Den Knall nicht gehört

Sicherheitsdiskurs

Deutschland diskutiert über Sicherheit. Leider geht es nicht um langfristige Strategien, wie Deutschland außen- und sicherheitspolitische Führung übernehmen will. Es geht um die Petition einer Feministin und einer Kommunistin, für deren Unterzeichnung ein AfD-Mann wirbt. Eine explosive Mischung, die sich medial entsprechend entlädt. Die „FAZ“ spricht von „Propaganda-Hilfe für Putin“, der „Tagesspiegel“ von „Missachtung der Ukrainer“ und selbst in Franz Josef Wagners „Bild“-Kolumne bekommen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht (Linke) ordentlich ihr Fett weg. Dass jenes „Manifest für Frieden“ aber einen solchen medialen Wirbel verursacht, zeigt: Wir sind in Deutschland bereit, nicht mehr nur über Frieden, sondern auch über Krieg zu diskutieren – und all das, was dazugehört. Lange sah das ganz anders aus.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind keine Bomben mehr auf Deutschland gefallen. Gab es doch Krieg, war er meist weit weg oder es fühlte sich so an. Die räumliche Distanz schuf eine emotionale und Betroffenheitsdistanz. Lange tat sich die deutsche Öffentlichkeit deswegen schwer, über Sinn und Zweck militärischer Macht zu sprechen. Dass die Auswirkungen von Krieg auch uns in Europa, in Deutschland berühren können, wurde schlicht vergessen oder gar ignoriert.

Die Bundeswehr wurde sträflich vernachlässigt. Eine deutsche Führungsrolle suchte man vergeblich und auf EU-Ebene wurde mehr geschaut als gestaltet. Dass Deutschland im militärischen Bereich eine besonders sensible Vergangenheit hat, liegt auf der Hand. Das aber als Argument für heutige Ambitionslosigkeit und Ignoranz heranzuziehen, ist zu wenig. Denn spätestens seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar: Wir leben in globalen Abhängigkeiten und spüren deren Folgen: Energiepreise, Flüchtlingszahlen. Von der moralischen Verantwortung ganz zu schweigen.

Lass mal die anderen machen

Die verschämte politische Kommunikation unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat einen großen Anteil an dieser deutschen „Lass mal die anderen machen“-Mentalität. Brauchen wir die Bundeswehr wirklich für mehr als Katastrophenhilfe? Wofür kämpfen wir? Was sind deutsche Interessen? Warum muss getan werden, was getan werden muss?

Ein Beispiel macht es deutlich: Die Bundeswehr wird fast ausschließlich über ihre Auslandseinsätze wahrgenommen, auch wenn sie während der Coronapandemie auch im Inland half. Afghanistan, Mali, Mittelmeer. Aber die Bundeswehr hat als Verteidigungsarmee vor allem den Auftrag, Deutschland zu verteidigen. Warum sie dazu teils fernab unserer Grenzen stationiert ist, erschließt sich vielen nicht. Denn dass wir, unsere Werte und unsere Interessen auch weit entfernt von Deutschland angegriffen werden können, wird schlicht nicht deutlich kommuniziert.

Schlimmer noch: Kommen diese Teilaspekte doch in die öffentliche Diskussion, werden sie niedergemacht. Die Waffenlieferungen in die Ukraine ermöglichen es einem europäischen Land, sich selbst gegen die Vernichtung und europäische Werte gegen ein diktatorisches Regime zu verteidigen. In der Petition der beiden selbsternannten Friedens-Frauen werden sie hingegen als „Eskalation” verunglimpft. Erinnert sei auch an Altbundespräsident Horst Köhler. Als er 2010 davon sprach, dass zur Wahrung deutscher Interessen notfalls auch Waffengewalt eingesetzt werden müsse, etwa um freie Handelswege zu sichern oder regionale Instabilitäten zu verhindern, wurde er derart attackiert, dass er sich zum Rücktritt gezwungen sah.

Das ambivalente Verhältnis der Deutschen zur Bundeswehr wird durch Zahlen bestätigt. In einer Umfrage des Verteidigungsministeriums gab die Mehrheit der Befragten 2020 an, die Bundeswehr zu unterstützen, wenn es darum ginge, außenpolitische Ziele zu erreichen. Bei Kampfeinsätzen bröckelt selbst 2022 noch die Zustimmung weg. Das wird zum Problem, wenn politische Interessen ohne Kampfeinsätze nicht verteidigt werden können. Die Hälfte der Befragten fühlte sich zudem nicht ausreichend über Bundeswehreinsätze informiert.

Ohne eine klare und einordnende Kommunikation über die Ziele und Maßnahmen der Bundeswehr kann sich das nicht ändern. Das beginnt bei den Begriffen: In einem Land, das die Bundeswehr überhaupt nur zur Verteidigung und Stabilitätssicherung einsetzen darf und in dem ein tiefes Sicherheitsbedürfnis besteht, gehören genau diese Begriffe – Verteidigung und Sicherheit – in den Mittelpunkt der Kommunikation. Dafür müssen sie in Redebeiträgen im Bundestag, in Leitartikeln und im Alltagsgespräch definiert und diskutiert werden.

Mehr Relevanz geht kaum

Die Begriffe „Verteidigung“ und „Sicherheit“ haben für das Leben der deutschen Bevölkerung eine greifbare, große Relevanz. Das herauszuarbeiten ist Aufgabe derjenigen, die entsprechende Entscheidungen treffen, kommunizieren und kommentieren. Einen Versuch wagte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck, als er 2002 im Bundestag davon sprach, dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde. Eine ernsthafte Debatte entstand daraus nicht. Im Gegenteil: Die Worte wurden entweder belächelt oder man erging sich in Nebensächlichkeiten.
Dabei leuchtet eigentlich ein, dass es bei dieser Thematik um elementarste Aspekte geht wie Leben, Überleben und die Schutzfunktion des Staates. Mehr Relevanz geht kaum. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Punkte so selten im Vordergrund stehen, wenn über Bundeswehreinsätze oder Waffenlieferungen gesprochen wird. Ist erst einmal klar, warum uns ein bestimmtes Ereignis auch am anderen Ende der Welt betrifft, wird deutlich, warum der Bundestag die Bundeswehr weltweit zur Landesverteidigung einsetzt oder durch Waffenlieferungen – selbst in ein Kriegsgebiet – auch unsere Sicherheit verteidigt wird. Rein rational.

Gleichzeitig braucht es für ein breites Verständnis in der Bevölkerung mehr als nur sauber abgeleitete Gedankengänge und Handlungsempfehlungen. Gerade bei einem Thema, das die Bedingungen unserer Freiheit und unseres Lebens so elementar berührt. Militärisches Engagement muss eingerahmt werden von einem „Purpose“, der darüber hinausgeht. Die Kommunikationsforscher Andreas Schuck und Claes de Vreese haben dabei zwei Deutungsrahmen erkannt: Der „Risk-Frame“stellt die negativen Ergebnisse und Risiken in den Vordergrund. Der „Opportunity-Frame“ zeigt dagegen die möglichen positiven Effekte eines Auslandseinsatzes oder der Ertüchtigung von Verbündeten und Angegriffenen auf.

German Angst

Welchen Frame wir „German Angst“-geplagten Deutschen bevorzugen, dürfte nicht überraschen. Natürlich geht es nicht darum, kritische Stimmen zu diskreditieren. Ebenso wichtig sollte es aber sein, auch in den deutschen Leitmedien die Chancen zu sehen, die sich durch militärisches Engagement ergeben können – hier in Deutschland, aber auch am Ort des Konflikts. Einen zaghaften Versuch dazu gab es beispielsweise in der Berichterstattung über den Afghanistan-Einsatz immer wieder, wenn betont wurde, dass durch die deutsche Militärpräsenz mehr Mädchen zur Schule gehen können. Ein richtiges Argument, bei dem aber oft versäumt wurde, den Bogen nach Deutschland zu spannen oder diese positive Entwicklung in einen größeren Rahmen einzuordnen.

Im aktuellen Krieg gegen die Ukraine wird besonders deutlich, wie risikofokussiert die deutsche Politik kommuniziert und wie dominant der Risk-Frame ist. Zwar wird nun der Bogen nach Deutschland gespannt, aber auf eine so krude Art und Weise, dass sich tatsächlich in der Frage ergossen wird, ob nun der deutsche Panzer, der in die Ukraine geliefert wird, Putin zum Atomkrieg „provoziert“. Im Ausland ist das meist kaum nachvollziehbar. Während die Ukraine verzweifelt um verstärkte Hilfe bittet und osteuropäische EU-Staaten betonen, dass der Feind auf ihrer Türschwelle auch der Feind ganz Europas ist, verliert man sich hierzulande im Klein-Klein. Dabei hat eine Bundeswehr-Umfrage 2022 eine stark gestiegene Bereitschaft der deutschen Bevölkerung ermittelt, Waffen an befreundete Staaten zu liefern. Es ist unverständlich, dass dieser Umschwung kommunikativ nicht abgeholt und in seiner ganzen Tragweite für deutsche sicherheitspolitische Interessen diskutiert wird. Risk-Frame bis zum Abwinken.

Betrachtet man den Beitrag, den Waffenlieferungen an die Ukraine für unsere Sicherheit und auch die internationale Stabilität haben könnten, gäbe es mehr als genug kommunikative „Aufhänger“ für eine Diskussion im Opportunity-Frame: angefangen bei der Tatsache, dass das täglich viele Menschenleben in der Ukraine retten könnte, bis hin zur Frage, wo Russlands Machthaber Wladimir Putin eigentlich aufhört, wenn ihn niemand aufhält – an der EU-Grenze? Oder dahinter? Ähnlich wurde beim Afghanistan-Einsatz versäumt nachhaltig zu kommunizieren, dass Sicherheit und Stabilität vor Ort auch den Terrorexport verhindern. Das betrifft letztlich auch die Sicherheit vor Anschlägen, etwa in deutschen Regionalbahnen.

Dank der Kommunikationsforscher Claes de Vreese und Anna Kandyla wissen wir, dass die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik deutlich mehr Unterstützung erfährt, wenn der Opportunity-Frame in der Berichterstattung auftaucht.

Zum Schluss bleibt die unbequeme Frage: Wie ernst ist es uns mit unseren Werten, wenn wir unmittelbar betroffen sein müssen, um anderswo für die internationale Friedensordnung einzutreten? Besonders edel ist das nicht. Wenn wir zu unseren Werten, Interessen, Bündnispartnern und letztlich zu unserer kollektiven Sicherheit stehen, müssen wir das rational und verantwortungsvoll, aber eben auch überzeugend und hörbar kommunizieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 142 – Thema: Künstliche Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.