„Und dann habe ich besonders an die jungen Leute gedacht“

Interview mit Uwe Dorendorf

Herr Dorendorf, Sie sind ein Schnellstarter, denn bereits ihr drittes TikTok-Video vom 9. Juli 2021 erreichte mit 2.3 Millionen Aufrufen eine sensationelle Resonanz. Hand aufs Herz: Wie viele Takes braucht Uwe Dorendorf für ein TikTok?

Das ist ganz unterschiedlich. In den meisten Fällen ist es so, dass es beim ersten Take passt. Die sind dann auch am natürlichsten. Das war auch bei meinem ersten sehr erfolgreichen Video „Zum Weglaufen“ im Juli 2021 so. Wir waren gerade im Landtag, als uns unser Generalsekretär Sebastian Lechner mit den Worten „Mensch Uwe, wir müssen auch mal ein TikTok drehen“ begegnete. Dabei fiel mir ein, dass wir noch eine gute Idee für ein Video parat hatten, das wir dann auch direkt gedreht haben. Dieses Video wurde mehr als zwei Millionen Mal aufgerufen. Im Nachgang habe ich mit meinem Berater besprochen, dass wir öfter spontan Videos aufnehmen sollten, weil wir mit ihm auf diesem Video die 2-Millionen-Schallmauer durchbrechen konnten.

Das Internet ist kein Neuland für Sie. Wie entstand die Idee, speziell auf Social Media aktiv zu werden?

Die Idee hat ihren Ursprung im Ärgernis über Pressemitteilungen. Es kommt vor, dass man 20 Pressemitteilungen rausschickt, aber nur zwei werden veröffentlicht – und die sind dann auch noch so stark gekürzt, dass ich sie gar nicht mehr veröffentlicht haben will, weil oft gar nicht mehr meine Meinung und mein Hauptanliegen abgebildet werden. Das hat mich maßlos geärgert und somit habe ich angefangen, Alternativen zu suchen. Damals hat man immer so nach Donald Trump geschaut, weil der ja unheimlich viele Leute bei Social Media erreichte, also vor allem Twitter. Und da habe ich gedacht „Mensch, vielleicht können wir etwas Ähnliches machen“. Und dann habe ich besonders an die jungen Leute gedacht. Ich bin viel in der Feuerwehr, Fußball- und anderen Vereinen unterwegs. Und die erreiche ich durch einen Zeitungsartikel sowieso nicht. Dabei ist dies eine Zielgruppe, die man als Politiker nicht unterschätzen sollte. Viele junge Menschen sind politisch interessiert, aber werden von den klassischen Medien nicht angesprochen. Also habe ich mich gefragt, wie kann ich die erreichen? Doch nur über die Medien, die sie selbstständig bespielen.

Chronologisch betrachtet haben Sie nach Facebook und Instagram eben auch TikTok erobert, sind mittlerweile Deutschlands erfolgreichster Politiker auf der Plattform. Wie kam es dazu, wie erklären Sie sich das?

TikTok war eigentlich noch nicht so mein Ding anfangs. Ich habe von meiner Tochter schon immer mal was davon gehört. Aber dann kam mein Berater auf die Idee, auch einfach mal was auf TikTok zu machen. TikTok passt gut zu spontanen Ideen, da es so eine Sache ist, wo man nicht so tiefgreifend reingeht und polarisieren ist da auch angesagt. Und dann haben wir das mal probiert und das lief dann auch gleich besser, als ich es gedacht hätte. Wir hatten zuerst zwei Fachthemen, die zusammen auf 140.000 Aufrufe kamen. Hörte sich für uns damals schon nach viel an. Aber da muss ich ganz ehrlich sagen, das bezog sich regional begrenzt auf Lüchow-Dannenberg und Breitband. Die Resonanz der Leute war vor allem unter Schülern aus dem Gymnasium Lüchow und Schülern aus der KGS kooperative Gesamtschule in Clenze enorm. Die Schüler haben sich über das Video unterhalten und über besseres Breitband gefreut, weil hier nach langer Dürre nun 96 Prozent Abdeckung im ganzen Landkreis vorherrscht. Da haben wir uns gefreut, auch Menschen hier aus unserer Heimatregion damit zu erreichen.

Die meisten TikToks entstehen in einem Take, folgen allerdings einem Redaktionsplan. Bild: Screenshot TikTok Uwe Dorendorf
Die meisten TikToks entstehen in einem Take folgen allerdings einem Redaktionsplan Bild Screenshot TikTok Uwe Dorendorf

 

Wie läuft bei Ihnen die Ideenfindung? Und damit verbunden die Kernfrage: Wie viel Uwe Dorendorf steckt in den Clips?

Viele Ideen kommen natürlich von meinem Berater, er ist 22 Jahre jung und einfach in der Materie tiefer drin. Aber dann gibt es auch meine ganz persönlichen Themen-Specials wie Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Ihn nehme ich mir besonders gerne vor. Das schließt aber auch nicht aus, dass ich es aufgreife, wenn er auch einmal richtig gute Aussagen trifft und einmal richtig Tacheles spricht.

Herr Hofreiter von den Grünen ist also Ihre ganz spezielle Content-Quelle?

Kann man so sagen. Ich wollte auch Frieden schließen mit ihm bei der Bundespräsidentenwahl in Berlin, aber der war nur oben auf der Tribüne. Da bin ich immer wieder hochgelaufen, doch habe ihn dann nie angetroffen. Das ist dreimal passiert, da war ich so kaputt, weil das immer drei Stockwerke waren. Bis ich hinterher erfahren habe, dass er hinten ein Büro hat. Er ging einfach nur auf der Ebene ein bisschen weiter und war dann schnell wieder im Büro. Ich wollte ihm sagen, dass ich das auch ein bisschen schade finde, dass er bei der Ämtervergabe unberücksichtigt blieb.

Stichwort Sticheleien: Muss Content immer polarisieren?

Naja, die Frage ist, was will man damit erreichen? Wozu will ich TikTok benutzen? Wenn ich also ausführlich irgendwelche fachlichen Dinge rüberbringe, dann brauche ich das nicht bei TikTok zu machen. Das hatte ich ja anfangs gemacht, und die ersten zwei Videos hatten 240.000 Aufrufe. Aber das tangiert keinen auf TikTok. Dazu bediene ich deshalb andere Medien wie Instagram, Facebook usw. Aber TikTok ist an sich polarisierend. Und die Grünen sind meine Lieblingspartei in dem Fall, weil sie auch so widersprüchlich in vielen Dingen sind. Da will ich jetzt gar nicht ausführlich politisch werden. Ohne Polarisierung kommt man auch nicht auf diese Zahlen, die uns ja so ein bisschen Recht geben. Insofern ist TikTok eigentlich dafür da, Spaß zu haben und andere auf die Schippe zu nehmen und auch sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.

Welches Pensum legt Ihr TikTok-Team so an den Tag? Wie viele Clips werden produziert? Gibt es einen Contentplan? Oder läuft alles vorrangig spontan ab?

Basis ist ein Contentplan. Aber das ist so wie beim Essen. Ich bin ein guter Esser, ein Genießer. Und wenn ich jeden Tag ein Steak esse, dann mag ich Steak am Ende der Woche nicht mehr so gerne. Für uns hat TikTok große Bedeutung. Es soll nicht beliebig werden. Nicht jeden Tag was raushauen auf gut Glück. Vielmehr lassen wir auch eine gewisse Zeit ins Land gehen, damit die Videos, die wir produziert haben, auch optimal wirken können. Es gibt auch andere wie mein Kollege Markus Söder, der liefert jeden Tag TikToks. Aber die Kapazitäten haben wir gar nicht, dazu braucht es ein professionelles Team. Mein Berater und ich machen das ja allein als Duo. Am Rande: Ich freue mich schon, mit Herrn Söder zusammen im Sommer ein TikTok-Video in München zu machen. Das wird spannend.

Dass Herr Söder viel mehr Beiträge liefert, hat allerdings nicht zur Folge, auch höhere Aufrufzahlen pro Video zu erzielen, wie wir festgestellt haben!

Ja, er hat zwar viel mehr Beiträge als wir, aber die liegen stets so zwischen 600 und 800.000 Aufrufe. Wir haben sogar 3 Millionen Aufrufe erreicht mit dem Video, dass die deutsche Nationalhymne zum Thema hat.

Was wissen Sie über Ihre Zielgruppe? Wer folgt Ihnen?

Die 16 bis 22-Jährigen bilden den Kern unserer Zielgruppe. Davon kommen sechs Prozent aus Österreich und zwei Prozent aus der Schweiz.

Uwe Dorendorf wird von einem Mitarbeiter unterstützt, der auf TikTok recherchiert, welcher Content produziert werden sollte. Bild: Screenshot TikTok Uwe Dorendorf
Uwe Dorendorf wird von einem Mitarbeiter unterstützt der auf TikTok recherchiert welcher Content produziert werden sollte Bild Screenshot TikTok Uwe Dorendorf

 

Sie haben etwa 100.000 Follower auf TikTok, denken Sie, Ihre Reichweite wird konkreten Einfluss auf Ihr Ergebnis bei der Landtagswahl 2022 nehmen?  

Das wird eine Menge Einfluss haben. Das belegen auch meine persönlichen Erfahrungen wie (das oben erwähnte/Anm. d. Red.) Beispiel mit dem Abiturienten, der wegen eines Selfies anreiste. Anderes Beispiel: Ein Sportfest in meiner Wahlkreisheimat, das ich mit meinen Mitarbeitern an einem Samstagnachmittag besuchte, lieferte auch einen Nachweis, als an einer großen Bierbude aus einer Menschentraube von 18- und 25-Jährigen einer 1. Herrenmannschaft Rufe ertönten wie „Ey, TikTok-Star“. Im Dialog mit den jungen Leuten kam mir dann zu Ohren, dass sie unseren TikTok-Content regelmäßig verfolgen und Spaß daran haben. Der Clou daran: Die hätte ich doch nie über die Zeitung erreicht. Niemals. Und viele gehen auch gar nicht wählen hier in den Landkreisen Lüneburg und Lüchow-Dannenberg. Wenn die sagen „den Dorendorf finde ich witzig und was er hier so bei TikTok macht“ – dann ist das gut, weil ich die Youngster da erreiche. Aber unabhängig davon wollen wir erst mal nur informieren und dabei auch Spaß haben. Da könnte ich jetzt noch viele weitere Beispiele aus meinem Alltag anführen, ob beim Spargelkaufen in Neetze oder dem Besuch der VGH in Hannover, ganz oft werde ich direkt an verschiedensten Orten auf meine TikTok-Aktivitäten angesprochen. Alles Bestätigungen, wahrgenommen zu werden als Politiker via TikTok.

Planen Sie eventuell noch eine besondere Wahlkampfaktion?

Durchaus, und zwar in der Wahlkampfzeit im August ist ein Wochenend-Camp angedacht mit Followern und Menschen, die uns wohlgesonnen sind. Haustürwahlkampf, richtig Party machen, mit Essen und Trinken gratis, Übernachtungen etc. Auf die Resonanz bin ich gespannt. Ich rechne mit etwa 120 Leuten. Das wird sicherlich witzig werden.

Und die machen dann mit beim Haustürwahlkampf?

Ja, auch von der Jungen Union erwarte ich viele. Die werden alle eingekleidet und dann gehen die von Tür zu Tür und klingeln. Das ist unser tägliches Brot. Wer das nicht macht, hat verloren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil man sonst gar nicht wahrgenommen wird. Aber wenn man dann mal da war und mit den Leuten gesprochen hat, ist es eine runde Sache. Und wir merken an der Tür schnell, ob Interesse oder Ablehnung herrscht. Aber wir wollen ja erfahren, welche Themen und Probleme akut sind. Wie können wir helfen, was können wir einbinden in unsere Politik? Das treibt uns an.

Eine Frage brennt mir noch unter den Nägeln: der eingangs erwähnte geplante Besuch bei Söder für eine gemeinsame TikTok-Contentproduktion. Das finde ich spannend. Das soll im Juni stattfinden?

Ja, zumindest haben wir das terminlich so ins Auge gefasst. Söders Social-Media-Team war auch auf Anhieb bei unserem Anruf bereit dazu, weil die natürlich unsere TikTok-Aktivitäten wahrgenommen haben. Unsere Idee ist es, trotz Söders vollem Terminkalender, ihn persönlich im Rahmen der Plenumssitzungen als Ministerpräsident anzutreffen. Die Junge Union Bayerns wollen wir auch noch dazu holen.

Das Interview führten Julia Peckmann und Friedhelm Mienert von Web-Netz