"Abgeordnete sollten nicht poltern"

Politik

Frau Zypries, weshalb haben Sie die Entscheidung zum Abtritt aus dem Bundestag getroffen?

Ich habe die Entscheidung bereits nach der vergangenen Wahl getroffen. Immer, wenn ich darüber nachdachte, hat es sich richtig angefühlt – und das tut es auch jetzt. Ich war zwölf Jahre im Parlament. Das ist eine relativ lange Zeit. Es ist dann auch für den Wahlkreis gut, wenn jemand Neues kommt, mit neuen Ideen, neuem Engagement. Bei mir schlich sich nach zwölf Jahren Routine ein.

Sie werden stets als sehr nüchterne Politikerin beschrieben. Gibt es denn nichts im politischen Betrieb, das Sie so richtig auf die Palme bringt?

Oh doch. Was mich so richtig auf die Palme bringt ist, wenn ich merke, dass Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Parteien im Bundestag einfach unsachlich argumentieren. Wir haben schon genug mit Unsachlichkeit zu tun, in der Auseinandersetzung mit den Menschen und teilweise den Medien. Da sollten wir wenigstens an uns den Anspruch stellen, dass wir untereinander sachlich mit den Themen umgehen. 

Was werden Sie am Bundestag vermissen?

Die Informationen, insbesondere die Hintergrundinformationen. Man ist hier sehr gut durch Meldungen und Gespräche informiert. Aber man hat ja als ehemaliger Abgeordneter immer die Möglichkeit, an Fraktionssitzungen teilzunehmen. Wenn ich das Gefühl habe, ich müsste mal wieder auftanken, dann werde ich das machen.

Was werden Sie künftig überhaupt nicht vermissen?

Das Kantinenessen.

Haben Sie eine Lieblingskantine, einen Lieblingsplatz im Bundestag?

Ich habe immer unten im Lampenladen gegessen, das ist die Kantine im Paul-Löbe-Haus. Da ich immer sehr viele Praktikanten in meinem Büro hatte, war die Runde in der Regel groß.

Sie sind mit den Praktikanten Mittagessen gegangen?

Ja. Und ich werde diesen Kontakt zu den vielen jungen Leuten vermissen, den man als Abgeordnete hat. Das muss ich mir anders organisieren.

Sie sind sehr aktiv in den sozialen Medien. Hat einer der Praktikanten Ihnen auch beigebracht, wie man twittert?

Nein, das habe ich mir selber beigebracht.

Echt?

Das ist ja nicht kompliziert.

Sie twittern schon verhältnismäßig viel.

Längst nicht so viel wie andere, aber ich nutze Twitter recht intensiv.

In der Vorbereitung hatte ich gelesen, dass Sie direkt nach dem Aufstehen auf Twitter gehen. Machen Sie das täglich?

Ja, ich schaue morgens immer zuerst bei Twitter rein, was in der Welt los ist. Das ist einfach die beste und aktuellste Informationsquelle.

Schauen Sie eigentlich seit der Wahl von Donald Trump noch öfter auf Twitter?

Nein, nicht öfter. Aber ich schaue regelmäßig, mehrfach am Tag.

Folgen Sie Trump?

Na klar.

Er Ihnen?

Ich glaube nicht. Er versteht es ja auch nicht, da ich meist auf Deutsch poste.

Für Ihre zukünftige Arbeit in der Kommunalpolitik ist Twitter aber nicht das richtige Tool.

Nein, Twitter ist ein Tool für die Bundespolitik und für eine bestimmte Szene in der Bundespolitik.

Welche Szene?

Naja, Journalisten und Kollegen.

Foto: privat

Welches Tool werden Sie denn in der Kommunalpolitik verstärkt einsetzen?

Da haben wir einen Facebook-Account als SPD Darmstadt, den ich auch, mit anderen, bediene.

Bei wem holen Sie sich da Ratschläge?

Auch bei meinen Praktikanten. Ich frage sie schon, welche sozialen Medien sie wie nutzen. Meistens ist die Antwort: “Whatsapp”. Aber dort sind ja geschlossene Nutzerkreise, das nützt uns also für die politische Kommunikation nicht.

Welche Ratschläge würden Sie dem politischen Nachwuchs geben?

Wen verstehen Sie denn unter politischem Nachwuchs? Wenn Sie so wollen, gehört auch meine Nachfolgerin im Wahlkreis zum politischen Nachwuchs.

Was geben Sie ihr mit?

Authentisch bleiben, Bodenhaftung behalten. Offen bleiben für Themen. Offen dafür bleiben, mit anderen zu diskutieren, die nicht die gleiche Meinung vertreten. Fleißig sein. Wir haben hier in der Woche unsere Sitzungen, da ist der Terminplan sowieso gut gefüllt. Und am Wochenende ist man dann halt im Wahlkreis vor Ort unterwegs. Das alles ist schon sehr zeitintensiv.

Und strengt auch an.

Ja. Es ist vielleicht nicht immer eine intellektuelle Herausforderung, dafür in jedem Fall eine emotionale Herausforderung. Mit Menschen zu diskutieren, sich auf sie einzulassen, das ist anstrengend, auch wenn man es intellektuell leicht schafft.

Sie waren Mitglied in den Kabinetten Schröder II, Merkel I und Merkel III. Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen den Kabinetten, was die Arbeit angeht?

Nein, es gibt da keine wesentlichen Unterschiede, die Strukturen sind gleich. Das Kabinett ist ja auch kein Ort ausschweifender Diskussionen. Es geht darum, die vorbereitete Tagesordnung abzuarbeiten um dann die Gelegenheit zu nutzen, verschiedene bilaterale, trilaterale oder auch mal quattrolaterale Gespräche zu führen. Das Kabinett ist immer gut, um alle diejenigen zu treffen, mit denen man etwas zu besprechen hat. Das war bei Schröder so und bei Merkel nicht anders.

War denn das Verhältnis im Kabinett in der Großen Koalition anders?

Unter Schröder gab es mit Joschka Fischer und Otto Schily zwei Alpha-Männer, die das auch immer deutlich gezeigt haben. In den Kabinetten Merkel war das Verhältnis ein bisschen gleichgeordneter, da stach niemand heraus, vielleicht abgesehen vom Vizekanzler.

Wie werden Sie sich zukünftig zu Wort melden?

Ich weiß noch nicht, ob ich mich zukünftig überhaupt zu Wort melden werde.

Ihr Kollege Bosbach hat nun eine Kolumne bei “Bild”.

Herr Bosbach war schon immer mehr, sagen wir mal, populär unterwegs.

Sie meinen, er ist medienaffiner?

Es liegt natürlich immer daran, dass er die Dinge so zuspitzt. Das ist nicht meine Art.

Beneiden Sie so etwas manchmal?

Nein. Ich finde nicht, dass Abgeordnete poltern sollten. Wir wissen ja eigentlich, dass die Welt komplizierter ist.

Durch die Große Koalition und kleine Opposition haben die Bürger zuletzt die Konfrontation in der politischen Auseinandersetzung im Bundestag vermisst. Wäre eine gewisse Zuspitzung da nicht eine Lösung, gegen den vielfach wahrgenommenen Einheitsbrei?

Ich kann das schon verstehen, aber wir sind hier nun mal keine Kleinkunstbühne. Es geht nicht darum, sich da öffentlichkeitswirksam zu streiten, sondern es geht darum, sachgerechte Lösungen zu finden. Und wenn man Kleinkunstbühne haben will, dann sollte man ins Theater gehen.

 

Dies ist ein Auszug aus dem Interview-Buch “Bundestag adieu!”, für das Aljoscha Kertesz mit zahlreichen 2017 aus dem Parlament ausgeschiedenen Politikern gesprochen hat. Es ist im Engelsdorfer Verlag erschienen.

Hier geht es zu den Interviews mit Wolfgang BosbachKristina Schröder und Jan van Aken.