Zehn Lehren aus dem Wahlkampf von Hillary Clinton

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Im berüchtigten Battleground State Ohio habe ich den US-Wahlkampf aus nächster Nähe erlebt. In Cleveland war ich von August bis November Teil der Graswurzelbewegung von Hillary Clinton, klopfte an tausende Türen, wählte zehntausende Telefonnummern und organisierte zahllose Events. In diesen Monaten habe ich nicht nur wunderbare US-Amerikaner kennengelernt, sondern für den deutschen Wahlkampf einige Lehren mitgenommen:

1. Es geht um Haltung. Das Mindset, welches mir tagtäglich begegnete, war geprägt von Energie, Optimismus und der ständigen Bereitschaft, an jeder unausgegorenen Idee zu arbeiten, bis sie umsetzbar wird. Diese “Yeah, let’s do it”-Haltung hilft nicht nur dabei, alltägliche Hürden zu überwinden. Sie ist grundlegend für eine Mitmach- und Innovationskultur, die Wahlkampfwunder wie Barack Obama ermöglichen.

2. Der direkte Kontakt ist entscheidend. Daher investiert die Kampagnenführung viel Zeit, um das Erlebnis “Kontakt mit der Kampagne” bewusst zu gestalten und Mitarbeiter und Freiwillige dafür zu trainieren. Die Bedeutung dessen wurde mir kurz vor dem Ende bewusst: Das letzte Training fand zwei Wochen vor der Wahl statt.

3. Dieser Aufwand lohnt sich, wenn jeder analoge und digitale Kontakt systematisch datafiziert und beim nächsten Wählerkontakt genutzt wird. Der US-Senator Sherrod Brown aus Ohio stand nicht zur Wahl, war trotzdem rege unterwegs und motivierte die Wahlkämpfer von Hillary Clinton. Denn er weiß, dass die gesammelten Daten seiner Kampagne 2018 von großem Wert sein werden.

4. Jede soll mitmachen können dürfen. Jede und jeder hat jeden Tag zwischen 10 und 21 Uhr die Möglichkeit, in ein Wahlkampfbüro zu gehen und sofort mit der Wähleransprache am Telefon, Haustüren oder der Wählerregistrierung zu starten. Mit jedem körperlichen Gebrechen, jedem Alter und jedem Beruf ist es möglich, Teil der Kampagne zu werden. Die deutsche Partei, die es schafft, Freiwilligen jenseits von Infoständen und Plakatierung ein Angebot zum Mitmachen zu unterbreiten, wird nicht nur eine Wahl gewinnen, sondern eine Bewegung anführen.

5. Man muss auch den Freiwilligen eine Bühne bieten. Bei den großen Veranstaltungen, auf denen Hillary Clinton oder einer ihrer prominenten Unterstützer auftrat, haben neben den hochrangigen Parteifunktionären und Kongressmitgliedern auch immer Freiwillige und Unterstützer eine Bühne geboten bekommen. Sie schilderten ihre Biografien und gaben der Kampagne so ein authentisches Gesicht.

6. Die Schauspieler von der Serie “The West Wing”, dem Film “Herr der Ringe” und viele andere Prominente haben für Hillary Clinton Position bezogen. Sie zogen durch die Swing States der USA, um Freiwillige mit Selfies und einem “Thank you so much!” zu motivieren. Mit ihrer persönlichen Story warben sie online um Stimmen. Die Kampagne setzte die Videos auf und verbreitete sie auf eigenen Kanälen.

7. Menschen statt Materialien. Der US-Wahlkampf ist keine Materialschlacht. Daher wurde zu keinem Zeitpunkt Streumaterial verteilt. Die finanziellen Mittel wurden genutzt, um Organizer einzustellen, die in den Swing States die hauptamtlichen lokalen Vertreter von Hillary Clinton waren. Sie organisieren alle Wahlkampfaktivitäten in ihrer Nachbarschaft und sind heiß begehrte Nachwuchskräfte im Kongress – und potenziell auch im Weißen Haus.

8. Was gut läuft, wird geteilt – tagtäglich. Das Telefonieren ist eine Kennzahl zur Kampagnensteuerung. In meinem Gebiet haben wir Eltern und Kinder zum gemeinsamen Telefonieren eingeladen und damit landesweit einen Spitzenwert erreicht. Die Kampagnenführung bereitete dieses Wissen auf und stellte es allen zur Verfügung. Jede Kampagnenführung in Berlin sollte sich daher nicht nur zu Wahlkampfzeiten, sondern auch darüber hinaus dem Thema Wissensmanagement annähern.

9. Das US-amerikanische Wahlrecht führt dazu, dass sich der Wahlkampf im Wesentlichen auf die Swing States konzentriert. Solche Swing-Gebiete gibt es auch in Deutschland. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat herausgefunden, dass 42 deutsche Wahlkreise “swingen”. Da die Zweitstimme überall gleich viel wert ist, sollten vor allem SPD und Union bedenken, wie sie die Kandidaten in den Swing-Wahlkreisen unterstützen können.

10. Zwischen den Wahlkämpfen werden in Innovationseinheiten neue Instrumente entwickelt und in lokalen Wahlkämpfen getestet. In der Wirtschaft nennt sich dieser Ansatz Innovationslabor. In Deutschland wird jene Partei im Vorteil sein, die eine systematisch und langfristig angelegte Innovationseinheit aufbaut.