Ziemlich beste Freunde?

TV-Duell zur Europawahl

Über Sieg oder Niederlage in einem TV-Duell entscheiden nur zum Teil die Worte. Wenn es darum geht, wie die Zuschauer die Kontrahenten bewerten, geben Mimik und Körpersprache den Ausschlag. Gerade und noch mehr bei einem Duell zwischen Kandidaten, die der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt sind. Betrachtet man die schwache Medienpräsenz des Europäischen Parlaments und die niedrige Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2009 (in Deutschland 43,3 Prozent), scheint das Interesse der Bevölkerung am Europawahlkampf doch eher gering zu sein. So war das von ZDF und ORF zur Primetime übertragene TV-Duell für die Kandidaten eine der seltenen Chancen, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Von Null auf Hundert

ZDF-Chefredakteur Peter Frey eröffnet die Runde mit einer Frage an den Sozialdemokraten Martin Schulz. Privat seien er und Juncker ja „ziemlich beste Freunde“, sagt Frey und fragt Schulz, warum Jean-Claude Juncker dann nicht Kommissionspräsident werden solle. Schulz geht direkt zum Angriff über. “Jean-Claude Juncker steht für ein Europa, das hinter verschlossenen Türen tagt.” Aufschlussreich ist hier die nonverbale Reaktion Junckers. Für einen kurzen Moment scheint er amüsiert zu sein – erkennbar daran, dass sein äußerer Augenringmuskel kontrahiert. Doch dann wendet er den Blick ab, schaut nach unten und presst seinen linken Mundwinkel ein. Ein Gesichtsausdruck, der kulturübergreifend als Signal für Geringschätzung verstanden wird (siehe Bildergalerie).

Was diese Reaktion Junckers ausgelöst hat, wird direkt danach deutlich, als er sagt: “Ich habe Martin Schulz hinter verschlossenen Türen kennen gelernt. Dort saß er mit den Mächtigen Europas.” Schulz schüttelt lachend den Kopf. Er scheint fassungslos über diese Anschuldigung zu sein.

Noch kurz vor dem Duell deutete die Stimmung zwischen den beiden nicht auf solch eine konfrontative Auseinandersetzung hin. Beide lachten gemeinsam und verstanden sich offensichtlich gut. In der Diskussion gab es auch nach dem explosiven Start immer wieder Situationen, in denen die Luft zwischen beiden Kandidaten aufgeladen war, wie zum Beispiel in der Auseinandersetzung über die Frage, ob die Türkei der EU beitreten soll oder nicht.

Das nonverbale Duell gewinnt: Martin Schulz

Auf nonverbaler Ebene hat das Duell aus meiner Sicht Martin Schulz gewonnen. Er wirkte wesentlich überzeugender und selbstsicherer als Jean-Claude Juncker. Welche Faktoren haben diese Wirkung hervorgerufen?

1. Schulz war inhaltlich angriffslustiger und konfrontativer. Juncker zeigte auf die verbalen Angriffe in mehreren Situationen körpersprachliche Signale für einen erhöhten Stresspegel, wie zum Beispiel schnelles Blinzeln. Nonverbal ging Juncker dadurch häufig in die Defensive. Wenn er konterte, nahm er den Kopf meist leicht in den Nacken. Dies wirkte, als ob er von oben herabblicken würde. Eine Geste, die schnell überheblich wirken kann, in Kombination mit Stresssignalen aber eher Unsicherheit ausstrahlt.

2. Im Vergleich zu Juncker nutzte Schulz wesentlich mehr Illustratoren. Dies sind Gesten, die das gesprochene Wort ergänzen und unterstreichen. Dabei werden nicht nur die Hände eingesetzt, sondern auch die Mimik. Beispiele für Illustratoren in der Mimik sind das Hochziehen oder auch Zusammenziehen der Augenbrauen, um etwas zu betonen. Schulz setzte sowohl seine Hände als auch seine Mimik deutlich ein, um seinen Worten eine stärkere Wirkung zu verleihen. Eine angemessene Anzahl an illustrativen Gesten verbinden wir mit emotionaler Beteiligung und Überzeugungskraft. Hier hat Schulz gepunktet. Bei Juncker hingegen ruhten die Hände fast die ganze Zeit über auf dem Tisch. Wenn er sie benutzte, blieben seine Hände meist nur sehr tief, so dass sie kaum im Bild waren.

3. Schulz hat seine Argumente emotional aufgeladen. Mehrmals hat er in seiner Mimik Signale für Betroffenheit gezeigt. Dies wird signalisiert durch das Hochziehen der Augenbrauen-Innenseiten. Auch Peer Steinbrück zeigte diese Mimik mehrmals im TV-Duell gegen Angela Merkel. Das Ergebnis: In anschließenden Umfragen wurde er vom Publikum als überzeugender wahrgenommen.