Politisches Online-Targeting wird auf sozialen Netzwerkenplattformen heute weltweit von Parteien und Kandidaten im Wahlkampf eingesetzt. Gleichzeitig steht der Einsatz im Mittelpunkt von Debatten. Werden Wähler manipuliert und Demokratien bedroht? Die Bedenken fußen allerdings größtenteils auf reißerischen Mediengeschichten, wie russische Trollfabriken politisches Online-Targeting in Desinformationskampagnen einsetzen. Auch die Wahlkampagnen von Donald Trump und die „Vote Leave“-Kampagne im Vorfeld des Brexit-Referendums werden gerne porträtiert. Darüber hinaus ist wenig bekannt über den Einsatz von politischem Online-Targeting, zumal in anderen Ländern.
Unsere Studien zur Bundestagswahl 2021 geben einen ersten Einblick, wie Parteien in Deutschland das Online-Targeting auf Facebook nutzen. Was sagen die Ergebnisse? Sind die Bedenken gegenüber politischem Online-Targeting begründet – oder nicht?
Politisches Online-Targeting auf sozialen Netzwerkplattformen spricht Wähler individuell an. Parteien greifen dazu auf Daten, Technologien und Datenanalysen zurück, um strategisch wichtige Wähler auf den Plattformen zu identifizieren und sie mit personalisierten Werbeanzeigen anzusprechen. Dieser Strategie liegt die Idee zugrunde, dass Wähler durch eine direkte Ansprache besser beeinflusst werden können, wenn die Botschaften auf die Einstellungen, Interessen oder Verhaltensweisen der Empfänger abgestimmt sind.
Facebook hat Targeting revolutioniert
Für das politische Online-Targeting eignet sich insbesondere Facebook: Das soziale Netzwerk in vielen Ländern von den meisten Menschen genutzt. Dazu können Kampagnen auf eine beispiellose Menge an Nutzerdaten und die ausgeklügelten Targeting-Optionen der Plattform zurückgreifen. In einem ersten Schritt machen sich Kampagnen zunächst ein Bild über strategisch wichtige Wähler(-gruppen) auf der Plattform, indem sie Wahl- und Wählerdaten analysieren. In einem zweiten Schritt schicken sie auf Facebook Werbeanzeigen an die identifizierten Nutzer(-gruppen) mithilfe von drei unterschiedlichen Targeting-Möglichkeiten:
- Mit Core Audiences kann man Zielgruppen auf Basis von über 1000 vordefinierten Kategorien auswählen. Diese basieren einerseits auf den freiwilligen Angaben, die Nutzer bei der Anmeldung auf Facebook eingetragen haben (u. a. Alter, Beziehungsstatus, Ausbildung, Wohnort, E-Mail-Adresse) und andererseits auf den digitalen Spuren, die sie hinterlassen: etwa, wie sie mit Inhalten, Seiten und anderen Nutzern auf Facebook interagieren und wie ihr generelles Nutzerverhalten im Netz aussieht.
- Durch Custom Audiences werden Werbeanzeigen gezielt an Personen auf Facebook geschickt, die bereits Interesse an der Kampagne oder der Partei gezeigt haben. Dafür werden Personen auf Facebook ausfindig gemacht, die bei Newsletter-Anmeldungen oder Haustürbesuchen ihre E-Mail-Adresse preisgeben. Außerdem können Kampagnen auf Facebook Besucher der eigenen Internetseiten wiedererkennen, indem dort Facebooks Tracking-Software (Facebook-Pixel) platziert wird.
- Schließlich wählen Kampagnen sogenannte Lookalike Audiences aus, um Werbeanzeigen an Nutzer zu schicken, die ähnliche Interessen, Verhaltensweisen oder Eigenschaften wie eine bereits existierende Zielgruppe aufweisen (zum Beispiel eine Custom Audience oder die Abonnenten von Facebook-Seiten). Für diese Option sucht Facebook nach „Zwillingen“ auf der Plattform, die in ihren soziodemografischen Informationen sowie Interessen- oder Verhaltensmerkmalen der bereits bekannten Zielgruppe ähneln.
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Das Facebook-Targeting fußt auf dem algorithmenbasierten Werbemodell der Plattform. Das unterscheidet sich fundamental von denen traditioneller Medien: Facebook führt sogenannte Werbeauktionen für jeden Anzeigenplatz in den News Feeds der Nutzer durch, um – abhängig vom ausgewählten Budget und Werbeziel (Bekanntheit, Abwägung, Konversion) – die relevanteste Werbeanzeige für einen gewissen Zeitpunkt zu bestimmen. Der Gewinner einer Auktion wird ermittelt, indem für jede Werbeanzeige ein statistischer Gesamtwert berechnet wird. Dabei schätzen maschinelle Lernmodelle die Wahrscheinlichkeit ein, dass eine Zielperson das vom Werbetreibenden ausgewählte Ziel erfüllt. Andererseits ermitteln sie einen Wert für die Qualität der Werbeanzeige aus inhaltlichen Faktoren – dazu zählen stilistische Merkmale oder die Textmenge im Anzeigenbild. Alles in allem hat Facebook die politische Werbelandschaft insbesondere im Bereich des Targetings revolutioniert.
Kein Kanal wie jeder andere
In Deutschland herrschen länderspezifische Rahmenbedingungen für Wahlkämpfe. Sie beeinflussen, wie deutsche Parteien politisches Online-Targeting einsetzen können: Mehrparteiendemokratie, Wahlsystem, Datenschutzgesetze, Regeln für politische Werbung und Parteiressourcen, aber auch individuelles Know-How oder persönliche Überzeugungen von Wahlkampfstrategen sorgen dafür, dass Targeting eher traditionell eingesetzt wird.
Insgesamt kauften die deutschen Parteien 4.770 Facebook-Werbeanzeigen in den letzten vier Wochen des Bundestagswahlkampfs 2021. Dabei gaben CDU, SPD, Die Grünen und FDP das meiste Geld aus. AfD, Die Linke und CSU wendeten dagegen ein sehr geringes Budget auf. Die Parteien setzten die Werbeanzeigen vor allem zu bestimmten Zeitpunkten im Wahlkampf ein: Früh im Wahlkampf warben etwa sie für die Briefwahl, thematisierten die TV-Debatten an oder versuchten in der Schlussphase des Wahlkampfs, in bestimmten Wahlkreisen zu mobilisieren. Eine Ausnahme davon bildet die FDP. Die Liberalen schalteten kontinuierlich sehr viele Werbeanzeigen und gaben dabei mit durchschnittlich 99 Euro sehr geringe Geldbeträge aus. Das deutet auf eine sehr feingliedrige Zielgruppenansprache hin, die sich auszahlt: denn die Werbeanzeigen der FDP erhalten von allen Parteien am meisten Impressions pro eingesetztem Euro. Eine ausgeklügelte Werbestrategie kann offenbar den Vorsprung ausgleichen, den große Parteien durch ihre üppigen Werbebudgets genießen.
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Beim Targeting setzten alle Parteien vor allem auf Core Audiences. Sie konzentrierten sich hierbei auf basale soziodemografische und geografische Zielgruppen. Während die Grünen (mehrheitlich junge Frauen), SPD (junge Männer und ältere Frauen) und Die Linke (jüngere Frauen und ältere Männer) ihre Werbeanzeigen insgesamt an ein diverses Publikum ausspielten, fokussierten sich die anderen Parteien – insbesondere die AfD und CDU – auf Männer jeden Alters. Besonders spannend ist das geografische Facebook-Targeting der Parteien bei der Bundestagswahl 2021: Hier überließen die Parteien das Targeting der Nutzer in den fünf ostdeutschen Bundesländern fast ausschließlich der AfD und der Linken. Des Weiteren greifen alle Parteien auf Lookalike Audiences zurück. Hier suchten sie nach „digitalen Zwillingen“ von bekannten Zielgruppen wie etwa Nutzern, die Facebook-Seiten der Parteien folgen. Custom Audiences wurden aufgrund von Datenschutzbedenken gegenüber dem Upload von Wählerdaten nur mit expliziter Zustimmung der Betroffenen eingesetzt, die sie geben, wenn sie sich zum Beispiel bei einem Newsletter oder einer Unterstützerkampagne anmelden.
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Letztlich untermauern auch die inhaltlichen Kommunikationsstrategien: Online-Targeting auf Facebook wird in Deutschland nach traditionellem Schema eingesetzt. Die Werbeanzeigen befassten sich vor allem mit den parteieigenen Themenschwerpunkten. Die CDU gab mehrheitlich Geld für Werbeanzeigen mit Wirtschaftsthemen aus und SPD und Die Linke warben mit Sozialpolitik. Der Einsatz von Negative Campaigning fiel je nach Partei unterschiedlich aus und folgte traditionellen Mustern: Während Regierungsparteien eher positiv ihre Leistungsbilanz in der Facebook-Werbung herausstellten, gaben Oppositionsparteien mehrheitlich Geld für Werbeanzeigen mit Kritik an der Regierung und ihrer Politik aus. Facebook-Werbeanzeigen mit Desinformationen schaltete nur die AfD. Ihre Falschinformationen zu den Themen Corona und Briefwahl hat Facebook aufgrund des Verstoßes gegen die Werberichtlinien jedoch verboten.
Bei der Europawahl 2019 fielen die deutschen Parteien dagegen im Vergleich zu anderen Ländern mit aufwändigeren und teureren Werbekampagnen auf Facebook auf. So spielten deutsche Parteien die meisten Werbeanzeigen aus, investierten das größte Budget in Facebook-Werbung und griffen auf komplexere Targeting-Optionen zurück.
Alles gut – oder nicht?
Die Bedenken, dass mithilfe von Online-Targeting in Deutschland Wähler manipuliert und die Demokratie bedroht werden, können durch die Ergebnisse unserer Studie, die wir in Zusammenarbeit mit dem Team von Dr. Jörg Haßler (LMU München) durchgeführt haben,,größtenteils entkräftet werden. Sie deuten darauf hin, dass deutsche Parteien eher auf gruppenbezogene Werbestrategien zurückgreifen und nicht das vielbeschworene Microtargeting betreiben (können). Dennoch zeigen unsere Ergebnisse, dass Wähler beim Facebook-Targeting systematisch ausgeschlossen oder mit negativen Inhalten versorgt werden. Insbesondere hindern deutsche Wahlkampf- und Datenschutzgesetze sowie geringe monetäre oder personelle Ressourcen einen ausgeklügelten und hochpersonalisierten Einsatz von Online-Targeting durch die Parteien.
Dennoch müssen wir die Nutzung von politischem Online-Targeting auf sozialen Netzwerkplattformen weiter im Auge behalten. Angetrieben von den Regulierungsmaßnahmen bemühen sich die Plattformen, die Anzeigen automatisiert und unabhängig vom Input der Werbetreibenden auszuliefern. Das hat Auswirkungen auf ihre Rolle für politische Werbung in der Zukunft. Denn politische Parteien laufen Gefahr, noch mehr Kommunikationsmacht an die Plattformen abzugeben und sich die Regeln von ihnen diktieren zu lassen. Die Parteien müssen sich also fragen, ob sie Tausende von Euros für Werbung bezahlen und sich bei der Ausspielung blind auf die Werbeversprechen und undurchsichtigen Algorithmen der Plattformen verlassen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 140 – Thema: Anspruchsvoll. Das Heft können Sie hier bestellen.