Herr Quoos, wie oft bekommen Sie in der Funke-Zentralredaktion Anwaltspost?
Selten. Vielleicht fünf-, sechsmal im Jahr. Und das sind dann auch oft ziemliche Petitessen.
Was zum Beispiel?
Da gibt es zum Beispiel den Hersteller eines sehr beliebten Küchengeräts, der penibel darauf achtet, dass der Name seines Geräts nicht im Kontext mit Nachbauten erwähnt wird. Das ist natürlich Quatsch.
Wehren Politiker sich auch?
Die Politik kommt selten mit dem Anwalt. Wenn es da einen Dissens in der Berichterstattung gibt, nehmen meistens die Sprecher Kontakt auf, und dann wird diskutiert, ob in der Darstellung etwas fehlt oder missverständlich ist. Um bei uns eine Korrektur auszulösen, braucht man nicht den juristischen Weg, da reicht auch ein freundlicher Anruf. Wenn es aber um Dinge geht, die im Privatleben des Politikers oder der Politikerin liegen, kann es schon passieren, dass der Anwalt sich meldet.
Haben Sie Beispiele?
In meiner Arbeit liegen diese länger zurück. Da geht es dann zum Beispiel um uneheliche Kinder, über die nicht berichtet werden soll. Mit Gerhard Schröder zum Beispiel haben wir uns damals bei „Bild“ wie auch andere Medien juristisch auseinandergesetzt, da ging es um die Frage: Hat er sich die Haare gefärbt? Das hatte eine Agentur berichtet. Das ging bis zum Bundesverfassungsgericht, wo Schröder am Ende recht bekam. Der jüngste Fall, in dem Anwälte in Gang gesetzt wurden, war in Zusammenhang mit dem Hauskauf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Es wurde sogar das Grundbuchamt aufgefordert, Auskunft darüber zu erteilen, welche Journalisten angefragt haben. Das fand ich unmöglich. So eine Recherche muss man aushalten.
Sie sagen, Politiker kommen seltener als Unternehmen mit dem Anwalt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Für sie ist Kommunikation das Instrument zur Problemlösung, deswegen suchen sie das Gespräch mit der Redaktion, wenn es ein Problem gibt. Sie sind viel erfahrener im Umgang mit Medien. In Konzernen gibt es Chefs, die sitzen eingebunkert in ihren Büros und haben mit Medienvertretern vielleicht nur einmal im Jahr bei der Bilanzpressekonferenz zu tun. Die schicken dann sofort ihren Anwalt los, wenn sie vermeintliche Fehler oder Falschdarstellungen sehen. Wer regelmäßig mit Medien zu tun hat und auf dieser Klaviatur spielen kann, würde nur als Ultima Ratio den Anwalt einschalten, glaube ich.
Wo haben Medien eine Grenze übertreten und über etwas berichtet, worüber Sie im Nachhinein sagen würden: Das hätte eigentlich privat bleiben sollen?
Da gibt es sicher den einen oder anderen Fall. Jeder Journalist, der eine Weile unterwegs ist und für Objekte arbeitet, die stark vom Einzelverkauf leben, wird das schon erlebt haben, dass man im Nachhinein sagt: Das war jetzt vielleicht doch einen Tick zu nah.
Der Boulevard lebt ja davon, besonders nah dran zu sein. Ist er mit schuld daran, dass manche Anwälte schnell Alarm schlagen?
Ich würde nicht so pauschal sagen, dass es nur ein Boulevardproblem ist. Aber natürlich tritt es dort gehäufter auf, weil der Boulevard sich ja ständig mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beschäftigt, und zwar sehr hautnah. Die Gefahr, Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu begehen, ist auf dem Boulevard daher viel größer als in der „FAZ“. Da kommen dann öfter Anwaltsschreiben. Die Frage ist halt immer: Wie geht man damit um?
Fühlt man sich als Journalist dadurch bedroht oder unter Druck gesetzt?
Nein, aber man muss solche Interventionen immer ernst nehmen und die Kraft haben, selbstkritisch zu sein und sich zu fragen: Hat der vielleicht recht? Haben wir etwas berichtet, was falsch ist oder was wir nicht hätten berichten dürfen? Ich habe mich immer für diese Fälle interessiert, weil man viel daraus lernt für die eigene Recherche und vielleicht auch Möglichkeiten findet, das Thema auf nicht juristischem Weg zu lösen. Wenn zum Beispiel der Anwalt mit einer Unterlassungserklärung und einer Schadenersatzdrohung kommt, kann man sagen: Wenn es ein wirklich schlimmes Missverständnis oder sogar eine Falschberichterstattung gab, geben wir Ihnen die Gelegenheit, in einem Wortlautinterview dazu Stellung zu nehmen. Das Angebot kann man machen, das ist journalistisch nicht ehrenrührig.
Haben Sie schon mal erlebt, dass jemand eine Berichterstattung verhindern wollte?
Ja, da war ich noch beim „Focus“. Wir hatten einen exzellenten Informanten im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehungsgeschichte um Uli Hoeneß, da gab es eine Nachfolgegeschichte bei einem weiteren Prominenten. Und ein sehr bekannter Medienanwalt hat es geschafft, sie mir auszureden. Er hat argumentiert, dass kein Berichterstattungsbedarf mehr herrsche, das sei juristisch geheilt und eine Veröffentlichung würde dem Mandanten unverhältnismäßig schaden. Dem bin ich auf den Leim gegangen und habe von einer Berichterstattung abgesehen, obwohl die Darstellung des Anwalts nicht den Tatsachen entsprach. Darüber ärgere ich mich heute noch, darum gucke ich immer ganz genau: Gibt es eine juristische Handhabe oder nicht?
Nicht selten geht es um Nebensächlichkeiten, in denen der Kläger oder die Klägerin recht bekommt – aber die Geschichte bleibt trotzdem online. Warum der Aufwand?
Es gibt Prominente, die einfach genervt sind von bestimmten Medien und versuchen, zu allem eine Gegendarstellung durchzusetzen. Wenn ich schreibe: Schauspieler XY hat gestern ein Honigbrot zum Frühstück verzehrt, kann es sein, dass ich die Gegendarstellung bekomme: Es war kein Honigbrot, es war ein Marmeladenbrot. So etwas gibt es. Einfach nur, um schlechte Laune und juristischen Druck zu erzeugen, so dass die Redaktionen das Gefühl bekommen: Von dem lassen wir besser die Finger. Das ist Kalkül, das machen einige Prominente. Das ist hier bei Funke für mich aber kein Thema.
Besteht die Gefahr, dass man als Journalist vorsichtiger wird oder sich sogar selbst zensiert?
Man muss sich immer fragen: Glaube ich an meine Geschichte –, und bin ich auch bereit, sie vor Gericht zu verteidigen? Wenn ich eine relevante Geschichte habe, die wasserdicht ist, würde ich immer versuchen, sie durchzuziehen. Auch gegen juristischen Widerstand. Das kann sehr anstrengend und auch teuer sein. Da kann ich nur jedem Chefredakteur wünschen, dass seine Verlegerin oder sein Verleger, dann auch hinter ihm steht. Das war zum Glück in allen Redaktionen so, in denen ich bislang war. Die Geschichte um die Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß hat enorme Wellen geschlagen, da waren natürlich auch Anwälte im Spiel. Aber die Geschichte ist erschienen, und es war gut so, weil sie gestimmt hat.
Würden Sie sagen, dass Anwälte den Journalismus unter Druck setzen?
Journalisten dürfen kein Glaskinn haben, wir teilen ja auch aus. Es gibt immer einen gewissen Druck, nicht nur juristischen, sondern auch wirtschaftlichen. Da gibt es Konzerne, die schicken nicht den Anwalt, sondern stornieren die Anzeigen für das nächste Jahr. Das finde ich genauso problematisch. Auch da wünsche ich immer allen Kolleginnen und Kollegen, dass sie eine Geschäftsführung haben, die das dann auch aushält und sagt: Das war zwar ein schöner Auftrag, aber mir ist die Freiheit meiner Redaktion wichtiger als dieses Geschäft, weil ich auf Dauer glaubwürdiger bin, wenn ich meinen redaktionellen Teil blitzsauber halte und vor solchen plumpen Angriffen schütze.
Der Rechtsanwalt Carsten Brennecke sprach kürzlich im Medienmagazin „journalist“ über Verschwiegenheitsvereinbarungen, deren Unterzeichnung zum Beispiel vor einem Pressetermin verlangt wird. Was halten Sie von solchen Vereinbarungen?
Das würde ich einfach nicht machen und da im Zweifel aus Protest auch gar nicht hingehen. Wir müssen schon frei arbeiten können. Ich hasse es auch wie die Pest, wenn Sprecher vor dem Interview sagen: „Sie dürfen nur dies und das fragen.“ Das empfinde ich als Eingriff in meine Freiheit als Journalist. Und das ignoriere ich, ich stelle die Fragen, die mich interessieren. Mein Gesprächspartner kann ja antworten: „Dazu sage ich nichts.“ Aber ich lasse mir das ungern vom Sprecher diktieren. Die echten Vollprofis in der Politik sind aber schlau genug, unangenehme Fragen zuzulassen. Es sieht ja auch komisch aus, wenn es irgendeinen Skandal gibt, ich interviewe den zuständigen Minister, jeder wartet nur auf die Frage zu dem Thema – und sie kommt einfach nicht. Das würde ich mir als Journalist nicht erlauben. Und die meisten, die in der Öffentlichkeit stehen, wissen auch, dass es so nicht funktioniert.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 137 – Thema: Die neue Mitte?. Das Heft können Sie hier bestellen.