Dabeibleiben ist alles

Social Media

Es gibt Orte, die Zeugen von langer Vorbereitung, großer Mühe, kurzzeitiger Begeisterung und lange nachwirkender Ratlosigkeit sind. Viele Sportstätten, die eigens für Olympische Spiele errichtet wurden, sind solche Orte. Ist das olympische Feuer erloschen, werden sie oft sich selbst überlassen und verfallen. Das gilt natürlich nicht überall, aber suchen Sie doch spaßeshalber mal nach aktuellen Bildern der Olympiaparks in Rio de ­Janeiro (Olympische Spiele 2016) oder Athen (2004). Ohne zu viel zu verraten: Es sieht nicht gut aus. Als stummes Mahnmal aus Stahl und Beton zeugen die postapokalyptischen Brachen von kurzsichtigem Handeln ohne Nutzen über den Tag der Spiele hinaus.

Mit der digitalen Kommunikation im neu gewählten Bundestag verhält es sich ein bisschen so wie mit in Vergessenheit geratenen Stadien: Social-Media-Accounts, im Wahlsommer noch für zahlreiche Kandidaten der gefühlte Dreh- und Angelpunkt der eigenen Kampagne, liegen im schlimmsten Fall brach oder wurden auf ein Vorwahlkampfmaß zurückgestutzt, wie die nachfolgende Grafik der Instagram-Aktivität der Partei-Accounts von CDU, SPD, FDP und den Grünen zeigt. Politik auf Social Media, so der zwingende Eindruck, hat nach wie vor einen langen Weg vor sich.

Um das vorwegzunehmen. Es geht hier nicht um öde Pauschalkritik. Vielmehr verdeutlicht diese Grafik, dass auch zur Bundestagswahl 2021 Social Media mehr als Kampagnenwerkzeug denn als eigenständige Kommunikationsform genutzt wurde. Kanäle wie Instagram oder Tiktok bleiben zwangsläufig unter ihrem eigentlichen Potenzial, wenn die Kanalführung die Stärken der jeweiligen Plattform nicht ausspielt.

Eine Grundregel in Social Media lautet: Der Kanal bestimmt das Format. Ein Facebook-Post sieht anders aus als ein Instagram-Post. Ein erfolgreiches Youtube-­Video folgt anderen Spielregeln als ein Tiktok-Video und so weiter. Das erfordern die Sehgewohnheiten der Plattform­nutzer sowie die technische Komponente der Plattformen selbst. Es erscheint in der Nachbetrachtung der Bundestagswahl 2021 durchaus notwendig, auf diese grundsätzlichen Dinge hinzuweisen. Mit dem von Experten bereits 2017 breit proklamierten “Constant Campaigning” scheint es bei nüchterner Betrachtung nicht weit gekommen zu sein. Die Frage ist ja auch: Ist das überhaupt erstrebenswert?

Die Antwort darauf hängt maßgeblich davon ab, wie man den Campaigning-Begriff auslegt. Für ein breites Verständnis von Campaigning genügt es bereits, wenn politische Akteure fortlaufend kommunizieren. Das greift jedoch zu kurz. Es verkennt die Lebens- und Nutzungsrealität von Social-Media-Plattformen und deren Nutzern. Regelmäßigkeit ist der zweite ganz grundsätzliche Faktor für nachhaltiges Community-Building auf Social Media. Wenn diese Regelmäßigkeit nun bereits als Campaigning angesehen wird, höhlt das den Kampagnenbegriff aus und führt an der Sache vorbei.

Die regelmäßige, aktive, niedrigschwellige, persönliche Ansprache der eigenen Follower bedeutet nicht, dass man schon kampagnenfähig ist. Es ist vielmehr die Grundvoraus­setzung dafür, dass themenbezogenes Campaigning überhaupt funktionieren kann. Sich einfach nur hinzustellen und zu sagen: “Hallo, hier bin ich, nun folgt mir bitte alle und begeistert euch für meine Themen!”, führt nirgendwohin.

Dennoch setzten zur Bundestagswahl 2021 wieder zahllose Social auf genau diese Strategie. Es entstanden Profile, die eigens zu Wahlkampfzwecken eingerichtet wurden und mit dem Wahltag in Vergessenheit gerieten – und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Die nachfolgende Grafik schematisiert das typische Verhalten.

Das Geschäftigkeits-Paradox

Wahlkampagnen folgen im Idealfall einer Storyline. Sie erzählen eine persönliche Heldengeschichte. Der Held / die Heldin der Geschichte sind die Kandidierenden, die durch ihre Social-Media-Accounts allen Interessierten einen möglichst unverfälschten, persönlichen, unmittelbaren Einblick in die Binnenperspektive der Kampagne und die eigene politische Ambition ermöglichen.

“Warum du, warum jetzt?” lautet eine oft zitierte Frage. Die Antwort darauf drückt die Quint­essenz politischer Ambition aus. Alle, die sich um ein öffentliches Mandat bewerben, müssen diese Frage beantworten können. Sie ist der Startpunkt für alles Weitere, was gern abstrakt als “Strategische Kommunikation” verklausuliert angeboten oder umgesetzt wird. Für den “Helden” einer politischen Geschichte besteht die Herausforderung nun darin, die Community an seiner Reise teilhaben zu lassen. Dazu gehören Höhepunkte, aber natürlich auch Niederlagen – sowie sehr, sehr viel mehr dazwischen.

Hierbei zeigt sich ein Paradoxon: Zu welchem Anlass gepostet wird, spielt während der Planung, Gestaltung und Ausführung von Social-Media-Wahlkampagnen eine entscheidende, wenn nicht gar zentrale Rolle. Kandidaten-Teams setzen kurzfristig Himmel und Hölle in Bewegung, um vor der Wahl irgendwas mit Social Media zu machen. Das Ergebnis: Wahlkampftermine werden zumeist unbeholfen aneinandergereiht, die immer selben Motive, Perspektiven und Posen wiederholt. Hände werden demonstrativ geschüttelt, der Kandidat demonstrativ irgendwo positioniert – alles im wahrsten Wortsinn demonstrativ, also sichtlich gestellt. Das plätschert gemächlich vor sich hin, solange niemand eine spezielle Frage stellt: Wen soll das eigentlich interessieren?

Dass mit dem Wahltag die Kommunikation oft einbricht, mag der Binnenperspektive geschuldet sein, wonach die (erfolgreiche) Wahl den Höhepunkt des eigenen Wirkens darstellt. Alle anderen, die das Unterfangen von außen verfolgen, teilen vielleicht das Gefühl, dass hier ein Meilenstein erreicht wurde. Sie ziehen daraus aber nicht denselben Schluss: nämlich die Kommunikation jetzt einzustellen. Ein externer Beobachter will doch wissen, wie es nun weitergeht nach dem Wahlerfolg. Was passiert jetzt? Wie sieht es im Bundestag aus? Was passiert in den Tagen nach der Wahl? Für Politikinteressierte sind das spannende Fragen. Politiker, die im Wahlkampf die Angel nach Followern und Unterstützern ausgeworfen haben, lassen diese nach der Wahl sprichwörtlich in der Luft hängen. Das ist im besten Wortsinn bemerkenswert.

Weiter, immer weiter

Um nachhaltig über den Wahltag hinaus zu kommunizieren, muss ein Team nicht nur unterschiedliche Kommunikationsanlässe einer Wahlkampagne miteinander nachvollziehbar verknüpfen, sondern die entsprechenden Inhalte auch mindestens kanalgerecht aufbereiten. Am Ende steht im besten Fall ein Stil, der zum Mitmachen anregt und nachhaltiges Interesse und politische Unterstützung schafft. Die entscheidende Frage hierbei ist: Nehme ich meine Community wirklich ernst?

Wie so etwas funktioniert, zeigen Influencer wie Fynn Kliemann. Der zum Influencer gewordene Multiunternehmer macht genau das, was auch Politiker kommunikativ leisten könnten: Dinge unternehmen, transparent machen und darüber reden. Der springende Punkt: Kliemann geht dabei ins Risiko. Er beherzigt eine Regel für authentische Kommunikation geradezu meisterlich: Wenn das Ende einer Geschichte offen ist, entsteht Spannung. Sowohl Kliemann als auch seine Follower wissen nicht, ob eine Idee oder ein Vorhaben jemals erfolgreich sein werden. “Scheitern” ist immer eine reelle Option. Diese Kommunikation mit offenem Visier erzeugt nicht nur Spannung, sondern zwischenmenschliche Nähe und emotionale Anschlussfähigkeit.

Für die Politik bedeutet das: Bloß nicht aufhören nach der Wahl. Es gibt so viel zu erzählen: das Plenum, die Insti­tution Bundestag, die Fraktion, der Umgang mit den Kollegen, die Aufteilung zwischen Wahlkreis und Abgeordnetenbüro. Die Geschichten liegen förmlich auf der Straße und dem Flur des Paul-Löbe-Hauses. Sie werden bloß nicht erzählt. Ausnahmen bestätigen hier die Regel: Bundestags­abgeordnete wie Konstantin Kuhle und Cem Özdemir oder auch Europaparlamentarierin Delara Burkhardt haben ihre Kanäle in den vergangenen Jahren konsequent aufgebaut. Die viel beschriebene „parasoziale Nähe“, sie ist auf den Instagram-Kanälen von Kuhle, Özdemir und Burkhardt mit den Händen zu greifen. Für ihre Fraktionen sind diese Abgeordneten Glücksgriffe. Mit ihrer Person lenken sie Aufmerksamkeit auf die politische Arbeit ihrer Partei und Fraktion. Wären sie in ihrer Fraktion nicht die Ausnahme, sondern die Regel, und die Fraktion beherrschte in Gänze diese Form der modernen Kommunikation und des Community-Buildings, würde ihr Bild außen enorm an Strahlkraft gewinnen.

Die Kommunikation analytisch optimieren

Eine Community aufzubauen ist ein zartes Pflänzchen zu gießen. Das vielschichtige Unterfangen erfordert einen langen Atem und wird nur erreicht, wenn es planvoll und sorgfältig verfolgt wird. Es braucht dazu mehr von den Dingen, die funktionieren, und weniger davon, was nicht funktioniert. Daten können dabei helfen, die Schwachpunkte der eigenen Kommunikation zu ermitteln. Ein eigens dafür entwickeltes Analyseverfahren erfasst die notwendigen Profildaten und wertet sie statistisch aus. Die damit gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen den nachhaltigen Aufbau einer Community. Daten quantifizieren nicht nur das eigene Bauchgefühl, sondern optimieren die Kommunikation insgesamt. Das P&I-Analytics-Modell kann so zum Beispiel fraktionsübergreifend Social-­Media-Profile auswerten. Die daraus gewonnenen Informationen lassen sich in regelmäßigen Abständen zur Fortentwicklung der Kommunikations- und Kampagnenfähigkeit der einzelnen Abgeordneten einsetzen.

Ob mit Daten oder ohne: Auf lange Sicht werden Personalisierung und – wenn man so will – politisches Story­telling die Strategie in der sinnvollen, aktivierenden Social-Media-Kommunikation dominieren. Nur wer den Dreiklang aus Regelmäßigkeit, Unmittelbarkeit und Personalisierung beherrscht, hat eine Chance, den heiligen Gral der digitalen politischen Kommunikation zu finden: die Fremdzuschreibung von Authentizität und die damit einhergehende Bestätigung einer aktiven, engagierten und im besten Wortsinne beflügelnden Community. Und vielleicht als zusätzliche Motivation ganz zum Schluss: Als Cem Özdemir am 24. September 2017 erneut in den Bundestag gewählt wurde, freuten sich gut 7.000 Follower darüber. 2021 waren es über 70.000.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 137 – Thema: Die neue Mitte?. Das Heft können Sie hier bestellen.