Unsere Zeit ist von einer Kombination aus komplexen Problemen gekennzeichnet. Um diese mehrdimensionalen Herausforderungen wie den Klimawandel zu meistern, braucht es dringlicher denn je eine strategische, offene und partizipative Kommunikation seitens der Politik. Es braucht den mutigen, interdisziplinären und überregionalen Austausch, damit technologische und soziale Innovationen zustande kommen können.
Über 75 Prozent aller Bürger Europas wohnen in urbanen Regionen. Den Städten fällt bei der Erreichung des europäischen Green Deals eine besondere Bedeutung zu: Bis 2030 will die EU über 100 europäische Städte dabei unterstützen, sich in klimaneutrale Modellregionen zu verwandeln. Dieser Beitrag widmet sich den auf der Weltklimakonferenz in Glasgow vorgestellten Projekten und geht der Frage nach: Welche Rolle nimmt die Kommunikation dabei ein?
Humble Leadership und interdisziplinärer Austausch zunehmend wichtig
Gerade weil die Zeit drängt, müssen Akteure parallel mehrere Aspekte des städtischen Lebens überdenken. Es braucht eine kollaborative Vorgehensweise, die auch einen Paradigmenwechsel im Führungsstil erfordert. Denn es reicht nicht mehr aus, eine Richtung und Vision vorzugeben. Sie muss von anderen verstanden, akzeptiert und in Form von konkreten Handlungen weitergetragen werden.
Was Politikern helfen kann, ist die Anwendung des sogenannten Humble-Leadership-Prinzips, wie es beispielsweise die finnische Regierung in Helsinki im „Steering 2020“-Projekt“ vorlebt: Für politische Führungskräfte gilt es, bei allen Vorhaben eine gewisse Demut und damit verbundene Offenheit an den Tag zu legen – denn gerade beim Thema Klimaneutralität kann der Einzelne nicht alles wissen. Deshalb müssen sich Führungskräfte trauen, Sätze wie „ich kenne die Antwort noch nicht“ zu nutzen, so die Stadträtin von Glasgow, Anna Richardson, auf der COP26. Sie müssen sich trauen, andere Bereiche zu konsultieren. Relevante Stakeholder, darunter Bürger, Unternehmen, Organisationen oder Behörden, sind von Beginn an zu involvieren.
Formate zur Visionsfindung
Für die Visionsfindung und zur Zusammenarbeit in komplexen sozialen Systemen bieten sich verschiedene Workshop-Formate an. Zunächst sollte darin der Frage nachgegangen werden: Wie soll unsere Zukunft auf städtischer oder regionaler Ebene aussehen? Kommunikative Tools können bei diesen Workshops zum Einsatz kommen, zum Beispiel ein gemeinsamer Mindmapping-Prozess oder die Anwendung anderer visueller Frameworks, beispielsweise das Aufzeichnen möglicher Zukunftsszenarien und Kausalitäten. Die niederländische NGO Chora Foundation, ein Netzwerk von internationalen Experten und strategischen Designerinnen, bietet zahlreiche Ansätze zur kollaborativen Problemlösungsfindung an.
Auch direkte Interviews können hilfreich sein: 2019 führte der Vizebürgermeister der Stadt Rotterdam, Arno Bonte, über 100 Gespräche mit Vertretern von Unternehmen, Bürgern, NGOs und Startups. Aus diesen Diskussionen formulierte die Stadt dann das Rotterdam Climate Agreement, in dem sich die Stadt verpflichtet die CO2-Emissionen innerhalb von 10 Jahren um 50 Prozent zu reduzieren und so zur klimafreundlichsten Hafenstadt der Welt zu werden.
Unabhängig vom Format der Visionsfindung müssen verschiedene Zielgruppen und Altersklassen strategisch mitgedacht werden: Wer wird von dem Projekt am ehesten betroffen sein? Im Fall der klimafreundlichen Zukunft ist es die jüngere Generation, die auch die „Fridays for Future“–Bewegung mitbestimmt. Auf der COP26 stellte Jürgen Czernohorszky, Stadtrat in Wien, sein experimentelles Projekt vor: Mit der Initiative „Werkstadt Junges Wien“ möchte er 22.000 Kinder und Jugendliche in die Entscheidungsfindung einbeziehen und eine langfristige Strategie für die Klimazukunft der Stadt entwickeln.
Ein weiteres Beispiel zum interdisziplinären Austausch bietet die belgische Stadt Leuven: Mit dem Projekt „Leuven 2030“ hat die Politik es geschafft, im partnerschaftlichen Netzwerk ihren Zielen näher zu kommen.
Übersetzung der Vision in konkrete Roadmap mit Maßnahmen
Juha Leppänen ist Initiatorin eines Thinktank-Formats „Demos Helsinki“: Es geht in den Treffen um den Austausch von Ideen, die später in eine Roadmap mit konkreten Handlungsschritten übersetzt werden. Eine solche Roadmap ist existenziell für das Gelingen von Change-Projekten. Darin sollte aufgezeigt werden, welche Ziele gesteckt wurden und welche konkreten Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele notwendig sind. Zudem beinhaltet sie einen Zeitplan.
Experimentelle Pilotphasen
Maßnahmen sollten zunächst in kleinerem Maßstab ausprobiert werden, wie auch die Stadt Madrid zeigt: Dort wird politische Innovation zunächst in Teilen der Stadt durchgeführt, ehe diese in die Breite getragen und flächendeckend ausgerollt werden. Mithilfe einer sogenannten „regulatory sandbox“, einem Testraum, in dem technologische Innovationen unter besonderen flexiblen Regeln erprobt werden können, unterstützt die Stadt die klimafreundlichen Innovationen.
Omnipräsenz durch Kommunikation
Damit Maßnahmen und Ziele von allen richtig verstanden werden, braucht es Kommunikation. Es liegt auf der Hand, dass Maßnahmen dort kommuniziert werden, wo sie wahrgenommen werden sollen. Für Städte bedeutet das, dass die vereinbarten Maßnahmen auch im öffentlichen Raum omnipräsent sein müssen. Sie sollten allen zur Verfügung gestellt werden – auch denjenigen, die keine Zeit oder keine technische Möglichkeit haben, aktiv nach beispielsweise lokalen Internetseiten zu suchen. Ähnlich wie die Stadt Amsterdam mit ihrer „IAmsterdam“-Kampagne vorgeht, könnten auch die gesetzten Ziele zur Klimaneutralität im öffentlichen Raum auffindbar sein. Erst wenn alle wissen und verstanden haben, was die städtischen Ziele sind, können sie zur Erreichung beitragen. Die Stadt Glasgow gibt mit ihrem „2030 net zero climate action plan“ ein Beispiel, wie ein entsprechender Kommunikationsplan aussehen kann.
Es braucht Projektverantwortliche
Alle in diesem Beitrag vorgestellten Projekte vereint, dass es stets eine designierte Person gibt, die die Abläufe steuert und für die Kommunikation verantwortlich ist. Wenn Kommunikation effizient gelingen soll, ist sie nicht als Nebentätigkeit zu bewältigen. Es braucht passionierte Politiker, die fortlaufend den Austausch mit den Bürgern ihrer Stadt suchen und die kollaborative Meinungsbildung und Entscheidungsfindung vorantreiben.
Gleichzeitig ist die Erreichung der Klimaneutralität eine Aufgabe aller und kann nicht nur Einzelpersonen überlassen werden. Ich beobachte gespannt, welche Projekte und Innovationen es in der Zukunft noch geben wird und welche kommunikativen Maßnahmen sie begleiten werden. Sicher ist: Für eine gemeinsame Lösungsfindung ist der kommunikative Austausch zwischen Führungskräften und Stakeholdern unumgänglich. Workshops und andere partizipatorische Formate ermöglichen den fachübergreifenden Austausch – und das bereits zum Zeitpunkt der Ideengenerierung und Visionsfindung. Was wir jetzt brauchen, ist nichts Geringeres als ein Umdenken – auch im Führungsstil, denn alleine lässt sich das Klimaproblem nicht lösen. Es wird weiterhin übergreifende Netzwerke und Konferenzen geben müssen, die den Diskurs fördern. Es wird allgemein mehr Kommunikation geben müssen, damit das Thema Klimaschutz und die konkreten Maßnahmen im Bewusstsein der Menschen bleiben.