Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich digitalen Fortschritt und eine bessere digitale Infrastruktur, vor allem beim Breitbandausbau, aber auch beim Mobilfunk. Gleichzeitig fühlten sich mehr als 40 Prozent der Bevölkerung über Mobilfunkausbau und 5G nicht gut informiert, selbst wenn sie Fortschritt im Prinzip begrüßten. Bei etwa einem Drittel der Befragten in Deutschland bestand Unsicherheit darüber, wie Mobilfunk auf den menschlichen Organismus, auf Tiere und Pflanzen wirkt, und ob mit steigenden Mobilfunkgenerationen und höheren Frequenzbereichen nicht auch die Strahlungsintensität und damit die Schädlichkeit der elektromagnetischen Felder zunähme.
Das sind die Ergebnisse der Analysen, die wir im Rahmen der Dialoginitiative „Deutschland spricht über 5G“ durchgeführt haben. Als Rahmenvertragsagentur des Bundesministeriums für Digitalisierung und Verkehr (BMDV, damals BMVI) übernahmen wir von Scholz & Friends Agenda den Auftrag und ich die Projektleitung. Mein Team und ich haben seither viel über Mobilfunk, aber noch viel mehr über Politikverdrossenheit und die Verbindung zwischen Technikängsten und Misstrauen in Institutionen gelernt.
Klar war: Mit einer Kampagne, die die neuen Möglichkeiten des 5G-Mobilfunk schlicht feiern würde, werden Unsicherheiten nicht aus der Welt geräumt. Um die Unschädlichkeit des Mobilfunks zu verstehen, braucht es verlässliche Informationen und Hintergründe. Die liefern die zuständigen Institutionen. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) – seit Beginn Teil der Kampagne – greift auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurück und äußert sich sehr klar: Die einzige erwiesene Wirkung von Mobilfunkstrahlung ist eine geringfügige Wärmestrahlung, die keine Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Zudem gelten in Deutschland strenge Strahlengrenzwerte, die in der Praxis nie erreicht werden. Selbst in Großstädten mit bester 5G-Abdeckung wird maximal ein Zehntel der erlaubten Strahlung erreicht. Im ländlichen Raum sind die Immissionen noch weiter vom Grenzwert entfernt. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) vergibt für jeden Mobilfunkmast, genauer für jede Basisstation, eine Standortbescheinigung, die sicherstellt, dass die gesamte installierte Antennentechnik die Grenzwerte nicht überschreitet.
Trotzdem glauben etliche Menschen, dass Mobilfunk gefährlich oder gesundheitsschädigend sei. Ihr Misstrauen ist so groß, dass sie die Glaubwürdigkeit der demokratischen und wissenschaftlichen Institutionen anzweifeln.
Den richtigen Umgang finden
Nach unserer Analyse haben wir gemeinsam mit den beteiligten Ressorts der Bundesregierung die Ziele und Inhalte für die Dialoginitiative entwickelt. Neben den genannten nachgeordneten Behörden und Bundesämtern (BfS, BNetzA) und dem BMDV gehören auch das Bundesumweltministerium, das Bundeskanzleramt und das Bundespresseamt zum Entscheidungsgremium von „Deutschland spricht über 5G“.
Dann brach die Corona-Pandemie aus. Damit konnten Bürgerdialoge erst einmal nicht stattfinden. Wir nutzten die Zeit und etablierten zahlreiche digitale Dialogangebote: eine umfassende Informations- und Dialogwebsite mit einem direkt nutzbaren Dialogforum, in dem Stand heute etwa 700 Beiträge beantwortet wurden, sowie hoch frequentierte Social-Media-Kanäle mit Millionenreichweite, auf denen täglich zwei Mitarbeitende im Community Management tätig sind. Der Anteil an verunsicherten und wütenden Beiträgen auf den Kanälen ist groß. Besonders auf Facebook gibt es viele kritische Kommentare und Desinformation zu Mobilfunk und zur Mobilfunkstrategie der Bundesregierung. Community Manager klären daher täglich auf, entmystifizieren – und löschen demokratiefeindliche Falschbehauptungen.
Außerdem erreichen unser Dialogbüro Anfragen per E-Mail und per Telefon. Speziell am Telefon nehmen sich geschulte und erfahrene Mitarbeitende viel Zeit für ihr Gegenüber. Nicht selten dauert ein Telefonat eine Stunde, in der wir uns die Bedenken der betroffenen Menschen anhören und Desinformationen über schädigende Mobilfunkwirkungen fundiert entgegentreten. Gelegentlich werden uns auch 5G-Verschwörungmythen dargelegt, etwa über die Totalüberwachung des Staates, die durch 5G ermöglicht würde. Es wäre vermessen zu behaupten, dass alle Menschen am Telefon überzeugt werden könnten. Aber der Dialog „mit echten Menschen“, – wir werden tatsächlich manchmal gefragt, ob wir Bots sind, – hilft vielen, die Perspektive zu wechseln und wieder mehr Vertrauen in die Institutionen zu gewinnen.
Im Sommer 2021 waren die ersten Bürgerdialoge vor Ort möglich. Die ersten Anfragen erreichten uns aus Großstädten, aber sehr schnell kam die Mehrzahl der Unterstützungsanfragen von Bürgermeistern und Gemeindevorsteherinnen aus ländlichen Regionen, etwa aus Schleswig-Holstein, Sachsen und Rheinland-Pfalz. Mittlerweile sind wir in besonderem Maße in Bayern und Baden-Württemberg unterwegs. Hier befinden sich die Hotspots der Mobilfunkskeptiker, oft bilden sich Bürgerinitiativen. Unsere Formate helfen, die Situation vor Ort zu entspannen: Wir unterstützen bei rein digitalen Formaten, bieten hybride Veranstaltungen oder reine Präsenzveranstaltungen an. Bei hybriden Bürgerdialogen moderiert unser Team vor Ort an der Seite der politisch Verantwortlichen und die Fachleute des Kompetenzzentrums Elektromagnetische Felder (KEMF) am Bundesamt für Strahlenschutz werden für Gesundheitsfragen zugeschaltet. Die Präsenzveranstaltungen können im Format eines Worldcafés oder als Infomarkt mit Dialogstationen aufgebaut werden. In allen Formaten kann die Bevölkerung vor Ort teilnehmen, direkt Fragen stellen und auch miteinander diskutieren.
False Balance moderieren
In den Bürgerdialogen erleben wir in der Mehrzahl interessierte, aufgeschlossene Menschen. Einige sind jedoch sehr aufgebracht und sammeln sich vor und in der Veranstaltung zur Abwehr eines konkreten Bauvorhabens. Der Unmut entsteht vor allem in den Kommunen, in denen sich die Bevölkerung nicht ausreichend in die Entscheidung für den Mobilfunkmast an einem festgelegten Standort eingebunden und informiert fühlt. Ein Bürger aus Süddeutschland sagte uns sinngemäß: Hier wird über jede Parkbank abgestimmt, aber über den Mobilfunkmast direkt am Ortsrand haben wir aus dem Amtsblatt erfahren.
Die Anfrage ans Dialogbüro entsteht nicht selten aus einer Situation heraus, in der sich bereits Widerstand entwickelt hat, wo Bürgerinitiativen bereits Mobilfunkskeptiker zu einer Bürgerversammlung einladen, um vor der Dorfgemeinschaft einen Vortrag über die Risiken des Mobilfunks zu halten. Als Gegengewicht wird die Dialoginitiative angerufen. Wir übernehmen die Aufgabe, kurzfristig eine vollständige und wissenschaftlich fundierte Besetzung der Veranstaltung zu organisieren. Konkret fragen wir die Fachleute des KEMF an und wir bitten den zuständigen Regionalmanager des Mobilfunknetzbetreibers am Bürgerdialog teilzunehmen, um Standortfragen und Planungszeitpunkte zu klären. Die Moderation übernehmen wir selbst.
Was bleibt, ist das Problem der False Balance. Es ist eine besondere Herausforderung, die Fachleute der Institutionen und die selbsternannten „Mobilfunkexperten“ anzumoderieren. Erstere befassen sich als Physikerinnen und Biologen täglich intensiv mit dem Thema Elektromagnetische Felder (EMF), die anderen genießen das Vertrauen ihrer kleinen, aber wortstarken Anhängerschaft. Selten genügt es, die Fachleute des KEMF detailliert mit ihrer einschlägigen Expertise vorzustellen und dem selten fachbezogenen Background der selbsternannten Experten gegenüberzustellen. Oftmals wird den Institutionen, Bundesämtern, der Dialoginitiative und der gesamten Politik unterstellt, von Mobilfunknetzbetreibern und der Wirtschaft „gekauft“ zu sein.
Wir begegnen oft stark misstrauischen Bürgern, die den Behörden Korruption vorwerfen und Verschwörungsmythen glauben. Einige wollen die Bühne vor Ort nutzen, um weitere Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Die meisten, so unser Eindruck, wollen aber vor allem gehört werden und sich mitteilen. Wenn sich das Bild sortiert hat, kommen häufig die eigentlichen Sorgen zur Sprache: Angst vor den Folgen der Digitalisierung auf das eigene Leben, auf das der Kinder, auf die Umwelt. Die Angst vor mehr Fortschritt und Veränderung, vor einer technisierten Welt, die man nicht mehr versteht. Über diese tieferliegenden Ängste kommen wir wieder ins Gespräch. Zukunftsängste sind grundsätzlich verständlich. Die Debatte darüber ist berechtigt und sehr wichtig, um die Menschen mitzunehmen und sie nicht an Feinde der Demokratie zu verlieren. Manchmal gelingt es uns an diesem Punkt zu verdeutlichen, dass die Gruppe der Mobilfunkbefürworter und die Gruppe der Mobilfunkskeptiker die ein oder andere Zukunftssorge miteinander teilen – dass aber die Angst vor Mobilfunkstrahlung als Gesundheitsgefahr unbegründet ist. Bei den Allermeistern kommt diese Botschaft an.
Warum lohnt sich der Aufwand?
Bürgerdialoge sind für das Vorankommen des Mobilfunkausbaus aus mehreren Gründen sinnvoll. Der wichtigste Aspekt ist, die politisch Verantwortlichen vor Ort mit vertrauenswürdigen Informationen zu versorgen und ihnen den Rücken zu stärken. Sie selbst sind häufig unschlüssig und können Fragen zum Gesundheitsschutz nicht ausreichend beantworten. Bürgerinnen und Bürger können Gesundheitsfragen an echte Fachleute richten, statt sich Halbwissen aus dem Internet anzueignen. Das trägt maßgeblich zur Beruhigung und Aufklärung von Missverständnissen bei. Es hilft auch ungemein, wenn der zuständige Mobilfunknetzbetreiber mit den Menschen in den Austausch tritt. Die Erläuterung, warum ein bestimmter Standort funktechnisch geeigneter ist als ein anderer, hat oftmals die Kehrtwende gebracht. Das Dialogangebot der Bundesregierung wird angenommen, auch von sehr entschiedenen Mobilfunkgegnern. Selbst wenn aus ihnen keine Mobilfunk-Befürworter werden, kommt es zum Austausch über Themen, die die Menschen bedrücken und enttäuschen. Im Bürgerdialog zu hören und zu erleben, dass andere Nachbarn oder die jüngere Generation im Ort weniger angstvoll auf den digitalen Fortschritt schauen, erreicht auch die Skeptischen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 140 – Thema: Anspruchsvoll. Das Heft können Sie hier bestellen.