Zwischen Adé und a. D.

Kolumne

Deutschland steht vor einem politischen Umbruch: Ein Wechsel in Personal und Kurs mit neuen Mehrheiten im Parlament zeichnet sich ab. Das Ende der Ampel-Koalition bedeutet jedoch nicht sofort einen neuen Bundestag oder eine neue Bundesregierung. Auch nach den Neuwahlen im Februar können Regierung und Parlament weiterhin Gesetze und Verordnungen beschließen. Zugleich werden viele Vorhaben der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ wohl ein jähes Ende finden. Wir schauen auf die letzten Wochen der 20. Legislaturperiode und auf alles, was nicht mehr Recht wird. 

Das Kernstück des Übergangs zwischen altem und neuem Parlament ist der Grundsatz der Diskontinuität. Er beschreibt die Zäsur der parlamentarischen Arbeit zwischen zwei Legislaturperioden. Dadurch wird sichergestellt, dass ein neu gewählter Bundestag nicht durch die Arbeit seines Vorgängers gebunden ist. Kurz gesagt: Alles auf Anfang also. Dabei ist die personelle Reichweite der Diskontinuität einleuchtend: Nach der Konstituierung des Bundestages besteht das Plenum aus den neu gewählten Abgeordneten, die nicht Wiedergewählten scheiden aus. 

Damit ist es aber nicht getan. Auch die sachliche Arbeit unterliegt dem Grundsatz der Diskontinuität. Gremien und Ausschüsse, die das Grundgesetz nicht unbedingt vorsieht, werden aufgelöst. Das betrifft fast alle, auch die beiden Untersuchungsausschüsse dieser Legislatur sowie Enquête-Kommissionen. 

Eine der bedeutendsten Auswirkungen der Diskontinuität betrifft die Gesetzentwürfe. Wird ein Gesetz in den Bundestag eingebracht, aber bis zum Zusammentreten des neuen Bundestages nicht durch Abstimmung in 2. und 3. Lesung abgeschlossen, verfällt es. Soll das Vorhaben in der neuen Legislatur weiterverfolgt werden, muss es das parlamentarische Verfahren erneut beschreiten – von der 1. Lesung an. Dazu muss die neue Bundesregierung das Gesetz erneut in den Bundestag einbringen. Übrigens: Gesetzentwürfe, die nur noch den zweiten Durchgang im Bundesrat durchlaufen müssen, sind von der Regierungskrise weitgehend unberührt. Stimmen die Länder zu Gunsten eines Entwurfes, wird dieser dem Bundespräsidialamt zugeleitet, das ihn ausfertigt und verkündet. 

Sobald Olaf Scholz Mitte Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellt und diese negativ ausfällt, wird er den Bundespräsidenten um die „Auflösung“ des Bundestages bitten. Das Staatsoberhaupt hat anschließend 21 Tage Zeit, darauf zu reagieren. Spätestens 60 Tage nach der „Auflösung“ wählen die Bürgerinnen und Bürger einen neuen Bundestag. So weit, so klar. 

Nach einer verlorenen Vertrauensfrage kann sich Olaf Scholz mit seiner verbliebenen Regierung aber noch nicht zur Ruhe setzen, denn das Kabinett bleibt voraussichtlich bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages im Amt. Es ist gängige Staatspraxis, dass der Bundespräsident den Kanzler und dieser dann seine Bundesministerinnen und Bundesminister um die Fortführung der Geschäfte ersucht. Diese sind sodann verpflichtet, als geschäftsführende Bundesregierung bis zur Wahl eines neuen Kanzlers weiterzuarbeiten. Allerdings verbieten die ungeschriebenen Regeln des Regierens in dieser Zeit weitreichende Entscheidungen. 

Regulierungsferien in Berlin?

Was kann die Regierung in dieser Übergangszeit noch tun? Auch ohne eine solide parlamentarische Mehrheit kann sie ihre Rolle als Exekutivorgan weiterhin wahrnehmen und unter anderem Rechtsverordnungen beschließen. So wurde etwa die Anhebung des Pflegebeitrags zum 1. Januar 2025 von der geschrumpften Bundesregierung nach dem Bruch der Ampel-Koalition am darauffolgenden Samstag beschlossen. Für diese Verordnung ist lediglich die Zustimmung des Bundesrates notwendig, nicht die des Bundestages. 

Und das „aufgelöste“ Parlament? Das bleibt wahrscheinlich bis weit in den März 2025 hinein bestehen, denn die „Auflösung“ ist untechnisch zu verstehen. Es ist handlungsfähig mit voller legislativer Schlagkraft – so die Abgeordneten diese denn auch wahrnehmen. Allerdings zeichnen sich Unterbrechungen der Arbeit im Bundestag durch den Wahlkampf bereits ab. Zugleich laufen Verhandlungen an über Mehrheiten für die Gesetze, die noch verabschiedet werden sollen. Dabei wird es entscheidend auf die Mehrheiten in der Mitte des Parteienspektrums ankommen. Insbesondere die CDU/CSU-Fraktion möchte „Zufallsmehrheiten“ mit Stimmen der AfD-Abgeordneten vermeiden. Die Mehrheitsverhältnisse werden auf vielen Ebenen entscheidend sein: im Ältestenrat für die Tagesordnung, in den Ausschüssen für Änderungen an Gesetzesentwürfen und deren Weg ins Plenum, sowie im Plenum selbst in der zweiten und dritten Lesung. 

Nebst bereits eingebrachten Vorhaben können die Bundesregierung und die Fraktionen weiterhin fleißig Anträge und Gesetzentwürfe einbringen. Ob neue Initiativen die notwendige Mehrheit zwischen den Fraktionen finden, ist fraglich. Die parlamentarische Bühne wird in Zeiten des Wahlkampfes wohl eher genutzt, um das ein oder andere eigene Thema herauszustellen – ehe es dann im März nicht nur „Adé!“, sondern für manche auch „a. D.“ heißt.