Diplomatie in 140 Zeichen

Einst verschrien als das soziale Netwerk der Hollywood-Promis, hat sich Twitter inzwischen zu einem wichtigen Geschäftstool für viele Präsidenten, Ministerpräsidenten, Außenminister, Botschafter und Diplomaten gemausert. Nach einer im Juli 2012 veröffentlichten Studie der PR-Agentur Burson-Marsteller (@B_M) besitzen fast zwei Drittel aller führenden Politiker ein Twitter-Account. „Twitter schließt die Kommunikationslücke zwischen uns und unseren führenden Politikern“, sagte Jeremy Galbraith (@GalbraithJeremy), CEO von Burson Marsteller für Europa, den Mittleren Osten und Afrika, bei der Vorstellung der Studie.

Verstummter Hollande

Dennoch bedeutet die Präsenz so vieler Politiker auf Twitter und die Anzahl ihrer Follower nicht zwangsläufig eine bessere Vernetzung. Die Studie (verfügbar auf www.twiplomacy.com) zeigt, dass von den 120 persönlichen Accounts lediglich 30 persönliche Tweets enthalten. Darüber hinaus greifen Politiker meist während Wahlkampagnen auf Twitter zurück und vernachlässigen es nach Amtsantritt fast wieder vollkommen. Dies trifft zum Beispiel auf den französischen Präsidenten Francois Hollande (@fhollande) zu, der auf Twitter seit seinem Amtsantritt verstummt ist. Stand Februar 2013: sein letzter Tweet war ein #FollowFriday, veröffentlicht am 18. Mai – #FF@ Elysee pour suivre toutes les informations sur la Présidence de la République.

Die Studie von Burson Marsteller belegt, dass die Debatte über Social-Media-Tools in der Diplomatie und der Außenpolitik ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat. Einige spekulieren sogar, dass die E-Diplomatie eventuell die traditionelle Diplomatie ablösen könnte. Doch weit gefehlt!

 „Sollte jemand annehmen, dass 140 Zeichen die diplomatische Lösung sind, um die Probleme dieser Welt zu lösen, haben wir ein großes Problem“, sagte James Carafano von der Heritage Foundation in einem Interview mit dem Magazin „Voice of America“ im August 2012. „Twitter wurde nicht wirklich für diplomatische Zwecke entworfen; Twitter ist noch nicht mal für einen Dialog konzipiert“, so Carafano weiter. Obgleich die Ursprünge von Twitter mit Diplomatie wenig zu tun haben, kann man ohne Weiteres sagen, dass der Kurznachrichtendienst ganz klar zu einer verstärkten Präsenz diplomatisch-relevanter Inhalte in den Medien und darüber hinaus beigetragen hat. Natürlich ist es kein Ersatz für traditionelle Kommunikationskanäle. Aber Twitter begründet eine neue Sichtweise auf diplomatische Programme und einen neuen Weg, mit weniger traditionellen Akteuren in Dialog zu treten.

Einer der eifrigsten Twitterer unter den führenden Politikern ist der schwedische Außenminister Carl Bildt (@carlbildt), der vor Kurzem einen neuen Vorstoß  in Richtung Twiplomacy verkündete; mit dem Ziel, alle Botschaftsvertretungen auf Twitter und Facebook abzubilden, um etwaige „konsularische Herausforderungen“ für Reisen seiner Landsleute zu reduzieren. Bildt trug entscheidend zum Twitter-Hype im Mai 2012 bei, als er seinen Amtskollegen von Bahrain, den Außenminister Khalid bin Ahmed Al Khalifa (@khalidalkhalifa), nicht auf klassischem Weg erreichen konnte, twitterte er kurzerhand: „Versuche Sie in einer bestimmten Angelegenheit zu erreichen“. Al Khalifa brauchte nicht lange, um über traditionellere diplomatische Kanäle zu antworten, aber er ließ es sich nicht nehmen, seinem Amtskollegen über Twitter eine Nachricht zurückzuschicken: „Schön, von Ihnen zu hören, um wieder auf den neuesten Stand zu kommen“…Ihr Tweet ging um die Welt.

Ist Twitter die Zukunft der Diplomatie?

„Ein Aufruf auf Twitter – ist das die Zukunft der Diplomatie?“, fragte sich die Nachrichtenagentur Associated Press in einem Artikel vom 26. Mai über Bildts Interaktion mit Al Khalifa: „Es verdeutlicht, wie man in der modernen Welt eine moderne Kontaktaufnahme pflegt“, sagte Bildt der Associated Press, bevor er erklärte, dass seine Twitter-Mission, um Al Khalifa aufzuspüren – der selbst eine kleine Twitter-Berühmtheit in dem Staat am Persischen Golf ist – sehr erfolgreich war. „Bildt ist ein erfahrener Blogger, aber er hatte seine Vorbehalte gegenüber dem Web 2.0, wie die Social Media- Revolution manchmal bezeichnet wird“, schrieb Chrystia Freeland von Thomson Reuters (@cafreeland) in einem Interview mit Bildt. Am Anfang war Bildt – der mittlerweile über 180.000 Follower zählt – eher skeptisch, was Twitter anging. „ Es ist tatsächlich so, dass man etwas in 140 Zeichen sagen kann“, erzählte Bildt im Internview Freeland. „Die Beschränkung ist nicht so absolut, wie ich zuerst annahm.“ „Twitter – erklärt er – ist für Links und Sofort-Kommentare“; der Blog ist für längere, ausgewogenere Argumente konzipiert.“

 

Social Media hat nicht nur für Regierungen und Botschafter den Dialog (national als auch international) mit der Öffentlichkeit erleichtert, sondern auch das Bewusstsein dafür geschärft, welche positiven und negativen Auswirkungen ein einziges Wort, Tweet, Facebook-Kommentar, Video oder Bilder innerhalb relativ kurzer Zeit haben können. Der Trend hat auch die Notwendigkeit in den Vordergrund gestellt, eine gezieltere Analyse von Social Media zu betreiben. Dies trifft insbesondere auf strategische Regionen zu, einschließlich des Mittleren Ostens. Terrorakte wie die Ermordung von US-Botschafter Christopher Stevens und die Angriffe auf die US-amerikanische Botschaft vergangenes Jahr in Kairo überschatteten nicht nur diplomatische Bemühungen über die  Social Media-Kanäle , sondern gipfelten in derartigen politischen Wirren, dass die frühere US – Außenministerin Hilary Clinton gezwungen fühlte, die volle Verantwortung für das, was passiert war, zu übernehmen.

Sarkastischer Dialog

Die sozialen Medien wurden im US-Außenministerium unter die Lupe genommen, um Botschaften auf der ganzen Welt bessere und klarere Richtlinien für den Umgang damit an die Hand zu geben und um Fehler zu vermeiden, wie etwa den sarkastischen Twitter-Dialog zwischen der US-Botschaft in Kairo und der Muslimischen Bruderschaft im September 2012, was „den Beziehungen, die seit dem […] Anschlag angespannt sind, einen passiv-aggressiven Ton verliehen hat“, wie die Agentur Associated Press einige Tage nach den Angriffen berichtete. Der sarkastische Kommentar –  im Informations-Feed der US-Botschaft seitdem gelöscht – zeichnete sich seit Anfang an in einer Reihe von Tweets nach den Angriffen ab. Am 11. September twitterte @USEmbassyCairo „natürlich verurteilen wir Angriffe auf unseren Verbund;  schließlich sind wir diejenigen, die das gerade selbst durchleben“, gefolgt von  „Entschuldigung, aber weder Angriffe noch zornige Meldungen werden uns davon abhalten, unsere Meinungsfreiheit zu verteidigen und Bigotterie zu verurteilen. Die Konversation wurde hitziger in den darauffolgenden Tagen: im Namen der Muslimischen Bruderschaft twitterte @lkhwanweb am 12. September: „Wir sind froh, dass keiner der Botschafts-Mitarbeiter verletzt wurde und hoffen, dass die Beziehungen zwischen Ägypten und den USA nicht von den turbulenten Ereignissen am Dienstag getrübt werden“. Daraufhin entgegnete die Botschaft am nächsten Tag: Danke. Übrigens, checkt Ihr eigentlich Eure eigenen arabischen Feeds? Ich hoffe, ihr wisst, dass wir diese ebenfalls lesen.“

Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft

Während Twitter ein soziales Medium ist, das den formlosen Dialog fördert und honoriert, „tut es dies keineswegs für Nutzer, die nur starre Pressemitteilungen und amtliche Bekanntmachungen nach außen kommunizieren“, betont Max Fisher im Magazin The Atlantic am 13. September. „Die Diplomaten, die den Twitter-Account der US-Botschaft in Ägypten betreiben, scheinen dies verstanden zu haben, da sie versuchen, sich den typischen Twitter-Gesprächsstil anzueignen, um das Diplomatie-Potenzial zu maximieren“, so Fischer. „Aber das wirft das Problem auf, dass ein erfolgreicher, reichweitenstarker Twitter-Account eine stärkere persönliche Identifikation mit sich bringt als ein gesichtsloser Bürokrat. Das wiederum konterkariere das Bild einer einheitlichen Regierung in den Medien.“

Das Potenzial für Personifizierung auf Twitter und Facebook war das, was viele Regierungen ursprünglich an Social Media reizte. Neue Regeln und Richtlinien sind in den meisten Ländern in der Erarbeitungsphase; ein besseres Verständnis für Risiken und das Management wird dazu beitragen, Twiplomacy zu einem besseren Instrument zu machen.