Verbindlichkeit im Netz

Meinung

Wir leben in einer neuartigen Kommunikationsrealität. Wir alle nutzen Medien und Kommunikationsgeräte heute anders. Wir informieren uns auf verschiedenen Wegen und bündeln die Informationen nach individuellen Präferenzen. Auch unsere Informationen über die Politik konsumieren wir unterschiedlich. Gerade mit Blick auf die jüngere Generation hat sich ein neues Verständnis von und ein veränderter Anspruch an die politische Kommunikation entwickelt.

Ein Beispiel ist das allgemeine Informationszugangsrecht. Dieses Recht räumt Bürgern den Zugang zu Informationen und Unterlagen von Behörden in Deutschland ein. Viele Menschen machen über die sozialen Medien von diesem Recht Gebrauch und nutzen sie als direkten Draht zur Politik. Nicht wenige Forschende, Politikerinnen und Journalisten aber beschreiben unser Zeitalter in diesem Zusammenhang als postfaktisch, weil sich gerade in den sozialen Medien Fake News, gefährliche Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien Gehör verschaffen.

Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung

An den heimischen Rechnern haben alle eine Stimme und potenziell die Chance gehört zu werden – auch von der Politik. Angetrieben vom hehren Ziel der Aufklärung muss man dabei ernüchternd feststellen, dass sogar Teile der Medien als vermittelnde Instanz zwischen Politik und Bürgerinnen ihre Neutralität an die Wirkmechanismen dieser neuen Kommunikationstechnologien verloren haben. Es scheint ganz so, als zählten reißerische Überschriften heute mehr als die vernunftgeleitete Aufklärung über aktuelle Themen und die Vermittlung von politischen und gesellschaftlich relevanten Informationen ­– faktenbasiert und am Wert der Wahrheit orientiert. Und so wächst in dieser Melange aus den vielen Wahrheiten des Internets die Verantwortung politischer Kommunikatoren.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sieht im gegenwärtigen Medienumbruch einen noch unverstandenen und in seiner Dimension kaum entzifferten Bildungsauftrag. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, reiche es nicht aus, allein am Individuum anzusetzen. Es sei notwendig, die Player der öffentlichen Welt zu involvieren, den Einzelnen mit seinem Netzzugang ebenso wie Journalisten und diejenigen, die Informations- und Meinungsströme lenken. Ich frage mich, was in der Zwischenzeit geschieht. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Radikalität der sozialen Medien, bis Pörksens Utopie der redaktionellen Gesellschaft Realität geworden ist?

Löschen, blockieren, ausblenden — aber was ist mit der Meinungsfreiheit?

Die Filterblasen sozialer Medien nutzen negative Emotionen, um die Menschen zu amüsieren, sie zu beschäftigen und auch um sie aufzuwiegeln. Ein konstruktiver Austausch über das Politische — zumal, wenn sie von Regierungen angestoßen werden — scheint unmöglich: „Die da oben sind ja schließlich der Feind und machen ohnehin, was sie wollen.“

Die Kommunikation von Staat und Regierung in den sozialen Medien ist schon längere Zeit Gegenstand von Debatten. Und vom Datenschutz einmal abgesehen, geht es dabei immer auch um die Frage der Verantwortung, die Politik für das gesellschaftliche Klima hat und — diese Frage muss gestellt werden — auch welche Rechte. Wenn die Verantwortung politischer Kommunikatoren steigt, dann braucht es umgekehrt verbindliche Regeln, wie diese Verantwortung wahrgenommen werden kann.

Die Demokratie in unserem Land schützt ausdrücklich die Meinungsfreiheit. Das ist gut und daran darf kein Zweifel erhoben werden. Und ja, diese Meinungsfreiheit gilt auch im Internet. Doch wo sind die Grenzen dieser Freiheit und wie geht man als Behörde mit Kommentaren um, die vermeintlich zu weit gehen? Drohungen, Gewaltaufrufe, Beleidigungen — sie überschreiten eine Grenze und haben manchmal sogar strafrechtliche Relevanz. Solche Kommentare müssen gelöscht werden. Aber eine Strafe auf Fake News gibt es nicht. Behörden haben keine Handhabe, um Nutzende sinnvoll und legitimiert zu sanktionieren, die sich nicht an die Regeln der Kommunikation halten oder wissentlich Falschinformationen verbreiten. Sie zu blockieren, hieße jedoch, Bürgerinnen ihrem durch die Verfassung garantierten Recht auf Teilhabe am politischen Diskus zu berauben. Gleichzeitig kann es allerdings nicht sinnvoll sein, dass Regierungsseiten Plattformen für Unwahrheiten und Verschwörungstheorien werden. Individuell geschriebene Netiquetten oder Kommunikationsregeln sind am Ende zwar gut gemeint, aber eben kein juristisch bindendes Regelwerk.

Es braucht politische Lösungen

Die Fraktionen von CDU, Grünen und FDP im Wiesbadener Landtag fordern in diesem Zusammenhang Respekt und ein entschlossenes Eintreten gegen Gewalt in der Zivilgesellschaft. In einem gemeinsamen Antrag äußerten sich die Fraktionen besorgt darüber, dass insbesondere in den sozialen Medien Hass und Hetze, Beleidigungen und Gewaltandrohungen zunehmende Phänomene seien. Dies habe zu einer Verrohung in Teilen der Gesellschaft geführt. Sichtbare Vertreter des Staates seien häufig als Erstes von Gewalt betroffen. Dies sei eine Gefahr für die Demokratie. Nach dem Willen der genannten Fraktionen brauche es deshalb eine konsequente Verfolgung und Ahndung von Beleidigungen, Hetze und Gewalt mit allen Mitteln des Rechtsstaats.

Fazit – und warum Aufgeben keine Option ist

Recht haben Sie, die genannten Fraktionen. Aber aus meiner Sicht braucht es noch mehr: Es braucht darüber hinaus verbindliche Regeln für alle Nutzende, die in der digitalen Welt und im Speziellen in den sozialen Medien unterwegs sind. Vorhandene Gesetzeslücken bei der strafbewehrten Betrachtung der Verbreitung von Fake News müssen geschlossen werden.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Löschung von Hassrede in den sozialen Medien in diesem Jahr war deshalb wichtig für diese Debatte. Der Gerichtshof räumte Facebook darin das Recht ein, Hasskommentare löschen zu dürfen, jedoch müssten die jeweiligen Personen zunächst darüber informiert und angehört werden. Das ist ein wichtiges Urteil, denn die Plattformbetreibenden müssen ihre gesellschaftliche Verantwortung endlich wahrnehmen.

Gleichzeitig braucht es rechtliche Regelungen, die diese Verantwortung lenken. Es darf nicht in der Entscheidungsmacht von Kommunikationskonzernen liegen, wer das Recht hat, sich öffentlich zu äußern – geschweige denn, was gesagt wird. In einer Demokratie bestimmt noch immer der Gesetzgeber über die basalen Strukturen des Miteinanders, nicht Unternehmen und auch keine Regierungsmitarbeitenden in den Behörden. Willkür darf auch in der Kommunikation keine Option sein.

Mit Mut zu neuen Regelungen und Kontrollen

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass sich Bürgerinnen aktiv über die Regierungskanäle in den sozialen Medien informieren und Informationen aus erster politischer Hand wünschen. Gut ist: Man braucht soziale Medien auch heute nicht zwingend, um sich politisch zu informieren und eine Meinung bilden zu können. Aber wahr ist eben auch, dass sie vielfach genau dazu genutzt werden. Sie gehören, ob man das begrüßt oder nicht, zur Kommunikationsrealität dazu. Würden solchen Plattformen nun entfallen, wie etwa vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit mit Verweis auf datenschutzrechtliche Bedenken angekündigt, käme dies nach meinem Dafürhalten der Beschränkung eines zeitgemäß ausgelegten Informationszugangsrechts gleich.

Machen wir uns nichts vor: Regierungen müssen ihre Entscheidungen heutzutage nicht nur begründen, sondern dauerhaft erklären und um Vertrauen in der Bevölkerung werben. Dazu können digitale Kommunikationskanäle beitragen. Ich möchte sogar behaupten, dass sie dafür ein ganz wesentliches Instrument sind. Es wäre daher der falsche Weg, sich von den gängigen Plattformen zu verabschieden. Was es braucht ist Mut – Mut, auch als Politik neue Kommunikationswege und -technologien auszuprobieren und die dafür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Es geht dabei um das Anerkennen einer modernen Medienrealität und darum, Plattform-Monopolist zur Übernahme ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu verpflichten. Ich schließe mit Bernhard Pörksen, der sich dabei für eine Art Plattformrat ausspricht: Plattform-Monopolisten müssten sich darin detaillierte Richtlinie geben und diese müssten der öffentlichen Diskussion zugänglich sein. Ich glaube, dass dies ein gangbarer Weg von Politik und Zivilgesellschaft sein könnte, um die Vorteile neuer Kommunikationstechnologien gewinnbringend nutzen zu können.