Eigentlich müsste das Unwort des Jahres „Populismus“ heißen, denn kaum ein anderer Begriff musste in der Öffentlichkeit für so viele unterschiedliche Situationen herhalten und wurde als Vorwurf oder Drohung verwendet, ohne dass man sich über seine Bedeutung geeinigt hätte. Einig ist sich der Qualitätsjournalismus und die liberale westliche Politik nur darüber, dass man geschlossen gegen den Populismus vorgehen müsse, weil er die Demokratie gefährde und die Gesellschaft spalte. Damit hat jedoch ein Kampf gegen Windmühlen begonnen.
Gegen den Populismus kann man nicht gewinnen, weil er nichts weiter ist, als eine Form der Kommunikation, die verschiedene Inhalte transportieren kann und mit unterschiedlichen Systemen kompatibel ist. Populismus ist keine Ideologie, er hat keinen Inhalt.
In den letzten Jahren haben jedoch liberale Mitterechts- und -linksparteien sowie zahlreiche Medien begonnen, jede Gegenposition zu ihrem Bekenntnis zum finanzgetriebenen Neoliberalismus, zur Globalisierung, zur EU und zum Sparzwang als „populistisch“ anzuprangern – unabhängig davon, ob sie von weiter links oder rechts kam. Eine Zeitlang erregten die wenigen erfolgreichen „Linkspopulisten“ wie Pablo Iglesias (Spanien), Yanis Varoufakis (Griechenland) oder auch Pepe Grillo (Italien) einiges Aufsehen. Doch bald wurden in der Mainstream-Kommunikation vor allem extremere rechte Inhalte unter dem Begriff „Populismus“ subsummiert, und dieser ganz allgemein als abwertende Zuschreibung für politische Parteien vom rechten Rand (AfD, FPÖ, FN et cetera) etabliert – auch wenn die Linke fallweise ebenfalls noch mit diesem Vorwurf belegt wird. Unter den Personen, die vor allem als Populisten bezeichnet werden, finden sich unter anderem Marine le Pen, Viktor Orban, Recep Tayyip Erdoğan und Donald Trump.
Mit dieser Verschiebung nach rechts wurde jedoch die Form über den Inhalt gestellt: Man bekämpft nicht mehr politische Forderungen oder Programme, sondern versucht, mit dem Aufschrei „Populismus“ allgemeine Bedrohungen wie die Gefährdung der Demokratie zu konstruieren und diese wie mit einem Breitbandantibiotikum zu unterdrücken.
Es weist nichts darauf hin, dass dieser Prozess das Ergebnis einer bewussten strategischen Entscheidung von Spindoctoren und Beratern der Parteien war. Vielmehr scheinen diese die Dynamik nicht zu Ende gedacht zu haben: Indem sie den Populismus grundsätzlich skandalisieren und ihn nun auch eher mit rechts in Verbindung bringen, haben sie sich selbst von der Verwendung dieses überaus wirksamen Instruments ausgeschlossen. Nun stehen sie vor der Frage, welche Alternative der politischen Kommunikation ihnen dann bleibe: Ernsthafte Grundsatzreden zur Lage der Nation? Faktenbezogene Sachlichkeit? Logische Argumente? So hat Politik doch noch nie funktioniert.
Inszenierung und Begeisterung gehören zur politischen Kommunikation dazu
Menschen wollen „Brot und Spiele“. Dieser Grundsatz der römischen Herrscher der Antike hat – auch wenn man es nicht wahrhaben möchte – auch heute noch seine psychologische Relevanz. Die modernen Wissenschaften formulieren diese bloß eleganter, indem sie von Emotionalisierung und Inszenierung sprechen. Menschen erwarten zu Recht, dass die Politik ihre Existenzgrundlage absichert und verbessert – besonders jene, die nicht von Geburt aus mit Status und Geld ausgestattet sind. Und die meisten – auch wenn das von Intellektuellen heute nicht gerne gesehen wird – möchten durch die Auftritte der Politik auch unterhalten werden. Sie begeistern sich für „Duelle“, wenn die Teilnehmer schlagfertig und unberechenbar sind, Humor beweisen und wenn es einen Sieger gibt. Das Grundbedürfnis der menschlichen Psyche nach Zugehörigkeit zu einer sinnlich wahrnehmbaren Gruppe und der Identifikation mit „Siegerfiguren“ kann nicht ungestraft vernachlässigt werden: ohne eine aufrüttelnde Erzählung keine Emotion, ohne Emotion kein Engagement.
Diese Wünsche werden allerdings von den etablierten Parteien kaum noch bedient. Die Fähigkeit dazu ist durch moralische Ansprüche an sich selbst verloren gegangen, stattdessen finden sich nahezu überall nur noch ernsthafte bis besorgte Mienen und korrekte Anzüge und Ansagen – sozusagen als Statement der Abgrenzung gegenüber dem Populismus. Nur wäre es inzwischen hoch an der Zeit einzusehen, dass diese Strategie nicht funktioniert, weil sie ganz offensichtlich einem (öffentlich geleugneten) Grundbedürfnis vieler Menschen widerspricht.
Eine mögliche Reaktion auf diese (selbstverschuldete) Zwangslage wäre, aus der Populismus-Diskussion auszusteigen und konsequent bei jeder öffentlichen Äußerung Inhalte und Form getrennt überlegen: Das heißt Erstens: Ist ersichtlich, welche Erleichterung im Alltag eine Position den Menschen bringt? (Brot) Und Zweitens: Wie sieht die Inszenierung aus, womit kann man Begeisterung erzeugen und im „Schaukampf“ gegen den politischen Gegner punkten? Wie reagiert man auf Angriffe pointiert statt beleidigt? (Spiele). Könnten sich die falschen Personen angegriffen fühlen, indem nämlich die Wähler die Aussagen als Belehrung verstehen und sich dagegen wehren? („Moralkeule“)
Anstatt große Teile der Bevölkerung aus einer privilegierten Position ständig zu be- und verurteilen und ihnen zu erklären, was sie denken und wie sie sich verhalten sollen, müssten die Proponenten deren Intelligenz und Lebenserfahrung respektieren, wahrnehmen, was sie wollen, und Lösungen anbieten, die sich an deren Realitäten orientieren. Will man nicht die eigentliche Zielgruppe der politischen Bemühungen – nämlich die Mehrheit der Wähler – zu Feinden machen, gilt es, „interkulturelle Kompetenz“ nicht nur für fremde Kulturen einzusetzen, sondern auch für Gruppierungen der eigenen Gesellschaft.