist nicht enthalten. Deutschland enthielt sich und begründete das mit misslungenen Verhandlungen zur Resolution. Was diplomatisch schon nicht nachzuvollziehen ist, missglückte der Bundesregierung kommunikativ derweil vollends – sowohl der Zentralrat der Juden in Deutschland als auch Ron Prosor, Israels Botschafter in Deutschland, kritisierten die Bundesregierung mit deutlichen Worten. Eine „mutige Enthaltung“ ist eben leider kein klares Signal, kein Ausdruck gelebter Staatsräson.

Bundesregierung muss vorangehen

Frankreichs Präsident Macron positioniert sich eigentlich sehr klar an der Seite Israels. Jüngst bekam er international deutliche Kritik zu hören, nachdem er sich für einen schnellen Waffenstillstand ausgesprochen hatte. Die unterschiedlichen Positionen Deutschlands und Frankreichs verdeutlichen einmal mehr das Dilemma der europäischen Außenpolitik. Ohne das Prinzip der qualifizierten Mehrheitsentscheidung wird die Europäische Union kaum in der Lage sein, mit einer Stimme zu sprechen und damit die eigene Durchsetzungskraft zu erhöhen. Der Vertrag von Lissabon ermöglicht das grundsätzlich.

Hier sollte die Bundesregierung auf europäischer Ebene die Initiative übernehmen. Die deutsche Bevölkerung weiß der Bundeskanzler hinter sich. Laut einer ELNET-Studie, die von Mitte Oktober bis Anfang November unter 10.000 Bundesbürgern durchgeführt wurde, bewerten 85 Prozent der Deutschen die Rolle der Hamas klar als negativ. Eine Mehrheit empfindet die Operation der israelischen Armee (IDF) als angemessen.

Mit der Operation „Iron Sword“ verfolgt die IDF das Ziel, die Hamas zu stürzen und jedwede militärische Fähigkeit zu zerstören, um die terroristische Bedrohung zu beseitigen. Das ist nicht nur die notwendige Grundlage für die Sicherheit Israels. Bei den letzten freien Wahlen 2006 ging die Hamas als Sieger hervor und herrscht seit 2007 mit einem Terror-Regime über Gaza. Während der israelische Staat mit den aktuellen Maßnahmen seiner Schutzverantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung nachkommt, verletzt die Hamas als handelndes Regime mit den Attacken vom 7. Oktober sowie derzeit jeden Tag erneut, offen und bewusst diese „Responsibility to protect“, wie sie 2005 von den Vereinten Nationen in das Abschlussdokument des Weltgipfels aufgenommen wurde. Ein Ende der Hamas im Gazastreifen würde eine Chance werden zum Neuanfang für alle ­Menschen dort.

Kein „weiter so“

Nach dem Krieg wird es vor diesem Hintergrund mehr brauchen als ein „weiter so“ der internationalen Förderpolitik. Das Bildungswesen im Gazastreifen muss vollständig neu aufgebaut werden. Ziel muss es sein, Frieden und Ko-Existenz zu lehren, nicht Hass und Hetze gegen jüdisches Leben. Das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und die Infrastruktur insgesamt müssen neu aufgebaut werden. Dazu wird es eine Regelung brauchen, wer die Hoheit über die Verwaltung und damit auch über Sicherheit der dort lebenden Menschen übernimmt, kurz- wie langfristig. Schließlich sollten der Staat, aber auch die Zivilgesellschaft die Bereitschaft Israels signalisieren, diesen Prozess zu begleiten. Die seit der Shoah nicht gesehene Professionalität und Brutalität, mit der jüdisches Leben durch die Hamas vernichtet wurde, wird in der israelischen Gesellschaft Spuren hinterlassen.

An dieser Stelle kommt der Normalisierungsprozess zwischen Israel und immer mehr arabischen Staaten in Spiel. Seit Unterzeichnung der sogenannten Abraham-Abkommen vor drei Jahren sind vielfältige Beziehungen in Wirtschaft und Gesellschaft entstanden. Es liegt im Interesse Europas, dass sich diese Dynamik fortsetzt und intensiviert. Auch in Deutschland ist die Stimmung bezüglich der Abraham-Abkommen durchweg positiv: nach der oben erwähnten Studie unterstützen 75 Prozent der Bundesbürger eine Förderung der Abkommen durch die deutsche Politik. Bislang hat es die palästinensische Führung abgelehnt, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Es ist nun an der Zeit, diese Entscheidung zu überdenken.

Auf Grundlage der Abraham-Abkommen könnte eine Art Abraham-Plan für Gaza entstehen. Dieser sollte die zentralen Fragen für den Neuaufbau adressieren und sowohl Israel, arabische Staaten, aber auch den Westen in die Verantwortung nehmen. Die arabischen Staaten haben selbst ein Interesse daran, dass Stabilität und Frieden in der Region einkehren. Vor dem Überfall der Hamas, der wohl auch dazu dienen sollte, die fortschreitende Normalisierung zwischen Israel und der arabischen Welt zu torpedieren, gab es selbst mit Saudi-Arabien vielversprechende Gespräche. Beide Seiten eint insbesondere die Sorge, dass der Iran mit den von ihm unterstützen Terrororganisationen Hamas (Gazastreifen), Hisbolla (Libanon) und Huthis (Jemen) im Nahen Osten einen Flächenbrand entfachen könnte.

ELNET wird sich im Rahmen seines Europe – Middle East Forum im kommenden Jahr in Paris dieser Thematik annehmen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 145 – Thema: Halbzeit. Das Heft können Sie hier bestellen.