So moderiert man Widerstand bei Großprojekten

Public Affairs

Die Bahn ist das Verkehrsmittel der Zukunft. Eine Mobilitätswende gelingt nur mit einer starken Schiene. Und der Koalitionsvertrag sichert, dass jetzt erstmals mehr Geld in die Schiene fließt als in die Straße – gute Botschaften für unser Land. Bei der Deutschen Bahn spüren wir den Rückenwind und wissen zugleich: Verkehrsverlagerung auf die Schiene und pünktliche Züge erfordern deutlich mehr Kapazität in der Infrastruktur. Heute rollt 80 Prozent mehr Güterverkehr und 60 Prozent mehr Personenverkehr auf dem deutschen Netz als vor der Bahnreform 1994. Mehr Kapazität heißt: gewaltig neu bauen, stetig ausbauen, Stück für Stück digitalisieren. In jedem Falle bringt das insbesondere bei großen Vorhaben auch große Veränderungen für die Menschen mit sich.

Bei einer Großbaustelle im Raum Nürnberg geht es um eine ganze Menge. Schon die nackten Zahlen des neuen ICE-Instandhaltungswerks beeindrucken: 400 Millionen Euro Investitionen, 450 neue Arbeitsplätze, höchste technische Standards. Für die Region bedeutet das die Aussicht auf zukunftsfeste Jobs bei einem Großkonzern und starke Signale an die regionale Wirtschaft und das Handwerk. 70 Standorte nahmen die Experten anfangs bei der Suche in die Vorauswahl. Die Zahl hat sich nach intensiven Prüfungen auf später neun und mittlerweile drei reduziert. Die DB hat jetzt fristgerecht die Unterlagen – über 2000 Seiten, wie bei solchen Projekten erforderlich – zum Raumordnungsverfahren eingereicht.

Dann scheint ja alles glattzulaufen. Doch so einfach ist es nicht. Zwar ist das Verfahren auf den Weg gebracht, aber die Kontroversen und Diskussionen im öffentlichen Raum und auf politischem Parkett halten an.

Es sei „wie verhext“, schreiben die „Nürnberger Nachrichten“: „Alle wollen das Werk, aber keiner will es vor seiner Haustür.“ „Willkommen im Land der Nein-Sager“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“ schon vor Monaten zum gleichen Thema. Was treibt die Menschen um?
Sie befürchten Lärm beim Bau und späteren Betrieb, beklagen Eingriffe in Waldflächen und bayerische Staatsforste. Sie fragen, ob das Werk nicht besser in der Nachbargemeinde gebaut werden könne. Die Gemengelage ist nicht einfach, die unterschiedlichen Standpunkte und Einwürfe sind – in den meisten Fällen jedenfalls – nachvollziehbar.

Trotzdem muss die Bahn ihre Infrastruktur überall massiv ausbauen, denn sie ist das Verkehrsmittel der Zukunft. Eine Mobilitätswende gelingt nur mit einer starken Schiene. Der Koalitionsvertrag sichert, dass jetzt erstmals mehr Geld in die Schiene fließt als in die Straße. Bei der Deutschen Bahn spüren wir den Rückenwind und wissen zugleich: Verkehrsverlagerung auf die Schiene und pünktliche Züge erfordern deutlich mehr Kapazität. Heute rollt 80 Prozent mehr Güterverkehr und 60 Prozent mehr Personenverkehr auf dem deutschen Netz als vor der Bahnreform 1994. Mehr Kapazität heißt: gewaltig neu bauen, ausbauen, digitalisieren. In jedem Falle bringt das insbesondere bei großen Vorhaben auch große Veränderungen für die betroffenen Menschen mit sich. Deshalb haben wir Strategien entwickelt, sie bei den Projekten mitzunehmen.

Wir haben Grundsätze

Das neue Werk Nürnberg ist nur eines von zahlreichen Vorhaben dieser Größenordnung. Insgesamt plant und baut die DB derzeit 190 Großprojekte: von der Schienenanbindung der Festen Fehmarnbeltquerung im Norden über den Ausbau der Verbindung zwischen Hannover und Bielefeld, die neue Verbindung zwischen Dresden und Prag, die zweite Stammstrecke in München bis zur Neubautrasse zwischen Karlsruhe und Basel. Neue ICE-Werke planen wir für Cottbus und Dortmund – hier wiederum begleitet mit großer Vorfreude und hohem Engagement aus Politik und Wirtschaft statt Widerstand.

Wenn ein Großprojekt gebaut werden soll, ist der Wunsch nach Mitsprache und Beteiligung der Menschen heute größer als vor Jahren. Mehr Transparenz und ein größeres Mobilisierungspotenzial generieren sich schon über die sozialen Medien. Eine neue Protestkultur speist sich aus Sorge um den Umgang mit der Umwelt, mit Kosten oder Risiken. All das ist nachvollziehbar und richtig in einer funktionierenden Demokratie.

Wie also nimmt man die Menschen mit? Wie nimmt man Ängste? Wie schafft man Verständnis und am Ende Akzeptanz?

Wie die Bürgerschaft zu be­teiligen ist, hat der Gesetzgeber nie geregelt. Es gibt kein Patentrezept, das einfach anzuwenden wäre. Aber wir haben Grundsätze, die wir bei jedem dieser Projekte anlegen und die sich in der Praxis bewähren.

  • Zuoberst steht: Transparenz in der Projektkommunikation – und das von Anfang an.
  • Wir treten mit einem klaren Kommunikationskonzept an.
  • Das umfasst ein großes Portfolio von Instrumenten zur Unterstützung. Es reicht von echten und virtuellen Diskussionsplattformen als Angebot für die Interessierten und Betroffenen über Info-Pavillons vor Ort bis hin zu authentischen und deshalb überzeugenden Erklärern in der Sache.

Beispiel Hannover–Bielefeld: Im November 2020 gab es den Planungsstart für das Vorhaben, das einmal die Fahrzeit zwischen Berlin und Düsseldorf um 40 Minuten absenken wird und 300 Stundenkilometer zulässt. Dafür untersuchen wir alle denkbaren Optionen: den Bestandsausbau, Kombinationen mit Neubauabschnitten und die Korridore für Neubaustrecken. Von Anfang an saßen die Bürger mit am Tisch unser Planungsteams. Hannover–Bielefeld ist das erste Projekt, bei dem wir Corona-bedingt den Bürgerdialog rein virtuell gestartet haben – mit großem Erfolg: 2.800 Menschen nahmen an der Auftaktveranstaltung teil!

Dass frühzeitige Einbindung elementar ist, zeigt auch das Beispiel Brenner-Nordzulauf: Hier haben wir bislang 350 Dialogtermine organisiert, in denen wir rund 110 unterschiedliche Trassenideen der Stakeholder diskutiert haben. Im Freistaat Bayern laufen derzeit die Planungen für die Trasse zum Brenner, die als wichtige Achse für den Schienengüterverkehr die heutigen Lkw-Kolonnen über den Brenner entlasten soll.

Dialogformate mit neutraler Moderation

Beispiel „Kurve Kassel“: Im Raum Kassel gibt es eine Strecke, auf der Güterzüge der West-Ost-Relation heute noch umständlich wenden müssen, um nach Norden zu fahren – das kostet pro Zug 45 Minuten. Eine direkte Verbindungskurve mit fünf Kilometern Länge soll künftig dafür sorgen, dass dies künftig schneller und effektiver geht. Durch den neuen Laufweg kann die DB zugleich Engpässe um Hannover und Magdeburg auflösen.

Von Beginn an hat die DB die Anwohner über das Bauvorhaben informiert. Das war 2019. Seitdem haben sich in der Region fünf Bürgerinitiativen gebildet, die von den jeweiligen Varianten direkt betroffen wären. Es gibt den Runden Tisch, ein regelmäßiges Dialogformat, zu dem die DB einen geschlossenen Kreis von Teilnehmern einlädt: Bürgerinitiativen, Bürgermeister, Naturschutzverbände und Fahrgastverbände, um nur einige zu nennen. Ein neutraler Moderator führt durch die digitalen Veranstaltungen und reduziert Konflikte und Spannungen.

Aus diesen Runden nimmt sich die DB regelmäßig Nachfragen mit, die nicht ad hoc beantwortet werden können – allein nach der Auftaktveranstaltung zu Hannover–Bielefeld waren es über 160 Stück. Das kostet Zeit und ist mitunter mühevoll, aber das stete Nachlegen muss sein. Denn grundsätzlich gilt auch hier: Am Ende zählt die Lösung.

Was hilft: Bei der digitalen Bürgerbeteiligung können wir oft schon auf die Visualisierung mit 3-D-Modellen setzen. Das beschleunigt Abstimmungsprozesse mit Aufgabenträgern und den Trägern öffentlicher Belange, wie Denkmalschutz und Kommunen. Wenn wir alle Beteiligten früh an einen Tisch holen, sparen wir uns Verfahren oder Einsprüche im weiteren Projektverlauf. Dank dieser Möglichkeiten und dem neuen Gesetz zur Planungsbeschleunigung werden wir Großprojekte künftig um rund 25 Prozent schneller als bisher umsetzen.

Auch zu den täglichen Baustellen holen sich viele Menschen Informationen – insbesondere über digitale Newsletter und Abos zu Baustelleninformationen. Unter bauprojekte.deutschebahn.com haben sich allein 2021 fast eine Million Interessierte die für sie relevanten Bau-Informationen geordert. Über ein Formular können sie ein Abonnement für eine oder mehrere Adressen abschließen. Sobald eine Baustelle im Umkreis dieser Adressen geplant ist, werden die Betroffenen per E-Mail benachrichtigt. Um alle Zielgruppen zu erreichen, informieren wir nach wie vor auch analog: So erreichten im vergangenen Jahr mehr als 3,8 Millionen Briefe Anwohner, um sie über Baustellen zu unterrichten.

Kampagne „Neues Netz für Deutschland“

In den richtig großen Vorhaben wie Stuttgart 21, der Schienenanbindung Fehmarnbeltquerung oder bei der zweiten Stammstrecke für die S-Bahn München steuern eigene Büros die Kommunikation. Die Kollegen begleiten das Management bei der Arbeit, kommunizieren Projektfortschritte, informieren auf rund 35 eigenen Projektwebseiten und beantworten Fragen der Medien.
In dieser Funktion treten sie oft auch vor die TV-Kameras und geben Interviews im Radio. Das tun sie als Kommunikationsprofis und das gehört zweifelsfrei zur Jobbeschreibung. Aber auch viele unserer Projektmanager glänzen hier. Manche sind von Haus aus talentiert, ihre Baustelle so überzeugend zu erklären und wenn nötig zu verteidigen, wie das kein Pressesprecher kann. Andere sind nach ein paar Stunden Medientraining fit für ein Statement vor der Kamera.

In der klassischen Kommunikation begleiten wir unsere großen und kleinen Baustellen mit überregionalen und noch mehr regionalen Presseinformationen. 2021 haben wir allein 1.200 Presseanfragen beantwortet und zu knapp 100 Presseterminen eingeladen – oft auch ­virtuell.

2022 gehen wir in der Kommunikation zum Bauen bei der Bahn ganz neue Wege. Die Offensive „Neues Netz für Deutschland“ mit rund 170 Milliarden Euro Invest­volumen in die Schiene bis 2030 begleiten wir mit einer neuen Kampagne gleichen Namens. Sie wird die Fortschritte visualisieren, transparent machen und informieren. Ganz nebenbei lösen wir damit den bisherigen Baubotschafter der Bahn „Max Maulwurf“ ab.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Allein die Kommunikation kann kein Projekt retten. Sie kann aber mit Transparenz und Ehrlichkeit, strategisch geplant und frühzeitig eingesetzt, einen wesentlichen Teil zum Erfolg beitragen. Professionelle Projektkommunikation hat auf jeden Fall einen großen und positiven Einfluss auf den Verlauf, wichtig ist die Kommunikation mit den direkten ­Stakeholdern.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 138 – Thema: Rising Stars. Das Heft können Sie hier bestellen.