Die Kandidaten müssen dem Wähler schmecken

Politik

Heutzutage sind soziodemografische Daten aus politischen Kampagnen nicht mehr wegzudenken. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um eine Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl handelt, überall werden Daten zur gezielten Bewerbung von Themenschwerpunkten verwendet.

Die Parteien haben hierfür selbst Datensätze angelegt oder kaufen diese ein, um ihre Inhalte dort zu bewerben, wo sie die größte Zielgruppe vermuten. So kann es dazu kommen, dass eine Partei teilweise mit sehr unterschiedlichen Botschaften in derselben Stadt antritt, um in verschiedenen Wahlkreisen die vorab identifizierten Zielgruppen zu erreichen. Ob mehr Daten und mehr Geld aber auch gleichzeitig mehr Wählerstimmen bedeuten, scheint fraglich zu sein. Denn die Realität sieht anders aus: Insbesondere die Parteien, die über die meisten Abgeordneten und Mitglieder sowie die stärksten finanziellen Rücklagen verfügen, haben in den vergangenen Jahren die beträchtlichsten Wahlverluste eingefahren.

Personen machen den Unterschied, nicht Parteien

Es mag sein, dass Datensätze falsch ausgewertet oder Fehler in der strategischen Auslegung der Kampagne gemacht wurden, aber dies allein kann nicht der Grund dafür sein, dass die gesetzten Botschaften die Wahlberechtigten nicht überzeugen konnten. Wahlen werden heutzutage öfter durch Personen entschieden als dies noch vor einer Dekade der Fall gewesen ist. Die Wahlerfolge von Malu Dreyer (2016), Armin Laschet (2017), Stephan Weil (2017), Angela Merkel (2017), Volker Bouffier (2018), Meyer-Heder (2019), Dietmar Woidke (2019) zeigten, dass einzelne Personen den Unterschied bei Wahlen ausmachen können.

Aber auch bei Bürgermeister-, Direktmandats- oder Landratswahlen wird diese Tendenz immer deutlicher. Dies kann so weit gehen, dass charismatische Kandidaten auch dort Erfolge feiern, wo ihre Parteien seit Jahren keinen Sieg mehr holten oder teilweise kurz vor einer Niederlage standen. Beispielhaft stehen hierfür Patrick Dahlemann (2016), Lars Klingbeil (2017), Philipp Amthor (2017), Bijan Kaffenberger (2018) und Jens Böther (2019). Alle eint, dass Parteizugehörigkeit und Botschaften in den Hintergrund rückten und die Person im Vordergrund stand.

Daraus lässt sich ableiten: Wenn die Kandidatur zur Wählerschaft passt, haben Parteizugehörigkeit und Botschaften weniger Relevanz und personalisierte Wahlsiege sind überall möglich.

Es muss schnell gehandelt werden

Wenn CDU und SPD nicht noch weiter in der Gunst der Wähler absinken wollen, sollten sie schnellstmöglich die vorhandenen Datensätze mit ihren potenziellen Kandidaten abgleichen. Eine Auswahl sollte auf Grundlage der statistischen Auswertung getroffen werden, statt weiterhin wie gewohnt durch intransparente Abstimmungsprozesse. Ansonsten könnten Wahlerfolge, wie beispielsweise von Anna Kebschull (2019), der ersten Grünen-Landrätin Deutschlands, oder des parteilosen Bürgermeisters der Stadt Emden, Tim Kruithoff (2019), keine Ausnahme mehr sein, sondern die Regel.

Die (Volks-)Parteien müssen umdenken und ihre Kandidaten mit dem Ziel auswählen, dass sich die Wähler mit ihnen verbunden fühlen. Natürlich wird keine Kandidatur die gesamte Wählerschaft abdecken können, aber darum geht es auch nicht. Es geht bei Direktwahlen nur darum, eine Mehrheit von sich zu überzeugen und dieser Mehrheit vorher deutlich zu machen, dass Parallelen zwischen ihr und dem Kandidaten bestehen und so ein Bezugsgefühl entsteht.

Der Spitzenkandidat kann es nicht mehr nur alleine richten

Wahlen können und werden auch in Zukunft weiterhin von Spitzenkandidaten mitentschieden. Aufgrund der großen Diversität im Parteienspektrum sowie Ausgleichs- und Überhangmandaten werden die Wahlkreise allerdings an Bedeutung gewinnen. Die Spitzenkandidaten können dazu beitragen, dass die jeweilige Partei als Ganzes bei der Zweitstimme gut abschneidet. Gewinnt die Partei aber keinen Wahlkreis direkt, werden zwei Effekte eintreten: Erstens ist eine parlamentarische Mehrheit durch Ausgleichs- und Überhangmandate nicht garantiert und zweitens verliert die Partei die direkte Verbindung mit dem Wahlkreis und somit auch mit der Bevölkerung.

Der zweite Effekt kann auf lange Sicht viel bedeutender sein. Wenn Parteien nicht mehr vor Ort aktiv sind, können sie leicht durch andere Parteien verdrängt werden. Dieses Phänomen ist in ganz Deutschland bereits sichtbar, obgleich die Auswirkungen in Ostdeutschland noch stärker zu sehen sind als im Westen. Die finanziellen Mittel der Parteien gründen nicht nur auf Spenden und Mitgliedsbeiträgen, Anteile die bei der SPD und CDU mittlerweile im Vergleich schwindend gering sind, sondern zu einem großen Teil auf staatliche Zuschüsse durch die Parteienfinanzierung. Diese wiederum wird daran gemessen, wie viele Stimmen eine Partei bei der jeweils letzten Wahl erzielt hat. Verringern sich die Stimmenanteile von CDU und SPD weiterhin, so wird auch weniger Geld für die Parteiarbeit vor Ort zur Verfügung stehen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Parteiarbeit gerade dort eingestellt wird, wo die Wahlergebnisse sowieso bescheidend sind. Dieser negativ Effektiv wird sich umso stärker auswirken, wenn Direktmandate nicht mehr gewonnen werden.

Durch Daten zurück zum Wähler

Die (Volks-)Parteien sollten sich darüber klar werden, dass sie zurück zum Wähler müssen. Eine Möglichkeit, um dieses Ziel zu erreichen, könnten Kandidaten sein, die auch wirklich zum Wahlkreis passen. Um diese zu finden, muss man nur den Computer anschmeißen, einen analytischen Blick in die Daten werfen und etwas Neues wagen. Der Erfolg kommt dann ganz von alleine – schließlich muss der Kandidat dem Wähler schmecken und nicht anders herum!

Daten können der entscheidende Faktor für die Aufstellung von Kandidaten werden. Zeigt ein Wahlkreis zum Beispiel eine Mehrheit von Alleinerziehenden, gut verdienenden Akademikern mit Vorliebe für die Themen Mobilität und Bildung, dann sollte der nächste Kandidat auch aus diesem Kreis kommen und ähnliche Interessen haben. Gibt es mehrere geeignete Kandidaten, kann natürlich immer noch in einem Auswahlverfahren darüber entschieden werden, welchem die besseren Chancen eingeräumt werden.

Für die Parteien steht intern viel auf dem Spiel

Sollten sich die Parteien für ein solches Verfahren entscheiden, stünde für sie möglicherweise trotz Erfolg viel auf dem Spiel. Die Parteivorstände müssten zunächst eine Mehrheit in den Parteien von der Umsetzung eines entsprechenden Verfahrens überzeugen. Dies scheint eher fraglich, denn schließlich haben viele Kandidaten einen Unterstützerkreis, der auf Sympathie, alter Verbundenheit oder Verwandtschaft und nicht auf reiner Mathematik oder einem Algorithmus beruht. Eine Verfahrensumstellung könnte zu viel innerparteilichem Streit, vielleicht auch neuen Vorständen und womöglich sogar zu Parteiaustritten führen.

Viel schlimmer wäre es, wenn die beiden (Volks-)Parteien demnächst keine Direktwahlen mehr gewinnen und somit die Verbindung zum Wähler vor Ort verlieren. In Folge dessen könnten die Parteien komplett aus dem Fokus vieler Wähler geraten und weiter an Boden verlieren. In Frankreich und den Niederlanden ist dies bei den Sozialdemokraten bereits eingetroffen. Der Wahlsieg der niederländischen Sozialdemokraten bei der vergangenen Europawahl (2019) sollte als Beleg dafür genommen werden, dass sich die Wähler in der Tat für eine Person, nämlich Frans Timmermanns, und nicht für eine Partei entschieden haben.

Ein Blick in die Zukunft

In der heutigen Zeit gibt es kaum noch unberechenbare Zufälle, sei es beim Einkaufen, bei der Social-Media-Nutzung, bei der Gestaltung der Freizeit oder bei der Arbeitssuche. Also warum sollten sich nicht auch Parteien und die Demokratie als solches anhand von Daten weiterentwickeln? In einem demokratischen Staat sollte die Meinung der Mehrheit vertreten und Minderheiten geschützt werden. Und wie könnte man besser ein Abbild einer pluralistischen Gesellschaft schaffen, als durch Reflexion ihres auf soziodemografischen Daten basierendes Selbst? Realistisch betrachtet wird unser Handeln in der Zukunft noch viel stärker durch Algorithmen bestimmt werden, als wir uns das heute vorstellen können. Es wäre also nur ein logischer Prozess, wenn die Realität der Daten zeitnah auch in die Auswahlverfahren von Parteien einziehen würde.