Volkswahl des Bundespräsidenten?

Pro und Kontra

Pro
von Josef Winkler

Vorweg: In dieser Frage spreche ich als bis dato dreimaliges Mitglied der Bundesversammlung – nicht aber für meine Partei, welche die Contra-Position vertritt. Die sogenannte Wahl durch die Bundesversammlung ist eine Farce. Auch wenn es manchmal knapp war – der jeweils gewählte Bewerber stand zu Beginn der Versammlung bereits fest. Die Rolle der Bundesversammlung beschränkt sich darauf, den präsidialen Start ins Amt mehr oder weniger holprig zu gestalten, danach dürfen sich die Teilnehmer Schnittchen und ein paar Gläser Schampus gönnen, und der Demokratie ist mal wieder genüge getan; eine bizarre Veranstaltung!
Wir bräuchten endlich einen offenen Wettbewerb um das Amt des Bundespräsidenten. Wir sind seit langem mit einer steigenden Politikverdrossenheit konfrontiert. Den Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger, sich mehr einzumischen, mehr mitzuentscheiden über politische Belange, sollte man als Angebot, nicht als Drohung wahrnehmen. Politische Beteiligung ist nicht statisch für alle Zeiten festgelegt, sondern eben auch den Veränderungen in politischen Willens- und in meinungsbildenden Prozessen unterworfen. Diesem Anliegen sollte Rechnung getragen werden.
Deshalb plädiere ich seit einem Jahrzehnt dafür, den Bundespräsidenten direkt zu wählen. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: In einem offenen Wettbewerb kämen im Gegensatz zur bisherigen Kür, die vornehmlich in Hinterzimmern erfolgt, Menschen zum Zuge, die echte Diskussionsangebote an das Volk machen. Erst so käme eine tatsächliche (Aus-)Wahl zustande.
Ein direkt gewählter Bundespräsident hätte zwar zum einen eine stärkere Legitimation, zum anderen aber auch eine stärkere Verpflichtung dem Volke gegenüber. Im Falle des aktuellen Bundespräsidenten hätte dies zwingend dazu geführt, dass sich der Bundespräsident den Konsequenzen der gegen ihn erhobenen ernsthaften Vorwürfe ebenso ernsthaft stellt. Mehr Kompetenzen braucht der Präsident nicht – aber ein anderes Auswahlverfahren.

Kontra
von Gerd Langguth

Gäbe es eine Direktwahl des Bundespräsidenten, entstünde eine monatelange, polarisierende Wahlkampfsituation, die die Menschen spalten würde. Könnte ein Präsident, der sich in einem intensiven Wahlkampf durchgesetzt hat, die Herzen der Bevölkerung erobern? Die Verfassungsväter und ‑mütter des Grundgesetzes wollten, dass der Bundespräsident möglichst in der gesamten Bevölkerung akzeptiert wird, weshalb auch vorgeschrieben ist, dass in der Bundesversammlung der Präsident ohne Aussprache gewählt wird. Die Bundesversammlung besteht ja aus allen Bundestagsabgeordneten und einer gleichen Anzahl von Delegierten, die von den einzelnen Landesparlamenten gewählt werden. Auf diese Weise wird auch der föderalen Ordnung der Bundesrepublik entsprochen.
Ein Bundespräsident sollte kein eigener Machtfaktor sein. Seine wesentliche Aufgabe ist die der Integration des Volkes, die Macht des Wortes. Er ist „Staatsnotar“. Er hat auch „Reservefunktionen“, etwa bei Schwierigkeiten während der Regierungsbildung oder bei vorgezogenen Wahlen. Ein direkt gewählter Bundespräsident würde hingegen versucht sein, seine dann von ihm in Anspruch genommene „höhere Legitimation“ gegenüber dem Kanzler auszuspielen, der ja nur indirekt, durch den Bundestag, gewählt wird. Die Direktwahl des Bundespräsidenten würde also die Machtarithmetik auf Bundesebene verändern. Der Bundespräsident als Oberkanzler – das war von den Schöpfern des Grundgesetzes zu Recht nicht gewollt. Dem Bundespräsidenten sollte so etwas wie die Rolle eines Ersatzmonarchen zukommen. Wenn wir wirklich einen direkt gewählten Bundespräsidenten wollen, dann müssten wir nachdenken, ob es dann nicht sinnvoller wäre, ähnlich wie in Frankreich eine semi-präsidentielle Demokratie einzuführen – mit einem gestärkten Kanzler. Der Reichspräsident der Weimarer Republik mit seiner starken Stellung kann kein Vorbild sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Überleben – Krisenkommunikation für Politiker. Das Heft können Sie hier bestellen.