Auf der ­Suche nach der ­Partnerschaft

Studie

Mehr Vertrauen, mehr Offenheit und vor allem eine stärkere Zusammenarbeit zur Lösung der wichtigsten gesellschaftlichen und ökologischen Probleme: Das sind einige der Ansprüche, die Politik an Wirtschaft hat. So lautet das Ergebnis einer Befragung der Quadriga Hochschule Berlin unter deutschen Spitzenpolitikern. Die Teilnehmer erwarten statt „klassischem Lobbyismus“ eine neue Form der Partnerschaft. Und dafür sehen sie einige Vorbilder unter den CEOs, allen voran Joe Kaeser, den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG.

Hohe Ansprüche und enttäuschte Erwartungen

Ob Klimapolitik, Energiewende oder E-Mobilität, Digi­talisierung, Freihandel oder Finanzmarktregulierung: Die Herausforderungen nehmen ebenso zu wie die gemeinsame Verantwortung von Politik und Wirtschaft für die Ausgestaltung von Fortschritt und Wachstum. Vor diesem Hintergrund werden Spitzenpolitiker zu gesuchten Ansprechpartnern der Unternehmen – und umgekehrt: 77 Prozent der Befragungsteilnehmer sagen, dass die Kontakte von beiden Seiten gleichermaßen gesucht und angestoßen werden. Die Erwartungen an den Austausch sind hoch und werden umso häufiger enttäuscht. Die Wirtschaft solle sich auf die wichtigsten Fakten konzentrieren, präzise und knapp informieren, umfangreiche Expertise und Hintergrundmaterial zur Verfügung stellen und diese auch an die richtigen Ansprechpartner, die richtige Fachebene adressieren, so die Wünsche der Politik. Bei solchen ganz konkreten Informations- und Handlungs­aspekten scheint es aufseiten der deutschen Wirtschaft Nachholbedarf zu geben.

Am häufigsten fordern die befragten Politiker jedoch, dass die Gesprächspartner in den Unternehmen ihre wahren Interessen transparent machen. Dass verdecktes Lobbying und die Verschleierung eigentlicher Ziele einen vertrauensvollen Dialog zerstören, wird aufseiten der Politik klar erkannt und heftig kritisiert: Nur 15 Prozent der Befragten schätzen Wirtschaftsvertreter als transparent und offen ein. Zwei Drittel sehen große Defizite.

Auch bei der zweiten zentralen Anforderung klaffen Anspruch und Wahrnehmung weit auseinander: 89 Prozent der Befragten ist es wichtig, dass Unternehmen verstehen, wie es um die Agenden und Durchsetzungschancen der Politiker bestellt ist, aber nur 22 Prozent erkennen bei ihren Kontakten mit Managern tatsächlich ein Bewusstsein für politische Herausforderungen und Grenzen.

Ein Grund für die Enttäuschung kann darin liegen, dass viele Kontakte bisher von professionellen Interessenvertretern wahrgenommen werden und dass das laut Befragung nicht ausreicht. Nur 49 Prozent der Befragten finden die Kontaktintensität zu dieser Gruppe angemessen, 32 Prozent geben an, sie wünschten weniger Kontakt mit Unternehmenslobbyisten. Wirtschaftsverbände schneiden zwar etwas besser ab, tatsächlich aber wünschen sich die Politiker in unserer Studie mehr direkten Kontakt zu den Führungskräften der Unternehmen: 50 Prozent hätten gerne mehr Zugang zu den Vorständen der Großunternehmen, 64 Prozent sogar mehr direkten Austausch mit Geschäftsführern kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Hier erhofft sich die Politik also mehr Relevanz, mehr konkrete Information und weniger vermittelte oder auch bearbeitete und gefilterte Inhalte. Das ist ein Aufruf an die Führungskräfte in der Wirtschaft nach mehr Eigen­engagement, aber gleichermaßen auch an deren Interessenvertreter, sich professioneller aufzustellen.

Große Schwächen bei deutschen Führungskräften

Vermutlich resultiert der Wunsch der Politiker nach vertrauenswürdigen und verlässlichen Gesprächspartnern in der Wirtschaft aber auch aus dem hohen Lösungsdruck, dem sich Spitzen der Politik ausgesetzt sehen und für den sie die Unterstützung ihrer Gesprächspartner in den Unternehmen suchen. Dabei zeigen Spitzenpolitiker Verständnis für unternehmerische Anforderungen und können ihrerseits Wirtschaft nach unternehmerischen Erfolgskriterien beurteilen. Bei der Frage danach, was einen guten Unternehmer ausmacht, sehen sie daher Innovationsstärke als entscheidende Fähigkeit an. Für nahezu alle befragten Politiker ist ein vorbildlicher CEO oder Unternehmer immer auch ein Innovations- und Technologietreiber. Erst danach folgen Aspekte, die stärker auch der politischen Perspektive verhaftet sind, wie die Sicherung von Arbeitsplätzen, Verantwortung und Nachhaltigkeit, aber auch die Unterstützung lokaler und regionaler Entwicklung.

Interessanterweise korrespondieren die tatsächlich wahrgenommenen Stärken der deutschen Unternehmenslenker nur bedingt mit dem Anforderungsprofil der Politik. Die Befragten beurteilen nämlich die Gewinnerzielung als deren mit Abstand deutlichste Stärke (74 Prozent), gefolgt von ihrer Innovationskraft (50 Prozent) und Internationalität (37 Prozent).

Als größte Schwächen der Entscheider in den Unternehmen sehen sie deren mangelndes Verständnis für Politik (46 Prozent), die Fähigkeit zur Lösung von gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen (40 Prozent), Innovation (30 Prozent) und die regionale Entwicklung (28 Prozent). Am nächsten kommen sich Manager und Politik in der Frage der Arbeitsplatzsicherung, hier sehen die Politiker immerhin eine Stärke bei 44 Prozent der Manager.

Rollenvorbilder für eine neue Partnerschaft

Eine vertrauensvolle Partnerschaft zur Lösung gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen erfordert Transparenz, Verständnis und das Vertrauen in die gegenseitige Verlässlichkeit – allesamt persönliche Qualitäten. Sie treten an die Stelle „institutioneller“ Kontakte. Aus der Sicht der Befragten ist es dabei wichtig, dass die Topmanager die Interessen und Erfolgsvoraussetzungen ihrer Gesprächspartner in der Politik kennen und sie in Verhandlungen berücksichtigen.

Tatsächlich gibt es bereits eine Reihe von CEOs, die diesen Vorstellungen nahekommen. Vorstandsvorsitzende wie Frank Appel (DHL), Herbert Diess (VW), Timotheus Höttges (Telekom), Bill McDermott (SAP) oder Carsten Spohr (Lufthansa) erhalten von den befragten Spitzenpolitikern in verschiedenen Feldern gute und sehr gute Bewertungen. Jenseits unbestrittener Probleme in einzelnen Unternehmen haben sie sich in den Augen vieler Befragten offensichtlich als Partner etabliert, die das Interesse ihres Unternehmens und die Kooperation mit der Politik miteinander verbinden können.

Die besten Bewertungen erzielte allerdings Joe Kaeser. Der Siemens-CEO wird von der Mehrheit der befragten Politiker als Persönlichkeit geschätzt, die ein zeitgemäßes Verständnis für die gemeinsame Lösung gesellschaftlicher, ökologischer und ökonomischer Probleme aufweist, ohne die Interessen des eigenen Unternehmens zu vernachlässigen. Sie honorieren überdies sein persönliches Engagement in wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen.

Die Studie

Im Herbst 2019 hat die ­Quadriga Hochschule Berlin eine Befragung unter 118 deutschen Spitzenpolitikerinnen und -politikern aus Bund und Ländern durchgeführt. ­Dabei wurden Anforderungen an die Wirtschaft, die Bewertung des konkreten Austauschs mit der Wirtschaft, Beurteilungen von Führungskräften in der deutschen Wirtschaft allgemein und der DAX-30-CEOs erhoben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 129 – Thema: Zusammenhalt. Das Heft können Sie hier bestellen.