Der digitale Wahlkampf wird lokal

Politik

Die Coronapandemie hat den Trend zum digitalen Wahlkampf im Superwahljahr 2021 beschleunigt. Zwar sind die Marktplätze wieder teilweise gefüllt, und die Infostände der Kandidierenden werden Wochenende für Wochenende aufgebaut. Aber die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen: Parteien und Kandidierende sind dazu gezwungen, Wähler digital zu erreichen. Die politische Meinungs- und Willensbildung findet immer mehr in der digitalen Öffentlichkeit statt. Laut einer aktuellen Analyse von Forsa und der Universität Hohenheim nehmen 49 Prozent der Befragten die Parteien und Kandidaten via Social Media oder über digitale Werbeanzeigen wahr. Damit legt digitale Wahlwerbung insgesamt zu, liegt noch hinter Wahlplakaten (56 Prozent), aber bereits knapp vor TV-Spots (48 Prozent).

Parteien nutzen mittlerweile eine große Palette an digitalen Kanälen, um die Wählerschaft zu erreichen: Fast alle haben auf den gängigen Social-Media-Plattformen einen eigenen Account, moderieren die Kommentarspalten, arbeiten teilweise mit Social-Media-Agenturen zusammen, betreiben gezieltes Targeting, messen Aktivitäten und Reaktionen der Community und passen ihre Inhalte entsprechend an. Neben der Ausspielung von politischen Werbeanzeigen gibt es weitere Ansätze wie Partei-Apps, außerdem die Zusammenarbeit mit Influencern, Großveranstaltungen via Zoom und den Einsatz von Messengern wie Whatsapp und Telegram. Die Parteien haben verstanden: Der digitale Wahlkampf ist ein zentraler Erfolgsfaktor und muss professionell betrieben werden.

Investitionen, Kompetenz, Twitter

Drei Trends lassen sich in den Wahlkämpfen des Superwahljahrs identifizieren: Erstens haben Parteien in die digitale Infrastruktur investiert, um Kandidatinnen und Wahlkämpfer vor Ort für den digitalen Wahlkampf und die Kampagnen zu befähigen. Dazu gehört, dass Parteien digitale Inhalte zur Verfügung stellen, Vorlagen und Sharebild-Generatoren entwickelt haben, Zielgruppen mit Kandidierenden teilen und Updates zum Verlauf der Kampagne versenden.

Zweitens ist die größte und signifikanteste Neuerung in diesem Superwahljahr der massive digitale Kompetenzzuwachs der Kandidaten und Wahlkämpferinnen vor Ort. Zum einen hat die Corona-Pandemie dazu geführt, dass Kandidierende und Kampagnen vor Ort stärker auf Social Media gesetzt haben. Auf der anderen Seite führt auch die jüngere Altersstruktur der Kandidierenden dazu, dass der digitale Schwerpunkt zunimmt. Des Weiteren gibt es mehr Tools und Softwarelösungen, die gerade für Kandidierende und kleine lokale Parteigliederungen die professionelle Umsetzung des digitalen Wahlkampfes vereinfachen.

Drittens nutzen Parteien, Strategen und parteipolitische Influencer Twitter in diesem Wahlkampf wie nie zuvor, um ihre Spins, Narrative und Angriffe auf die politischen Mitbewerber zu koordinieren. Das Ziel dabei ist nicht, direkt Wähler zu erreichen. Vielmehr geht es darum, dass Journalisten und Medien die Spins und Fehltritte aufgreifen und in ihrer Berichterstattung an ihr Publikum weitergeben.

Wie werden Wähler im digitalen Wahlkampf 2021 erreicht?

Die Parteizentralen und Kampagnenstrategen haben seit der Bundestagswahl 2017 deutlich mehr Erfahrung, Technologie, Ressourcen und Infrastruktur für den Wahlkampf aufgebaut. Man darf nicht vergessen, dass 2017 die erste Bundestagswahl war, in der digitale politische Werbeanzeigen auf Social-Media-Plattformen geschaltet wurden. Neben der digitalen Wahlwerbung geht es vor allem um eine starke digitale Infrastruktur. Die Kampagnenzentralen nutzen dabei in erster Linie den Dreiklang von Potenzialanalysen, Tür-zu-Tür-Wahlkampf und Landingpages, um E-Mail-Adressen zu sammeln. Die Ausprägungen bei der Nutzung dieser digitalen Infrastruktur sind bei den Parteien sehr unterschiedlich.

Bei den Potenzialanalysen werden aktuelle Umfragen, vergangene Wahlergebnisse und in manchen Fällen auch zugekaufte, nicht personenbezogene Datensätze genutzt, um geografische Potenzialgebiete zu identifizieren. Auf Basis dieser Analysen kann die Budgetverteilung sowohl für digitale Wahlwerbung wie auch Plakate und Print-Anzeigen geplant werden.

Die Tür-zu-Tür-Daten können ebenfalls in die Potenzialanalyse einfließen, dienen aber vor allem zur Befähigung und Aktivierung der lokalen Wahlkämpfer, um mit den Bürgern vor Ort ins Gespräch zu kommen und die Parteibasis für den Wahlkampf zu aktivieren. Das dritte Element, die Landingpages, ist aus einer technologischen Perspektive schon fast veraltet. Dabei werden kleine, im besten Fall themenbezogene Websites genutzt, um Unterstützer dazu zu bringen, ihre E-Mail-Adresse zu übermitteln, um diese im weiteren Verlauf mit Newslettern zu informieren und zu mobilisieren.

Facebook ist hartes Pflaster

Infolge der Wahl von Donald Trump und dem Cambridge-Analytica-Skandal wurde digitale Wahlwerbung auf den Plattformen in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt. Spotify und TikTok haben bezahlte Wahlwerbung komplett verboten, Twitter ebenfalls. Dadurch wurden Facebook und Instagram zu den relevantesten Plattformen, um Zielgruppen mit politischen Werbeanzeigen zu erreichen. Kritisch bleibt, dass Facebook weiterhin selbst festlegt, unter welchen Bedingungen politische Werbung auf der Plattform stattfindet.

Ob es einem gefällt oder nicht, Facebook ist die größte digitale Öffentlichkeit und somit Teil des politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses in Deutschland. Es liegt im Verantwortungsbereich der Politik, dort zu kommunizieren, wo Meinungen entstehen, insbesondere im Rahmen von Wahlkämpfen. Relevant ist die Plattform vor allem, weil Facebook es ermöglicht, Menschen zu erreichen, die nicht unbedingt Akademiker mit einem ­Twitter-Profil sind.

Allerdings ist die organische Reichweite auf Facebook sehr gering. Die unbezahlte Reichweite der Facebook-Seite einer Partei oder eines Politikers liegt in der Regel bei unter zehn Prozent. In anderen Worten: Nur zehn Prozent aller Nutzer, die einer Facebook-Seite folgen, bekommen deren Inhalte organisch angezeigt. Der Grund dafür liegt im Geschäftsmodell von Facebook. Es basiert darauf, dass die Sichtbarkeit von Beiträgen und Inhalten gegen Bezahlung von Werbeanzeigen erhöht werden kann.

Kleine Plattformkunde

Für die Kandidaten heißt das: Wollen sie mehr potenzielle Wähler auf Facebook oder Instagram erreichen, müssen sie auf politische Werbeanzeigen setzen. Kandidierende können, basierend auf soziodemografischen, interessens- und interaktionsbasierten Parametern, ihre politischen Werbeanzeigen zielgenau in ihrem Wahlkreis ausspielen, um Wähler zu erreichen. Gerade in Bezug auf digitale Briefwahlkampagnen oder die Adressierung von regionalspezifischen wirtschaftlichen und sozialen Themen bietet Facebook in der Breite der potenziellen Wählerschaft und der Genauigkeit der Ansprache das größte digitale Kampagnenpotenzial für Kandidaten vor Ort.

Instagram, Youtube und TikTok sind als Video- und Story-dominierte Formate insbesondere für Erst- und Jungwähler relevant. Vor allem Youtube ist aufgrund der hohen Nutzerzahlen als Informationskanal nicht zu unterschätzen. TikTok bringt hohe organische Reichweiten und ist daher relativ günstig und effizient. Die Herausforderungen bei Instagram sind, dass es Zeit braucht, um eine relevante Reichweite aufzubauen und nur Wähler bis maximal Mitte 40 in relevanten Größenordnungen erreicht werden können.

Twitter ist und bleibt ein Meinungsmacher-Kanal. Von Parteien wird Twitter mehr denn je genutzt, um das eigene Narrativ tagesaktuell zu verbreiten und über Twitter-nutzende Journalisten Themen medial zu platzieren. Im Unterschied zu Facebook sind auf Twitter unentschlossene Wähler nicht zu erreichen.

Digital, aber vor Ort

Die Bedeutung der digitalen Wahlkampagnen in den Wahlkreisen wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Die Budgetverschiebung in Richtung digital wird von den Kampagnenzentralen mehr und mehr in die Bundesländer und lokalen Strukturen überschwappen. Gleichzeitig ist bei Kandidierenden abseits der Parteizentralen ein Kompetenzzuwachs bei digitaler Kampagnenführung dringend notwendig. Dieser würde dazu führen, dass die regionalen und lokalen Reichweiten zunehmen und die Wähler noch zielgenauer angesprochen werden.

Im Zuge von DSGVO und dem Digital Services Act sowie der Einschränkung von digitalen politischen Werbeanzeigen auf den Plattformen werden Parteien und Kandidierende aber insgesamt neue Lösungen brauchen, um Bürger und Wählerinnen digital zu erreichen. Die Bundestagswahl 2013 markierte den Start für die Digitalisierung von Wahlkämpfen. Bei der Bundestagswahl 2017 veränderten das Targeting und die Tür-zu-Tür-Apps die Mobilisierung von Wählern. Die Bundestagswahl 2021 bringt hoffentlich einen umfangreichen Professionalisierungsschub der digitalen Wahlkämpfe in Bezug auf die digitalen Kompetenzen und genutzten Technologien. Für die Zukunft ist die Kernaufgabe heute schon gesetzt: die weitere Befähigung insbesondere der 99 Prozent politischer Kampagnen fernab der Parteizentralen – von Bundestags-, Landtags- und Bürgermeisterkandidaten, die ihre potenziellen Wähler ebenfalls immer mehr im digitalen Raum erreichen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 136 – Thema: Die drei Fragezeichen – Wer wird die neue Merkel?. Das Heft können Sie hier bestellen.